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“Die Schweiz ist immer noch attraktiv für grosse multinationale Konzerne”

Femme assise sur un fauteuil nord devant un table avec un café
Will vermehrt mit der Bevölkerung in Kontakt treten: Annette Luther, die neue Präsidentin von SwissHoldings. Avp Media-design Gmbh

Regelmässig unter Beschuss, spielen multinationale Konzerne dennoch eine wichtige Rolle für den Wohlstand der Schweiz, sagt Annette Luther. Die neue Präsidentin von Swissholdings will vermehrt direkt mit der Bevölkerung kommunizieren, um ihre Botschaft zu verbreiten.

Die Interessen der Schweizer Unternehmen werden von einer Vielzahl von Organisationen vertreten, darunter Economiesuisse, der Schweizerische Arbeitgeberverband, der Schweizerische Gewerbeverband (SGV), die kantonalen Handelskammern und Swissholdings.

Weltweit beschäftigen die Mitgliedsunternehmen von Swissholdings rund 1,8 Millionen Menschen, davon rund 200’000 in der Schweiz (Zahlen für 2021); zudem entfallen auf diese Unternehmen rund zwei Drittel der gesamten Börsenkapitalisierung der Schweiz.

Seit Mai 2023 wird Swissholdings von der Freiburgerin Annette Luther präsidiert, die auch Leiterin der internationalen Regierungsbeziehungen bei Roche ist. Wir trafen die neue Präsidentin in ihrem Basler Büro.

Annette Luther (*1970) studierte an den Universitäten Fribourg und Basel, sie hat in Biomedizin doktoriert. Bei Roche hatte die Fribourgerin verschiedene Führungspositionen in der Kommunikation, der Generaldirektion und im Sekretariat des Verwaltungsrats inne; seit April 2023 ist sie für Beziehungen zu Regierungen weltweit verantwortlich.

Neben dem Präsidium von Swissholdings und ihrer Rolle bei Roche hat Annette Luther zahlreiche weitere Funktionen inne: Vizepräsidentin der Universität Basel, Präsidentin der Stiftung der Fachhochschule Luzern, Vizepräsidentin von scienceindustries, Vorstandsmitglied von economiesuisse und Mitglied des Verwaltungsrats der Zuger Kantonalbank.

SWI swissinfo.ch: Die Interessen der Schweizer Wirtschaft werden von mehreren Arbeitgeberverbänden vertreten. Was ist der Unterschied zu Swissholdings?

Annette Luther: Obwohl wir alle im gleichen Boot sitzen, unterscheiden sich unsere Arbeitsweise, die Themen, die wir abdecken, und die Unternehmen, die wir vertreten.

Was Swissholdings betrifft, so sind wir ein branchenübergreifender Berufsverband, der 63 grosse multinationale Unternehmen aus dem Industrie- und Dienstleistungssektor vertritt. Unsere Mission ist die Aufrechterhaltung eines liberalen Umfelds und optimaler Rahmenbedingungen für unsere Mitgliedsunternehmen.

Ist ein Zusammenschluss mehrerer Arbeitgeberverbände ratsam, um Ihre Interessen optimal zu vertreten?

Ich glaube nicht, und es gibt auch keine Bewegung in diese Richtung. Meiner Meinung nach ist die derzeitige Vielfalt vorteilhaft, da die Welt der Wirtschaft nicht homogen ist. Beispielsweise achtet unser Verband besonders auf bestimmte Themen, die speziell für grosse multinationale Unternehmen wichtig sind, aber nicht unbedingt für kleinere Unternehmen.

Was sind die Schwerpunktthemen von Swissholdings?

Wir konzentrieren uns auf die Bereiche Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Steuerbereich haben wir uns zum Beispiel intensiv mit der Mindestbesteuerung von 15% auf den Gewinn grosser multinationaler Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 750 Millionen Euro beschäftigt. Dieses neue Steuersystem wurde glücklicherweise vom Schweizer Volk angenommen, aber wir bleiben sehr aufmerksam, was seine Umsetzung betrifft.

Zwei weitere Beispiele für wichtige Themen sind die Reform des Aktienrechts und die ESG-Berichterstattung (Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien); bei letzterem Punkt ist es wichtig, dass die gesetzlichen Verpflichtungen für die Unternehmen tragbar bleiben.

Offiziell gehören Swissholdings 63 Unternehmen aus dem Industrie- und Dienstleistungssektor mit Sitz in der Schweiz an. Sie haben aber auch Mitglieder, die im Ausland ansässig sind.

Unternehmen wie Mitsubishi Chemical Advanced Materials, Procter & Gamble International Operations oder Takeda gehören ebenfalls zu unseren Mitgliedern. Um Mitglied unserer Organisation zu werden, müssen die Unternehmen nicht in der Schweiz ansässig sein, aber sie müssen eine bedeutende Präsenz in der Schweiz haben.

Dennoch ist kein Unternehmen aus dem Finanz- und Versicherungssektor Mitglied Ihres Verbandes.

Dies ist korrekt. Seit der Gründung unserer Organisation im Jahr 1942 sind diese beiden Sektoren aufgrund ihrer unterschiedlichen Interessenschwerpunkte und ihrer manchmal abweichenden Positionen nicht Teil von Swissholdings.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir nicht zusammenarbeiten. Wir haben oft gemeinsame Anliegen, vor allem mit international ausgerichteten Banken und Versicherungsgesellschaften.

Wie entwickeln sich die Anzahl und die Bedeutung Ihrer Mitgliedsunternehmen?

In den letzten Jahren beobachten wir eine sehr stabile Situation. Zudem sind die meisten der zwanzig Unternehmen des SMI Swiss Market Index (Leitindex der Schweizer Börse) Mitglieder unseres Verbandes. 

Wie messen Sie den Erfolg von Swissholdings?

Unsere Daseinsberechtigung ist die Verteidigung eines attraktiven Wirtschaftsstandorts. Die Anzahl der in der Schweiz vertretenen Grossunternehmen ist der wichtigste Massstab für unseren Erfolg. Glücklicherweise ist die Schweiz immer noch ein attraktiver Wirtschaftsstandort für Grossunternehmen.

Wir müssen darauf achten, diese Situation zu erhalten oder sogar zu verbessern, da diese multinationalen Unternehmen für unseren Wohlstand wichtig sind.

Wie sieht Ihre Vorgehensweise aus?

Einerseits haben wir unsere gesamte interne Arbeit: Unsere Fachgruppen sind Plattformen für den Austausch von Spezialist:innen (Recht, Steuern etc.), die bei unseren Mitgliedsunternehmen angestellt sind.

Andererseits vertreten wir die Interessen unserer Mitgliedsunternehmen nach aussen. Zu diesem Zweck erläutern wir die Auswirkungen bestimmter Regulierungsvorhaben auf unsere Mitglieder. Wir pflegen auch Kontakte mit der Bundesverwaltung und bringen unsere Positionen in Vernehmlassungen zum Ausdruck.

Unsere Kontakte mit dem Ausland sind punktuell. Unsere Büros befinden sich in Bundesbern, eine ständige Präsenz im Ausland haben wir nicht.

Wie steht es um Ihre Kontakte zur Bevölkerung, die manchmal aufgerufen ist, sich bei Referenden oder Volksinitiativen zu äussern?

Seit kurzem haben wir begonnen, direkt mit der Bevölkerung zu kommunizieren, hauptsächlich über soziale Netzwerke. Wir haben festgestellt, dass ein Teil der Bevölkerung ein gewisses Unbehagen gegenüber multinationalen Unternehmen hat und mehr über sie erfahren möchte.

Wie finanzieren Sie sich und wofür werden Ihre finanziellen Ressourcen hauptsächlich verwendet?

Wir werden vollständig von unseren Mitgliedsunternehmen finanziert. Unser Budget ist nicht öffentlich, sondern dient in erster Linie dazu, die Gehälter unserer rund zehn Angestellten zu bezahlen. Im Gegensatz zu anderen Arbeitgeberverbänden finanzieren wir keine politischen Parteien oder Politiker:innen.

Tatsächlich dienen wir sehr grossen Unternehmen, sind aber eine kleine Organisation mit geringen finanziellen Mitteln. Dennoch bemühen wir uns, so effizient wie möglich zu arbeiten und gleichzeitig von der professionellen Expertise der Vertreter:innen unserer Mitgliedsunternehmen zu profitieren.

Von den hundert grössten Schweizer Unternehmen wird etwa die Hälfte von ausländischen CEOs geleitet. Ist das positiv oder negativ?

Die Schweizer Wirtschaft ist sehr international ausgerichtet. Daher ist es nicht überraschend, dass viele Führungskräfte aus dem Ausland kommen. Und ich beziehe mich dabei nicht nur auf CEOs, sondern auch auf andere Führungskräfte.

Natürlich ist es wichtig, dass diese die schweizerischen Eigenheiten verstehen, und in diesem Zusammenhang spielt Swissholdings eine wichtige Rolle.

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