Der perfekte Werbeträger

Mann, Apfel und Armbrust sind für die Werbe- und Kommunikations-Branche ein gefundenes Fressen.
Die Tell-Legende hat Tausende von Produkte-Namen inspiriert. Die Analyse eines aussergewöhnlichen Phänomens.
«Wir begegnen ihm auf Schritt und Tritt «, erklärt Uli Windisch, Soziologieprofessor an der Universität Genf. «Wir sehen Tell, hören Tell, berühren Tell; wir tragen ihn auf unseren Kleidern und Schuhen, wir trinken und essen in seinem Namen. Die einen lieben ihn, die anderen hassen ihn.»
Das Internet liefert uns den Beweis: Die Suchmaschine Google verzeichnet für «Guillaume Tell» 30’000 Einträge, für «Wilhelm Tell» über 100’000 und für «William Tell» 90’000 Einträge.
Tell-Bar und Tell-Wurst
Beim Anklicken stossen wir auf ein buntes Gemisch: Die üblichen historischen, kulturellen und touristischen Beiträge, aber auch Kuriositäten.
Ein Link zum Beispiel führt zur Homepage einer Bar namens «Guillaume Tell» an der Côte d’Azur. Unzählige Restaurants schmücken sich mit seinem Namen. In den meisten Fällen wurden sie vor Dutzenden von Jahren so getauft – die heutigen Besucher haben keine Ahnung warum.
Auf dem Netz tummeln sich auch Kochrezepte: Wir erfahren, dass zum Tell-Menu Blutwurst mit Äpfeln gehört! Und auf mehreren Sites wird uns Gelegenheit geboten, unser Handy-Klingelzeichen auf Rossinis Melodie einzustellen.
Kurz: Um Wilhelm Tell kommt keiner herum. Seit Jahrhunderten wird er von Werbung und Politik für ihre Zwecke eingespannt. «Diese beiden Bereiche stürzen sich auf jedes aussagekräftige Symbol», meint der Soziologe.
Allgemein gültige Werte
Uli Windisch hat dieser Tatsache sogar ein Buch gewidmet, das Wilhelm Tell und die Produkte, die mit seinem Namen werben, in Bild und Text einfängt: «Tell im Alltag».
«Die Humanwissenschaften begnügen sich in der Regel mit dem Hinweis, dass Wilhelm Tell nie existiert hat und auf den Müllhaufen der Geschichte gehört. Mein Gebiet ist die Realität, und die zeigt ein anderes Bild: Der Nationalheld ist allgegenwärtig. Diesem Phänomen wollte ich auf den Grund gehen.»
Laut Uli Windisch ist Tells Erfolg vor allem auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Geschichte über seine Heldentaten eine klare Botschaft vermittelt. Dazu kommt, dass «dieser Mythos Grundwerte anspricht, die alle etwas angehen».
«Freiheit, Mut und Widerstand gegen eine totalitäre Macht: Diese Werte liegen uns allen am Herzen. Jeder fühlt sich angesprochen und alle kennen sein Bild. Man liebt ihn oder nicht – gleichgültig ist er niemandem.»
Der visuelle Link
Für die Kommunikations-Branche ist eine weitere Tatsache von Bedeutung: Jedes einzelne Element des Symbols steht für die ganze Botschaft.
Apfel und Armbrust werden auch ohne sichtbaren Helden mit Wilhelm Tell assoziiert. Die Armbrust entwickelte sich übrigens binnen Kürze zum Symbol für Schweizer Qualitätsarbeit und ging als solches um die Welt.
Ein weiterer Aspekt ist Tells Vielseitigkeit. Uli Windisch ergänzt: «Tell ist eine überaus facettenreiche Persönlichkeit. Er kann seine bisherigen Funktionen (als Vorzeigepatriot und Idealvater) erfüllen, uns jedoch auch als Karikatur zum Lachen bringen.»
«Wilhelm Tell hat alle möglichen Eigenschaften. Er ist nicht nur ein Held, sondern ein allgegenwärtiges und allseits bekanntes Symbol.»
swissinfo, Alexandra Richard
(Übertragen aus dem Französischen: Maya Im Hof)
Für den Suchbegriff «Wilhelm Tell» liefert Google rund 128’000 Beiträge auf Deutsch
101’000 Beiträge auf Englisch
30’000 Beiträge auf Französisch
15’000 Beiträge auf Italienisch
Bierflaschen, Schweizer Messer, Schokoladeschachteln, Schuhe, Souvenirs: Wilhelm Tell ist nicht zu umgehen. Ob uns das passt oder nicht – er ist allgegenwärtig.
Seine Persönlichkeit und seine Attribute sind von Politik und Werbung immer wieder für ihre Zwecke benutzt worden.
Im Laufe der Zeit hat sich der Armbrustschütze zum Symbol für Schweizer Qualität entwickelt. Wer das Symbol benutzen will, muss beim Amt für Geistiges Eigentum eine Bewilligung einholen.

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