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Ende der Reise im Velosattel von Bern nach Peking

Eine Reise voller Höhepunkte: Samuel Anrig (links) und Julian Zahnd am Ende ihres Abenteuers. swissinfo.ch

Fast acht Monate nach dem Start ihrer Velotour von Bern nach Peking sind die Berner Julian Zahnd und Samuel Anrig in ihre Heimatstadt zurückgekehrt. Von dort schicken sie ihren Bericht über das Ende ihrer abenteuerlichen Reise in den Osten.

In gewisser Weise hatten wir China bereits mit der Ankunft in Peking verlassen. Mit unserem Pekinger Bekannten, der auf der Schweizer Botschaft arbeitet, teilten wir dessen Appartement, das einem der angesehensten Hotels der Stadt angehört.

Wie aus heiterem Himmel genossen wir plötzlich wieder internationale Küche, internationales Fernsehen, kommunizierten in Englisch und gingen im T-Shirt in der gut geheizten Wohnung umher. Wir bewegten uns auf einer internationalen Insel inmitten der chinesischen Hauptstadt.

Ersehntes wird gewöhnlich

Es war dies nicht mehr das China, das wir während der letzten Monate kennengelernt hatten, und tatsächlich erlebten wir in diesem Moment eine Art Kulturschock. Und dennoch ging es beängstigend schnell, bis wir uns an die “neue”, uns vertraute Realität gewöhnt hatten.

Bereits am zweiten Tag ertappte ich mich dabei, wie ich einen Teller Spaghetti Bolognese ohne grosse Empfindungen verschlang. Immer wieder hatte ich mir während der Veloreise einen ebensolchen Teller herbeigesehnt und mir den Verzehr als ausserordentliches Erlebnis vorgestellt. Nun war all dies wieder normal.

Einzigartiges Reisen per Rad 

Ich hoffe, dass mir ein Teil meiner während der Reise erworbenen Bescheidenheit bis in die Heimat folgen wird. Während des Velotrips lernten wir, unsere Bedürfnisse auf ein Minimum zu reduzieren und die Gedanken auf das Wesentliche wie die Suche nach einem Schlafplatz, die körperliche Befindlichkeit oder die Suche nach Nahrung zu fokussieren.

Andererseits bleibt während des Radelns reichlich Zeit, die Gedanken in entfernte Welten zu entsenden. So frei und inspiriert wie auf dieser Reise werden sie wohl nicht so bald wieder sein.

Es ist genau diese Mischung aus eng gesteckten Grenzen, der Rückbesinnung auf Wesentliches und der grenzenlosen physischen wie auch mentalen Freiheit, die das Reisen per Rad so einzigartig macht.

Nachdem uns der Schweizer Botschafter offiziell empfangen und uns seinen Respekt gezollt hatte, waren wir endgültig in Peking angekommen. Danach vergingen die Tage in Chinas Hauptstadt wie im Flug. 

Luftqualität “risikoreich”

Wir erlebten eine für seine Grösse sehr geordnete 20-Millionen-Metropole, die je nach Wetterlage unter einer braungrauen Smogwolke zu versinken droht. An solchen Tagen pendelte sich die Messanzeige für die Luftqualität auf “risikoreich” ein.

Peking geizt nicht mit Sehenswürdigkeiten, die wir während unseres kurzen Aufenthaltes kaum alle besichtigen konnten. Hochhäusern drohen, die mehrere hundert Jahre alten Klosteranlagen, eindrückliche Kaiserpaläste wie die Verbotene Stadt und gigantische Tempelkomplexe zu verdrängen. Tradition und Moderne liegen Seite an Seite.

Mitte Dezember steigen wir in Peking ins Flugzeug, das in zehn Stunden eine Strecke zurücklegt, für die wir vorher sieben Monate benötigt hatten. Ein komisches Gefühl.

Vom Schneesturm gebremst

Um die Reise gebührend abzurunden, beschliessen wir, für den Weg von Zürich in unsere Heimatstadt Bern ein letztes Mal das Rad zu besteigen.

Es ist Sonntag Vormittag und wir durchqueren zunächst ein menschenleeres Zürich. Die grösste Stadt der Schweiz präsentiert sich uns im Vergleich zum geschäftigen Peking wie ein verschlafenes Nest.

“Reisen ist der Tod eines jeden Vorurteils”, lautete der Leitspruch eines Radlers, den wir unterwegs in China getroffen hatten. Wie wir so durch die Schweiz fahren, wird mir bewusst, dass diese Redewendung nicht nur für Vorurteile gegenüber dem Ausland Gültigkeit hat, sondern genauso gegenüber dem eigenen Land. Unter Reisenden gelten Schweizer nicht als ausgesprochen offen und kontaktfreudig. Umso mehr erstaunt uns das grosse Interesse, das viele Leute für unser Projekt zu haben scheinen.

Sowohl am Flughafen als auch in einigen Restaurants werden wir immer wieder neugierig beäugt und mit Fragen konfrontiert. Und wir geniessen es sehr, jedes einzelne Wort zu verstehen und auf jede Frage ausführlich antworten zu können.

Vor wenigen Tagen sind wir in Bern angekommen, fast gleichzeitig wie der Winter, der uns auf den allerletzten Radkilometern beinahe gestoppt hatte. Nun befinden wir uns wieder am selben Ort, wo alles begonnen hat.

In den nächsten Wochen und Monaten werde ich mich wohl immer wieder gedanklich auf die Reise begeben, Erlebnisse Revue passieren lassen und verarbeiten. Und ich hoffe, dass dieser Prozess noch lange anhalten und die gedankliche Reise noch lange nicht zu Ende sein wird.

Aus Liebe zur Freiheit und zur sportlichen Betätigung entschied sich Julian Zahnd für eine Reise mit dem Velo von Bern nach Peking.

  

In Samsun am Schwarzen Meer ist sein Freund Samuel Anrig dazu gestossen. Er hat Julian für den Rest der Reise begleitet.

Julian war am 27.04.2011 in Bern gestartet. Die Route führte über Italien in die Länder des Balkans, die Türkei, Iran, Turkmenistan, Kirgistan.

Anfangs Dezember sind sie in Peking angekommen und Mitte Dezember mit dem Flugzeug nach Bern zurückgekehrt.

Die Route – insgesamt 13’000 km – verlief über weite Strecken der ehemaligen Seidenstrasse entlang.

Die Abenteurer haben pro Tag im Durchschnitt rund 100 km zurückgelegt.

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