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Schweizer Forscher: Neues Prinzip zur Schmerzbekämpfung

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Keystone/Christian Fink /Chromorange

Dank der Entdeckung eines deutsch/schweizerischen Forscherteams könnte es bald möglich werden, chronische Schmerzen ohne unerwünschte Nebeneffekte zu besiegen.

Das Team um den Zürcher Pharmakologen Hanns Ulrich Zeilhofer hat im Rückenmark von Mäusen Rezeptoren entdeckt. Diese wirken als Schmerzfilter, sobald sie mit einer Valium-ähnlichen Substanz in Kontakt kommen.

Laut Professor Hanns-Ulrich Zeilhofer sollte es grundsätzlich möglich sein, eine analoge Schmerzfilter-Substanz zu entwickeln, die auch im Rückenmark von Menschen wirkt. Der an Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) und Universität Zürich tätige Forscher und sein Team präsentieren ihre Studie diesen Donnerstag in der Wissenschaftszeitschrift «Nature».

Schwer behandelbar sind chronische Schmerzen besonders dann, wenn sie ohne genau erkennbaren Grund auftreten. Zum Glück dient beim gesunden Menschen das Rückenmark als Filter für Schmerzsignale:

Längst nicht alle Signale, die aus den verschiedenen Körperteilen eintreffen, werden ins Gehirn weiter geleitet und dort als Schmerz wahrgenommen. Bei chronischen Schmerzpatienten hingegen ist diese Filterfunktion im Rückenmark stark beeinträchtigt, sodass dann sehr viel mehr Signale bewusst und somit als Schmerz empfunden werden.

Hier setzen die Forschungsarbeiten von Zeilhofers Team an. «Der Grund für den Verlust der Schmerz-Filterfunktion ist wahrscheinlich, dass hemmende Schalt-Neuronen im Rückenmark nicht mehr richtig funktionieren», sagt Zeilhofer.

«Und wir glauben nun, in diesen Schaltzentren zwei Rezeptoren entdeckt zu haben, durch deren Aktivierung die Filterfunktion wieder hergestellt werden kann.»

Reagieren auf Valium

Die beiden Rezeptoren arbeiten normalerweise mit dem Nervenbotenstoff GABA (Gamma-Aminobuttersäure). Und deren Wirkung kann mit Benzodiazepinen, also Valium-ähnlichen Stoffen, verstärkt werden. So werden müde Rezeptoren wieder munter gemacht.

«Doch ist es natürlich nicht praktikabel, Schmerzpatienten mit Valium zu behandeln», winkt Zeilhofer gleich ab. Denn erstens wirke Valium sedierend, mache also müde, geistig träge und verliere mit der Zeit seine Wirkung, weil sich der Körper rasch an die Substanz gewöhnt.

«Aber all diese Nebenwirkungen haben ihren Ursprung im Gehirn. Der Schmerz steuernde Effekt hingegen, den wir entdeckt haben, findet im Rückenmark statt.»

Macht nicht müde

Zum Glück kommen die betreffenden GABA-Rezeptoren im Rückenmark in besonders grosser Zahl vor und sind nicht beteiligt an der dämpfenden Wirkung von Valium.

Somit geht es darum, eine Valium-ähnliche Substanz zu finden, die das Gehirn gleichsam links liegen lässt und spezifisch nur mit den GABA-Rezeptoren im Rückenmark reagiert.

Für die Versuche an Mäusen und Ratten hatte Hanns Ulrich Zeilhofer solche Substanzen zur Verfügung, doch «die sind für den Einsatz beim Menschen noch nicht gut genug».

Es sollte eine Pille sein

Damit die neue Schmerztherapie-Methode auch beim Menschen funktionieren kann, muss der Wirkstoff sehr spezifisch für die betreffenden GABA-Rezeptoren im Rückenmark sein. Ausserdem sollte er idealerweise in Pillenform zur Verfügung stehen.

«Das ist eine Herausforderung für medizinische und pharmazeutische Chemiker», räumt Zeilhofer ein. Er und sein Team können die Aufgabe nicht selber lösen, doch «hoffen wir natürlich, dass die Pharma-Industrie unsere Anregungen aufgreifen wird». Man stehe auch schon in Kontakt mit Interessenten.

swissinfo, Ulrich Goetz

Kopfweh, Rückenschmerzen oder Arthritis-Leiden sind oft chronisch, bestehen andauernd oder kommen wiederholt in Wellen.

Diese Art von Schmerz hat die Warnfunktion verloren, hat sich zu einem eigenen Krankheitsbild entwickelt und ist meist nur schwer behandelbar.

Etwa 16% der Schweizer Bevölkerung leiden unter chronischen Schmerzzuständen, die somit auch zu einem gesundheitspolitischen Problem geworden sind.

Denn Schmerzbekämpfung verschlingt inzwischen schätzungsweise mehr Geld als die Behandlung von koronaren Herzerkrankungen, Krebs und Aids kombiniert.

Schmerzforscher haben daher ein lohnendes Feld zu beackern.

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