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NGO kämpft für den Erlass von Diktatorenschulden

Ferdinand Marcos, einer von zahlreichen Diktatoren, die ihr Land verschuldet haben. AFP

Der moralische Standpunkt scheint klar: Die Schulden diktatorischer Regimes in Entwicklungsländern müssen erlassen werden. Doch es gibt dafür kein Gesetz.

Die Aktion Finanzplatz Schweiz hat in Bern eine internationale Konferenz organisiert. Ziel war es, einen Vorschlag zur Beurteilung und Streichung illegitimer Schulden auszuarbeiten.

Diktatorische Regimes, die sich auf Kosten der Bevölkerung und des Staates bereichert haben, hinterlassen dem Land oft eine grosse Schuldenlast.

Eine Schuldenlast, die in der Vergangenheit von den Nachfolge-Regierungen nicht immer anerkannt wurde.

Rechtlich gesehen spricht man in diesem Zusammenhang vom so genannten Konzept illegitimer Schulden. Der Möglichkeit, dass in bestimmten Fällen die Nachfolge-Regierungen von illegitimen Regimes die internationalen Schulden ihrer Vorgänger zurückweisen können.

Im Jahr 2002 hat der Internationale Währungsfonds (IWF) eine Studie zu diesem Konzept veröffentlicht. Die Studie hatte jedoch keine Konsequenzen – sie ist rechtlich nicht zwingend.

Gemäss einer Schätzung der Aktion Finanzplatz Schweiz (AFP) belaufen sich die illegitimen Schulden der Entwicklungsländer auf rund 500 Milliarden Dollar.

Interview mit André Rothenbühler, Co-Geschäftsleiter der AFP.

swissinfo: Weshalb ist es wichtig, das Thema illegitime Schulden zu behandeln?

André Rothenbühler: Es ist eine Tatsache: Die Entwicklungsländer, die die Last illegitimer Schulden zu tragen haben, sind häufig hoch verschuldet.

Unser Ziel ist ein Streichungsverfahren für solche unlauteren Schulden. Wir hoffen, dass die betreffenden Länder dadurch ihre Schulden deutlich abbauen können.

swissinfo: Der Begriff illegitime Schulden scheint aus ethischer Sicht unbestritten. Weshalb ist es so schwierig, diesen Begriff auf internationaler Ebene durchzusetzen?

A.R.: Auf internationaler Ebene gibt es bis heute kein Gesetz, das ein Beurteilungs- oder Streichungsverfahren für illegitime Schulden vorsieht. Das hat verschiedene Gründe: Erstens besteht keine allgemeingültige Definition dafür, wann eine Schuld als illegitim gilt.

Zweitens befürchten die verschuldeten Entwicklungsländer, dass sie – wenn sie sich weigern, die illegitimen Schulden zurückzuzahlen – keine neuen Kredite erhalten.

swissinfo: Wie steht die Schweiz zu diesem Thema?

A.R.: Die offizielle Schweiz – insbesondere das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) – nimmt dazu nicht klar Stellung. Gemäss den Behörden hat die Schweiz keine Kredite gesprochen, die als illegitime Schulden betrachtet werden können.

Hinter diese Aussage muss ein Fragezeichen gesetzt werden. Nehmen Sie die Kredite für das Ilisu-Staudammprojekt in der Türkei als Beispiel, die dank der vom Bundesrat gewährten Exportrisikogarantie für Firmen gesprochen wurden.

Ähnliche Beispiele gibt es in China. Es sind Projekte, die verheerende Auswirkungen auf die Umwelt sowie Zwangsumsiedlungen zur Folge haben. Da muss man sich schon fragen, ob das noch legitim ist.

swissinfo: Was war das Ziel der zweitägigen Konferenz in Bern?

A.R.: Es ist das erste Mal, dass sich Vertreter von Nichtregierungs-Organisationen (NGO) und Juristen verschiedener Länder getroffen haben, um über ein Beurteilungs- und Streichungsverfahren für illegitime Schulden zu diskutieren.

Die NGO-Vertreter haben immer wieder das Problem, dass ihnen für ihre Kampagnen das rechtliche Know-how fehlt.

Mit Hilfe der Juristen kann ein rechtlich praktikables Verfahren zur Beurteilung illegitimer Schulden erarbeitet werden. Wie bereits gesagt, unser Ziel ist es, unlautere Schulden von diktatorischen Regimes zu streichen.

Die Weltbank spricht sich jedoch eher gegen diese Idee aus. Für sie steht der Erlass solcher Schulden nicht mehr auf der Traktandenliste. Die Weltbank will sich vielmehr auf die Zukunft konzentrieren – das heisst auf die Vergabe von Krediten.

Das ist unserer Ansicht nach unakzeptabel. Es geht doch nicht an, dass Entwicklungsländer Schulden in Milliardenhöhe zurückzahlen müssen, die von Diktatoren verursacht wurden.

swissinfo: Nicht akzeptabel in moralischer oder in entwicklungspolitischer Hinsicht?

A.R.: Natürlich in beiderlei Hinsicht. Es ist ganz klar: Das Geld, das diese Länder zur Begleichung von Diktatorenschulden überweisen müssen, fehlt ihnen anschliessend für die Entwicklung ihres Landes.

swissinfo-Interview, Pierre-François Besson
(Übertragung aus dem Französischen: Corinne Buchser)

Als illegitime Schulden gelten Kredite, die statt zum Wohle eines Volkes in die private Kasse von diktatorischen Regimes geflossen sind und so die Schuldenlast des Landes vergrössern.

Aus ethischer Sicht ist es schwierig, diese Gelder zurückzufordern.

Gemäss der Definition von Alexander Sack, der diesen Begriff eingeführt hat, müssen die folgenden drei Bedingungen erfüllt sein: Die Schulden wurden von der Bevölkerung des entsprechenden Landes nicht anerkannt. Die Schulden wurden auf Kosten der Bevölkerung gemacht. Die Kreditgeber waren im Wissen, dass die Gelder zweckentfremdet wurden.

In der Vergangenheit haben sich mehrere Länder geweigert, illegitime Schulden zurückzuzahlen. So zum Beispiel Mexico.

Ende des 19. Jahrhunderts haben die USA verhindert, dass das unabhängige Kuba nach dem spanisch-amerikanischen Krieg die Schulden bezahlen musste, die zuvor die Kolonialmacht Spanien in dessen Namen aufgenommen hatte.

Nach dem Fall des irakischen Diktators Saddam Hussein verlangten amerikanische Staatssekretäre, die Schulden des Regimes zu streichen. Die Kreditgeber vermieden es jedoch den Begriff illegitime Schulden zu verwenden – aus Angst damit einen Schneeballeffekt auszulösen.

Die Nichtregierungsorganisation (NGO) mit Sitz in Basel wurde 1978 gegründet.

Sie kämpft mit Kampagnen gegen Steuerflucht und auf Schweizer Banken blockierte Potentatengelder (Duvalier, Mobutu, Marcos, Abacha).

Gemäss der AFP braucht es für das Schweizer Finanzsystem mehr demokratische Kontrolle und mehr Transparenz.

Zudem müsse der Umgang insbesondere mit Ländern, die nicht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) angehören, verbessert werden.

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