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Interview mit Lukas Mühlemann

Welche Vision haben Sie als einer der grossen Wirtschaftsführer dieses Landes für die Schweiz?

Die Schweiz hat alles, was ein florierendes Land mit einer starken Stellung in mehreren Industrien braucht – Pharma, Banken, Nahrungsmittel, Uhren, Präzisionsinstrumente usw. Da haben wir eine grosse Tradition und das nötige Know-how für eine ausgezeichnete Arbeit.

Sehen Sie Ihre zukünftige Schweiz als Mitglied der Europäischen Union?

Ich würde es anders sagen. Wir leben alle mitten in Europa. Wir haben aber auch alle unsere eigene Tradition und unsere Kultur. Unser politisches System mit seinen demokratischen Rechten ist uns sehr wichtig. Das heisst, die Schweiz wird immer etwas anders sein als das übrige Europa.

Innerhalb oder ausserhalb der EU?

Diese Frage ist noch lange nicht aktuell. Jetzt haben wir die bilateralen Verträge (mit der EU), jetzt müssen wir sehen, wie sich unsere Beziehung zu Europa damit entwickelt, wie wir uns entwickeln und wie sich die EU mit ihrer Osterweiterung entwickelt. Bis diese Frage wieder auf dem Tisch ist, werden wir mehr wissen.

Welche Vorteile bringt das Bankgeheimnis der Schweiz?

Dank den strengen Gesetzen bringt das Bankgeheimnis nicht der Schweiz den grössten Vorteil, sondern den Bankkundinnen und -kunden. Für mich und die meisten Leute in der Schweiz ist die finanzielle Privatsphäre sehr wichtig, und die sollte geschützt, darf jedoch nicht missbraucht werden.
Im Gegensatz zu anderen Ländern liefern die Banken den Steuerbehörden nicht automatisch Informationen über ihre Kundschaft. Das Bankgeheimnis wird nur bei Strafuntersuchungen gebrochen, und ich persönlich finde das gut. Das sollte so bleiben, weil es einerseits Geheimhaltung bringt und andererseits sicherstellt, dass diese Geheimhaltung nicht für kriminelle Zwecke missbraucht wird.

Sehen Sie kein Problem darin, dass das Bankgeheimnis Steuerflüchtlinge schützt?

In der Schweiz haben wir eine Abzugssteuer (Verrechnungssteuer) auf Schweizer Finanzinstrumenten. Eine Lücke gibt es noch bei ausländischen Finanzinstrumenten, wo es zum Teil keine solche Steuer auf Anleihen gibt.
Wir haben in unseren Diskussionen mit der EU vorgeschlagen, diese Lücke zu schliessen. Das ist in meinen Augen ein sehr vernünftiger Vorschlag.

Sollte Steuerhinterziehung in der Schweiz unter Strafe gestellt werden?

Ich finde das System der Selbstdeklaration und der Verrechnungssteuer sehr gut. Damit werden kleine Unterlassungen und Vergehen nicht kriminalisiert, das Einkommen wird aber bei unvollständiger Deklaration trotzdem erfasst. Deshalb hat die Schweiz – im Vergleich zu den meisten europäischen Ländern – eine der höchsten Raten an “Steuergehorsam”

Würden Sie in einem Land wie Deutschland zum Beispiel einer Steueramnestie wie in Italien zustimmen?

Das ist Sache dieser Länder, ich kann verstehen, dass man dafür, aber auch dagegen sein kann.
Unsere Strategie ist es, gute, innovative und hochqualifizierte Dienstleistungen anzubieten, nicht nur in der Schweiz, sondern in der ganzen Welt. Wo immer unsere Kundschaft ihr Geld anlegen will, wir hoffen, dass wir ihnen überall ein gutes Angebot machen und einen ausgezeichneten Service anbieten können.

Schaden Steueramnestien in anderen Ländern dem Finanzplatz Schweiz?

Es hat sich gezeigt, dass die Steueramnestie in Italien keine grossen Auswirkungen hatte. Aber es ist natürlich klar: je attraktiver die Situation in den wichtigsten Ländern der Welt ist, desto weniger attraktiv wird es, sein Geld ausser Landes, also offshore anzulegen.
Ich glaube aber, dass es immer einen grossen Offshore-Markt geben wird, nicht nur aus Steuergründen, sondern vor allem, weil die Kundschaft ihre Gelder verteilen will und manchmal keine geeignete lokale Investitionsmöglichkeit hat.

Viele Manager fielen in den letzten zwei Jahren in Ungnade. Sind Sie noch stolz darauf, Manager zu sein?

Solange es auf dem Kapitalmarkt aufwärts ging, applaudierte man den Managern. Man dachte, sie seien für diese äusserst positive Entwicklung verantwortlich. Aber vielleicht verdienten sie diesen Applaus nicht, weil die Märkte einfach in dieser Richtung gingen. Jetzt, da sich das Blatt gewendet hat, haben wir natürlich die gegenteilige Reaktion: Die Vielgepriesenen sind nun die Sündenböcke und werden von den Investoren, auch von den Managern selber, für die Verluste verantwortlich gemacht. Das ist zwar verständlich und war zu erwarten. Ich persönlich versuche, stolz zu sein auf das, was ich tue, und versuche mein Bestes zu geben. Die Arbeit des Managers ist wichtig, und sie muss auf integre Weise getan wird.

In der Öffentlichkeit haben die Managerlöhne grosses Aufsehen erregt. Was ist in Ihren Augen ein vernünftiger Lohn für jemanden in Ihrer Stellung an der Spitze einer grossen Schweizer Bank?

Das hängt stark von der Nachfrage nach solchen Leuten ab. Sie sind natürlich sehr mobil und haben Alternativen. Deshalb müssen jene, welche diese Löhne bestimmen, sich fragen, was sie erwarten, auch mittelfristig, und dies mit anderen Berufen vergleichen. Da gibt es immer Unterschiede.
Als die Leistung der meisten Firmen ausgezeichnet war, gab es sehr hohe Löhne. Der Trend gegen unten wird sich sicher auch auf die Löhne auswirken, besonders im Finanzsektor.

Wird der Fall von Martin Ebner der Schweiz als Finanzzentrum schaden?

Wenn man die quantitativen Auswirkungen ansieht, wohl kaum. In den Zeitungsartikeln über die BZ-Gruppe werden Investitionen von gegenwärtig 6-8 Milliarden Franken erwähnt. Das ist nicht einmal 1 Prozent der Marktkapitalisierung an der Schweizer Börse. Absolut gesehen ist es eine grosse Zahl, im Vergleich zum gesamten Aktienmarkt aber ist sie relativ unbedeutend.

Andererseits hat Ebner natürlich viele Kleinsparerinnen und -sparer dazu verleitet, ihr Geld in Aktien anzulegen. Damit symbolisieren Ebners Probleme jetzt die Probleme vieler Investoren, und fast alle haben beträchtliche Verluste erlitten.

Einige würden sagen, die Vorteile der Schweiz als Finanzzentrum sind nicht mehr gross, warum sollten Investoren also ihr Geld in die Schweiz bringen?

Ich denke, der Ruf der Schweiz als Finanzzentrum ist weiterhin intakt. Wir haben eine sehr stabile politische Situation, ein sehr stabiles Finanzsystem, eine ausgezeichnet bewirtschaftete Währung und Dienstleistungen wie nirgends sonst auf der Welt. Die Schweiz bleibt also sicher weiter sehr attraktiv.

Würden Sie schwören, dass die Zahlen von Credit Suisse wahrheitsgetreu wiedergegeben sind, dass sie stimmen?

Wir haben unsere Finanzstatements immer sehr genau angesehen und haben keine Probleme, sie zu bestätigen.

Sollte es die Schweiz in Sachen Geschäftsführung nicht so machen, wie es die Firmen in den USA nun tun?

In vielen tun wir das bereits, ich sehe da keine grossen Unterschiede.

Wie würden Sie zu einer möglichen Fusion zwischen der Credit Suisse und der UBS stehen?

Ich glaube, weder unser Land noch die beiden Banken wären damit gut bedient. Es gibt beträchtliche Überschneidungen, und wir hätten dann in der Schweiz eine ungesunde Marktkonzentration.

Würden Sie jetzt UBS-Aktien kaufen?

Ich denke, unsere sind besser.

Interview: Robert Brookes
Übersetzung: Charlotte Egger

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