
«Das ist Putins Traum: die Normalisierung seines Verbrecher-Regimes»

Eine hochrangige russische Parlamentsdelegation nimmt an einer Konferenz in Genf teil – trotz westlicher Sanktionen. Mitglieder der russischen Opposition sind empört.
Eine russische Parlamentsdelegation unter der Leitung der Vorsitzenden des Föderationsrates, Valentina Matwijenko, nimmt an der 6. Weltkonferenz der Parlamentspräsidenten und dem 15. Gipfeltreffen der Parlamentspräsidentinnen der Interparlamentarischen Union Externer Link(IPU) teil. Ein Teil der russischen Delegation unterliegt EU- und Schweizer Sanktionen und unterstützt aktiv Russlands Krieg in der Ukraine.
Die Schweiz verbietet Personen, die Sanktionen unterliegen, generell die Einreise oder Durchreise durch die Schweiz. Das Staatssekretariat für Migration und das Aussenministerium können jedoch Ausnahmen gewähren, insbesondere wenn die Person an einer internationalen Konferenz teilnimmt.
Das Aussenministerium kommentiert in der Regel keine spezifischen Fälle, teilte aber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA vor den IPU-Veranstaltungen mit, dass Sanktionen für Delegationen, die an internationalen Konferenzen in Genf teilnehmen, ausgesetzt werden können. Die Konferenzen finden vom 28. bis 31. Juli statt.
Im Gespräch mit RTSExterner Link über die Teilnahme der russischen Delegation erklärte IPU-Generalsekretär Martin Chungong, dass bilaterale Treffen noch nicht bestätigt seien, die IPU aber versuche, Russen und Ukrainer auf ihrer Konferenz zusammenzubringen.
Er erwähnte insbesondere die Situation ukrainischer Kinder, die während des Krieges nach Russland gebracht wurden, als mögliches Gesprächsthema. «Beide Seiten sind sich einig, dass Anstrengungen unternommen werden müssen, um diese Kinder mit ihren Familien wieder zusammenzuführen.»
«Genfer Bühne für Putins Kriminelle»
Kritiker von Putins Regierung sagen jedoch, dass die Schweiz und die IPU Russlands Krieg gegen die Ukraine legitimieren, indem sie der Delegation den Besuch in Genf erlauben.
«Das ist genau das, wovon der Kreml träumt: die Normalisierung von Putins kriminellem Regime», schrieb der Oppositionsblogger Rustem Adagamow über den Schweiz-Besuch der russischen Delegation und argumentierte, dass ihr die «Genfer Bühne» nicht hätte angeboten werden sollen. Adagamow, der derzeit in Prag lebt, wurde von der russischen Regierung als «ausländischer Agent» eingestuft.

Der führende russische Oppositionelle Michail Chodorkowski sagte gegenüber Swissinfo: «Dem Putin-Regime darf nicht erlaubt werden, einen gross angelegten Krieg in Europa zu normalisieren. Meiner Ansicht nach sind Treffen mit hochrangigen Vertretern des Regimes nur akzeptabel, wenn sie Verhandlungen zur Beendigung des Krieges betreffen.»
Chodorkowski: «Das spielt Putin in die Hände»
Chodorkowski sagt, er unterstütze «kulturellen, bildungspolitischen und persönlichen Austausch mit der russischen Gesellschaft», aber «symbolische Empfänge von Regimefiguren spielen nur Putin in die Hände».
Die Anti-Korruptions-StiftungExterner Link (FBK), eine Plattform, die von Unterstützenden des russischen Oppositionsaktivisten Alexej Nawalny betrieben wird, berichtete über den Auftritt der russischen Delegation auf der Konferenz, zu der nicht nur Valentina Matwijenko, sondern auch andere hochrangige Beamte in Putins Regierung wie der stellvertretende Vorsitzende der Staatsduma, Pjotr Tolstoi, und Parteichef Leonid Slutski gehören.
«Alle drei stehen unter EU-SanktionenExterner Link. Und was macht Europa? Die Schweiz drückt beide Augen zu und lässt diese Kriminellen und Kriegstreiber auf ihr Territorium. Italien genehmigt den Flug ihrer Flugzeuge durch seinen Luftraum.»
«Die Schweiz drückt beide Augen zu»
Andrej Loschak, ein russischer Journalist und Dokumentarfilmer im Exil in Paris, der von den russischen Behörden ebenfalls als «ausländischer Agent» eingestuft wurde, sagt, dass sich ein Freund von ihm einer kleinen Demonstration in Genf gegen die Parlamentsdelegation angeschlossen hat und dass das Thema in der Schweiz nicht viel Aufmerksamkeit erhalten hat.
«Ich weiss ehrlich gesagt nicht, was schlimmer ist: dass die Schweiz diese Kannibalen willkommen heisst oder dass es niemanden interessiert – einschliesslich der vielen ukrainischen Flüchtlinge, die in der Schweiz leben.»
Diplomatie oder Normalisierung?
Am 28. Juli traf Matwijenko in der Schweiz ein und hielt auf dem IPU-Gipfeltreffen der Parlamentspräsidentinnen eine Rede zur Unterstützung der militärischen Aggression ihres Landes gegen die Ukraine.
Matwijenko wurde von neun weiteren hochrangigen russischen Regierungsbeamten und Parlamentsmitgliedern begleitet. Mindestens fünf von ihnen unterliegen westlichen Sanktionen.
Der Sprecher des ukrainischen Aussenministeriums (MFA), Heorhii Tykhyi, kritisierte die Teilnahme Matwijenkos an der Konferenz in Genf. Laut dem MFA-Sprecher «gehört Matwijenko vor ein Tribunal, nicht auf internationale Konferenzen», und ihre Zulassung in Genf «ist beschämend und hätte nie passieren dürfen.»
Matvienko's place is in the dock, not at international conferences. Her admission to Geneva is disgraceful and should never have happened.
— Heorhii Tykhyi (@SpoxUkraineMFA) July 28, 2025Externer Link
The Genocidal Matvienko bears personal responsibility for the crime of aggression and all subsequent atrocities after publicly endorsing the…
Die Schweiz folgte mit ihrem Sanktionsregime Externer Linkin Sachen Russland jenem der Europäischen Union. So verhängte die EU bereits 2014 Sanktionen gegen Valentina Matwijenko und andere russische Beamte, denen sich die Schweiz später anschloss.
Wer sind die sanktionierten Personen?

Valentina Matwijenko steht in 27 Ländern, darunter den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und Kanada, unter Sanktionen, die nach der russischen Annexion der Krim verhängt wurden. Ihre Vermögenswerte – einschliesslich Bankkonten – wurden eingefroren.
Sie stimmte sowohl 2014 als auch 2022 für militärische Operationen in der Ukraine sowie 2015 in Syrien und gab entscheidende Stimmen im Föderationsrat ab.
Matwijenkos enge Verbindungen zu Wladimir Putin reichen bis in ihre gemeinsame Zeit in St. Petersburg zurück. Sie ist auch Mitglied des russischen Sicherheitsrates und festigt damit ihre Position als eine der wichtigsten Verbündeten des Präsidenten.
Wie Putin hat sie ihr Bedauern über den Zusammenbruch der Sowjetunion zum Ausdruck gebracht.
Laut Kreml-Quellen, die vom Dossier Center Externer Linkzitiert werden, gilt sie als eine der mächtigsten und erfahrensten Persönlichkeiten in der russischen Politik – und als führende Vertreterin des sogenannten «Frauenflügels» der regierenden Partei Einiges Russland.
Als Vorsitzende des Föderationsrates unterstützte Matwijenko eine Reihe umstrittener Gesetze: das Verbot der Adoption russischer Waisen durch amerikanische Staatsbürger:innen, das Gesetz gegen «homosexuelle Propaganda», das Gesetz zum «Schutz religiöser Gefühle» und das Gesetz über ausländische Agenten. Neben Luxusimmobilien in Russland hat die Anti-Korruptions-Stiftung (FBK) eine Villa der Familie Matwijenko in Italien identifiziert

Leonid Slutsky, Vorsitzender der Liberal-Demokratischen Partei Russlands (LDPR), steht unter Sanktionen der EU, der Vereinigten Staaten, Kanadas, des Vereinigten Königreichs und der Schweiz. Er ist bekannt für seine Unterstützung der Annexion der Krim und Russlands militärische Aggression in der Ukraine.
Slutsky gilt als einer der wichtigsten russischen Akteure bei der Pflege aussenpolitischer Kontakte. Er organisierte regelmässig Reisen auf die besetzte Krim für westliche Politiker, oft aus dem rechtsextremen Spektrum, mit dem Ziel, die Annexion zu legitimieren und Kreml-Narrative in Europa zu verstärken.
2011 zeigten durchgesickerte Fotos seiner Tochter, dass die Familie Slutsky häufig in einer Luxusvilla in der Türkei Urlaub machte, und eine seiner Töchter besuchte eine Schweizer Privatschule mit einem Jahresschulgeld von 88’000 Dollar.
2018 beschuldigten vier Journalistinnen Slutsky der sexuellen Belästigung, einschliesslich unerwünschter Berührungen.
Es ist nicht Matwiyenkos erster Besuch in der Schweiz, seit sie auf die Sanktionsliste des Landes gesetzt wurde. 2016 erhielt sie ein Visum, um an einer Sitzung der Interparlamentarischen Union teilzunehmen.
Damals beantragte die russische Botschaft in der Schweiz eine Einreiseerlaubnis für Matwijenko und Slutsky, die beide gewährt wurden.
IPU-Generalsekretär Martin Chungong sagte gegenüber RTSExterner Link vor der dieswöchigen IPU-Konferenz, dass der russische Krieg in der Ukraine nicht auf der Tagesordnung stehe, aber eine Debatte über parlamentarische Zusammenarbeit für Frieden und Gerechtigkeit geplant sei.
Tradition des Internationalen Genfs
Als neutrales Land hat die Schweiz eine lange Tradition als diskreter Vermittler und bietet Ländern in Konflikt ihre Unterstützung durch Gute Dienste an, bei denen sie zwischen zwei gegnerischen Parteien vermittelt. Genf, seit langem ein Zentrum für internationale Verhandlungen, ist Teil dieser Tradition und beherbergt internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, die IPU, das IKRK und Hunderte von NGOs.
Die 1889 gegründete IPU bringt nationale Parlamente aus der ganzen Welt zusammen, um Dialog und Zusammenarbeit zu fördern.
Was ist Ihre Meinung? Debattieren Sie mit:
Editiert von Balz Rigendinger /vdv

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