Krankenkasse: Schwarze Liste für alle, die die Prämien nicht bezahlen?

Im Tessin wird die Reaktivierung der «Schwarzen Liste» für Personen diskutiert, die ihre Krankenkassenprämien nicht bezahlen. Wie sieht es in anderen Kantonen aus?
Im Tessin diskutiert die Kantonspolitik, ob die während der Pandemie sistierte «Schwarze Liste» der Krankenkassensäumigen reaktiviert werden soll. Ein Druckmittel, das für diejenigen, die ihre Prämien nicht bezahlen, zur Aussetzung der Behandlung führen kann. Die Gesundheitskommission hat sich bereit erklärt, vor der Ausarbeitung ihrer Berichte einen Vergleich mit anderen Kantonen anzustellen.
«Unmenschliche Folgen»
In der Schweiz, erklärt RSI in einem ausführlichen Bericht, gibt es nur noch fünf Kantone, die eine solche Liste führen: das Tessin, Luzern, Zug, Aargau und Thurgau. Vier weitere Kantone, nämlich Graubünden, St. Gallen, Schaffhausen und Solothurn, haben stattdessen beschlossen, diese abzuschaffen. Alle übrigen 17 Kantone haben sie hingegen nie verwendet.
«Der Kanton Wallis hat beschlossen, die Schwarze Liste nicht einzurichten, weil wir glauben, dass dies schwerwiegende Folgen hätte», erklärte der Vorsteher des Walliser Gesundheitsdepartements, Mathias Reynard. «Konkret würde die Aussetzung der Behandlung die ganze Familie betreffen, auch die Kinder. Und dies sogar bei chronischen Krankheiten wie Diabetes oder Asthma, die nicht unter den Begriff der Notfallbehandlung fallen. Hier wären die Folgen unseres Erachtens unmenschlich und stellen ein echtes ethisches Problem dar.»
Die Befürwortenden hingegen haben immer argumentiert, dass die Liste eine abschreckende Wirkung hat, um die Zahl der Nichtzahler zu begrenzen. Aber stimmt das? RSI hat die Gesundheitsdirektorin des Kantons Luzern, Michaela Tschuor, gefragt: «Wir haben die Liste im November ausgesetzt mit dem Ziel, sie abzuschaffen. Sie kostet uns fast eine Million Franken pro Jahr, trägt nicht dazu bei, die Zahl der Säumigen zu reduzieren und verstösst zudem gegen wichtige ethische Grundsätze.»
Der Bericht der RSI-Sendung Il Quotidiano (auf Italienisch):
Der Bundesrat selbst hat sich wiederholt gegen solche Listen ausgesprochen, respektiert aber die Autonomie der Kantone. Im Tessin trat die Praxis 2012 in Kraft. 2018 forderte der sozialdemokratische Grossrat Ivo Durisch mit einer parlamentarischen Initiative deren Abschaffung. Auslöser war ein Vorfall in Graubünden, bei dem ein an Aids erkrankter Versicherter an den Folgen des Behandlungsstopps starb. Dann kam das Coronavirus und die Schwarze Liste im Tessin wurde aufgehoben.
Die zuständige Tessiner Kommission prüft derzeit das Dossier, um zu entscheiden, was zu tun ist. Ebenfalls auf dem Tisch liegt die Umfrage bei den Gemeinden, von denen sich 58% für eine Reaktivierung des Instruments ausgesprochen haben. «Wir sind gerade dabei, die letzten Auswertungen vorzunehmen», sagt Daniele Caverzasio, Präsident der Kommission, «und es ist wahrscheinlich, dass wir den Grossen Rat recht schnell erreichen werden.»
Zur Position der Gemeinden kommt die des Staatsrats hinzu, der sich bereit erklärt hat, die Wiedereinführung umzusetzen. Ein Entschluss, an dem Caverzasio und die anderen Kommissionsmitglieder jedoch zweifeln: «Wir werden in Kürze eingehende Studien durchführen, um zu verstehen, ob dies wirklich die Absicht ist.» Es geht um viel Geld, um 20 Millionen pro Jahr, die zu zwei Dritteln vom Kanton und zu einem Drittel von den Gemeinden getragen werden.
Dies resultierte durch 20‘000 bis ende 2024 registrierte Zahlungsrückstände. 8000 davon haben eine Bescheinigung, nicht genügend finanzielle Mittel zu haben.Im Falle eines Zahlungsausfalls werden 85% der Schulden von den Kantonen übernommen, die restlichen 15% werden von den Krankenkassen getragen. Die Kosten belaufen sich auf nationaler Ebene mittlerweile auf fast 400 Millionen Franken pro Jahr.
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«Natürlich sind Zahlungsrückstände auch hier eine Realität», sagt der Walliser Staatsrat Mathias Reynard, «aber mal ehrlich, wer sich in einer ähnlichen Situation befindet, hätte mit Vermögensausweisen und Verfügungen schon eine ganze Reihe von Problemen, etwa bei der Wohnungssuche. Mit einer solchen Massnahme helfen wir ihm sicher nicht aus der Patsche, und sie würde sich auch nicht positiv auf die Kantonsfinanzen auswirken.»
Die Luzerner Regierungsrätin, die die schwarze Liste aufgehoben hat, gibt sich gelassen: «Nein, wir befürchten keinen Anstieg der Delinquenz», sagt Michaela Tschuor, «wir haben festgestellt, dass wir seit Jahren stabil bei rund 4’500 liegen. Das zeigt uns, dass die Schwarze Liste mit der Bestrafung von Zahlungsunwilligen nicht das richtige Instrument ist.»
In der Tat ist das, was eingezogen wird, im Grunde genommen vernachlässigbar. Ausserdem gibt es keine offensichtlichen Unterschiede zwischen denen, die die Liste haben, und jenen ohne Liste. Vielmehr ist die Parallele zur Höhe der Prämien diese: Je höher sie sind, desto mehr Zahlungssäumige gibt es. Nicht umsonst führt das Phänomen in Appenzell Innerrhoden, wo es keine Schwarze Liste gibt, zu einer kantonalen Abgabe von knapp über 2 Franken pro Kopf. Im Tessin sind es über 50, in Genf sogar über 80 Franken pro Kopf.
Der ethische Knoten der ausgesetzten Pflege
Die Schwarze Liste der säumigen Zahler hat nicht nur finanzielle, sondern auch ethische Auswirkungen. Die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin hat dazu 2023 eine unverbindliche, aber aufschlussreiche Stellungnahme abgegeben. Wie die Vizepräsidentin des Gremiums, Samia Hurst-Maino, bestätigt, geht es dabei um den Entzug der Behandlung: «Damit werden Menschen bestraft, die es am meisten brauchen. Der Entzug der medizinischen Behandlung als Strafe ist unangemessen und unverhältnismässig. Der Ausschluss dieser Menschen steht im Widerspruch zu den Zielen des allgemeinen Zugangs zur Gesundheitsversorgung.»
Die Befürworter:innen dieses Standpunkts argumentieren, dass der Zugang zur Notfallversorgung gewährleistet ist. Für Hurst-Maino eine unzureichende Garantie: «Man muss verstehen, dass der Begriff der Dringlichkeit in der Medizin viel ungenauer ist, als man vielleicht denkt. Er ist gefährlich, weil eine Behandlung auch dann dringend sein kann, wenn der Patient ohne diesen Zugang nicht sofort stirbt.»
Der Kanton Tessin hat bereits erklärt, dass er – falls er die Schwarze Liste reaktivieren sollte – dies unter Prä-Covid-Bedingungen tun würde, d.h. er würde sich auf diejenigen konzentrieren, die zahlen können, aber nicht zahlen wollen – und nicht auf diejenigen, die nicht zahlen können. «Theoretisch könnte dies eine Lösung sein, aber in der Praxis eher weniger», bemerkt die Vizepräsidentin der Ethikkommission.
«In der Schweiz ist aus verfassungsrechtlicher Sicht der Unterschied zwischen Zahlungsverweigerung und Zahlungsunfähigkeit wichtig, denn jemand, der sich weigert zu zahlen, wird als jemand angesehen, der sich entschieden hat, ein Recht nicht auszuüben, und nicht als jemand, der von diesem Recht ausgeschlossen ist.» Zur weiteren Erläuterung führt Hurst-Maino das Beispiel einer Person an, «die zwar Geld hat, aber aufgrund einer Depression nicht in der Lage ist, ihren administrativen Verpflichtungen nachzukommen und deshalb nicht zahlt. Sie würde wahrscheinlich als Zahlungsverweigerin angesehen werden, obwohl sie in der Praxis dazu nicht in der Lage ist. In diesem Fall trägt das internationale Recht der praktischen Schwierigkeit stärker Rechnung, da es diese Unterscheidung nicht zulässt.»
Der Abschnitt über das Phänomen der säumigen Zahler im Tessin (auf Italienisch):
Übertragung aus dem Italienischen: Giannis Mavris

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