
Was würde das Stimmrechtsalter 16 ändern?

Sollen 16-Jährige das Stimmrecht erhalten? In der Schweiz ist diese Idee immer wieder auf der politischen Agenda – und wird in der Regel kategorisch abgelehnt. Ein neuer Index zeigt, dass die Auswirkungen eines solchen Schritts auf die Wahlbeteiligung von Jugendlichen weltweit nicht sehr gross sein dürften.
1979 lehnte eine knappe Mehrheit der Stimmberechtigten etwas ab, das heute als selbstverständlich gilt – das Stimm- und Wahlrecht für 18-Jährige. Einige der damaligen Argumente klingen für moderne Ohren etwas verstaubt.
«Die jungen Menschen von heute sind in manchen Bereichen, wie zum Beispiel in sexuellen Angelegenheiten, sicherlich unbefangener und frühreifer als früher – aber das ist kein Beweis dafür, dass sie politisch oder charakterlich reifer sind», sagte ein Ständerat. Das Wahlalter blieb bei 20 Jahren.
Doch die Geschichte nahm einen anderen Lauf. Bereits 1969 hatte Grossbritannien das Wahlalter von 21 auf 18 Jahre gesenkt. Die USA taten 1971 dasselbe. Länder wie Australien, Schweden und Frankreich folgten dem Trend in den 1970er-Jahren.
In den 1980er-Jahren senkten verschiedene Kantone das Wahlalter. 1991 kam es zu einer weiteren nationalen Abstimmung – diesmal stimmten über 70% dafür.
Die Untergrenze erreicht
Drei Jahrzehnte später geht die Debatte über das «richtige» Alter weiter – aber die Untergrenze scheint zumindest in der Schweiz vorerst erreicht zu sein.
Die Idee, 16- und 17-Jährige wählen und abstimmen zu lassen, taucht regelmässig auf – und wird ebenso regelmässig wieder verworfen. Das Parlament beerdigte letztes Jahr einen entsprechenden Vorschlag. Acht Kantone, zuletzt Luzern, lehnten ihn in einer Volksabstimmungen abExterner Link. Der Kanton Glarus wurde 2007 zur einzigen Ausnahme.
Warum hat die Idee so schlechte Karten? Eine neue Studie des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDA)Externer Link legt nahe, dass es nicht an der politischen Reife der Jugendlichen selbst liegt.
Laut Umfragedaten des ZDA ist die bürgerliche Selbstwahrnehmung von 16- und 17-Jährigen in der Schweiz praktisch identisch mit derjenigen von 18- bis 25-Jährigen: Minderjährige sind genauso an politischer Partizipation interessiert, genauso der politischen Debatte ausgesetzt und konsumieren sogar mehr politische Informationen als die etwas ältere Altersgruppe.
Die Ergebnisse seien für ihn überraschend gewesen, sagt Studien-Mitautor Robin Gut. «Wir gingen davon aus, dass 16- und 17-jährige Bürger:innen weniger politisches Interesse bekunden würden, weil sie noch nicht wahlberechtigt sind. Am Ende gab es aber tatsächlich keine oder nur sehr geringe Unterschiede zwischen den Altersgruppen.»
Würden sie wählen?
Während die Studie nahelegt, dass junge Bürger:innen subjektiv «bereit» und interessiert sind, ist noch unklar, inwieweit sie tatsächlich wählen und abstimmen gehen würden, wenn sie könnten.
Eine Umfrage von 2014 ergab, dass eine Mehrheit der 16- und 17-Jährigen in der Schweiz dafür war, das Wahlalter so zu belassen, wie es war.
In Glarus, wo das politische System durch das eigentümliche Landsgemeinde-Format geprägt ist (siehe unten), sind die anekdotischen Berichte über die Beteiligung der Jugendlichen seit 2007 positiv.
Doch laut Schätzungen von Guts Kolleg:innen am ZDA gehen junge Stimmberechtigte im Kanton seltener wählen und abstimmen als ältere – insbesondere bei lokalen Abstimmungen.
In Glarus können jahrhundertealte Freiluftversammlungen immer noch zu innovativen politischen Entscheidungen führen:

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Demokratie in Reinkultur? Reportage von der Landsgemeinde Glarus
Argentinien, Österreich, Brasilien, Ecuador und Malta haben das Wahlalter auf nationaler Ebene auf 16 Jahre gesenkt. Verschiedene europäische Staaten haben dasselbe auf lokaler oder regionaler Ebene getan.
Studien darüber, wie es sich bewährt hat, fallen im Allgemeinen positiv aus. In Schottland haben die neu wahlberechtigten 16- und 17-Jährigen 2014 massiv am Unabhängigkeitsreferendum teilgenommen und sind seither engagiert gebliebenExterner Link.
Auch österreichische 16- und 17-Jährige neigen dazu, mehr zu wählen als ältere Erstwähler:innen, und sie wählen auch nicht wesentlich anders, schreibt der Europarat in einem BerichtExterner Link.
Zurückhaltende Wähler:innen
Eine solche Reform ist jedoch keine Wunderlösung für die allgemeine politische Entfremdung der Jugend. Der jüngste Global Youth Participation IndexExterner Link, der 141 Länder anhand verschiedener sozioökonomischer, bürgerlicher und politischer Indikatoren analysiert, gewichtet ein niedrigeres Wahlalter nicht als besonders wichtig – und keines der Top-10-Länder erlaubt 16-Jährigen zu wählen.
Insgesamt, sagt Mitautorin Kirstie Dobbs vom Merrimack College, war die Dimension «Wahlen» eine der schwächsten im gesamten Index.
Jugendliche – in diesem Fall grob definiert als Mitte der Teenager bis Ende 20 – fühlen sich «einfach nicht so von Wahlen angezogen», sagt sie.
Dobbs nennt einige Gründe dafür. Einer ist, dass junge Menschen einfach andere Prioritäten haben, wie einen beruflichen und persönlichen Weg zu finden. Ein anderer ist das schwindende Vertrauen in die Wahlverfahren.
Frühere Forschungen von Dobbs in Tunesien nach dem Arabischen Frühling ergaben beispielsweise, dass junge Menschen politisch motiviert waren, Wahlen aber als korrupt betrachteten.
Selbst in einer etablierten Demokratie wie Österreich schreibt der Youth Participation IndexExterner Link, dass der Vorteil eines niedrigen Wahlalters durch «zunehmenden Vertrauensverlust in politische Parteien» aufgewogen wird. Österreich lag auf Platz 14 des Rankings.

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In diesem Kontext glaubt Dobbs, dass eine Senkung des Wahlalters keinen grossen Unterschied macht, zumindest nicht allein. «Es ist ein grossartiger politischer Anfang, aber die Auswirkungen hängen von anderen Dingen drum herum ab», sagt sie.
Familienkultur, Bildung und soziales Kapital (wie man in eine Gemeinschaft eingebettet ist) seien entscheidend.
Politik und politische Parteien versagen auch immer noch dabei, junge Menschen digital zu erreichen, sagt sie. Inzwischen seien Debatten über das Wahlalter weit entfernt von Themen wie psychische Gesundheit, fügt Dobbs hinzu.
«Wie kann man jemanden ermutigen, wählen zu gehen, wenn man ihn oder sie nicht einmal morgens aus dem Bett bekommt?»
Demokratische Inklusion und Gerechtigkeit
Robin Gut vom ZDA bestätigt, dass eine Senkung des Alters kein «Game-Changer» sei. Dies gelte auch für die potenziellen Auswirkungen auf Abstimmungen in der Schweiz.
Er berechnet, dass 16- und 17-Jährige 2,4% einer erweiterten Schweizer Wähler:innenschaft ausmachen würden. Das ist ein beträchtlicher Anteil, aber wahrscheinlich nicht genug, um Abstimmungen zu Themen zu kippen, bei denen die älteren Wähler:innen überwiegen, wie bei der Rentenreform.
Junge Menschen könnten höchstens bei sehr knappen Entscheiden einen Einfluss haben. Zum Beispiel bei der Abstimmung 2020 über den Kauf neuer Kampfjets – die mit 50,1% angenommen wurde und immer noch ein heisses Thema ist.
Fünf Jahre nach der hauchdünnen Kampfjet-Abstimmung von 2020 sorgt das Thema immer noch für politische Wirbel:

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Insgesamt argumentiert Gut jedoch, dass aus wissenschaftlicher Sicht «nichts gegen eine Senkung des Wahlalters spricht». Die Hindernisse seien eher politisch als empirisch, sagt er: Das Thema habe einfach keine Priorität im Vergleich zur Sicherheitspolitik, Klimapolitik, Rentenreform oder zum Gesundheitswesen.
Junge Menschen hätten auch keine starke Lobby und keine Finanzierung; es gebe auch keinen parteiübergreifenden Konsens – das Thema sei hauptsächlich ein linkes.
Da die Bevölkerung älter wird, werde das Wahlalter auch aus Sicht der demokratischen Gerechtigkeit immer wichtiger, fügt Gut hinzu.
Einerseits wäre eine Senkung ein «Signal» an junge Menschen, dass sie ernst genommen werden. Andererseits sei es zunehmend problematisch, dass ältere Wähler:innen eine so grosse Entscheidungsmacht über jüngere haben. «Mittel- bis langfristig – mit einem Median-Wahlalter, das auf 60 zugeht – müssen wir das angehen», sagt er.
Natürlich würde eine Senkung des Alters dies nicht umkehren – angesichts der demografischen Entwicklung würde es den Trend nur leicht verlangsamen. Um eine drohende Gerontokratie wirklich zu vermeiden, bringt Gut andere Ideen ins Spiel:
Familienstimmrechte zum Beispiel oder die Notwendigkeit, dass Abstimmungen auch eine Mehrheit der unter 40-Jährigen erreichen müssen, um angenommen zu werden. Natürlich, so Gut, hätten solche Ideen eine noch geringere Erfolgschance als die Idee, das Wahlalter zu senken.
Edited by Benjamin von Wyl/sb, Übertragung aus dem Englischen mithilfe der KI Claude: Janine Gloor

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