
Trotz Trumps Behauptungen werden die Medikamentenpreise in Europa nicht so bald steigen

US-Präsident Donald Trump nimmt die europäischen Regierungen ins Visier, weil sie seiner Meinung nach zu niedrige Preise für Medikamente verlangen – auf Kosten der amerikanischen Patienten.
«Ich habe es nicht auf die Pharmakonzerne abgesehen. Ich nehme mir eher die Länder vor», sagte Trump, als er Mitte Mai ein Dekret zur Senkung der Arzneimittelpreise ankündigte. «Es waren wirklich die Länder, die Big Pharma gezwungen haben, Dinge zu tun, bei denen ich mir ehrlich gesagt nicht sicher bin, ob sie sich dabei wirklich wohlfühlen.»
Die «MeistbegünstigungsverordnungExterner Link» (most-favored nation executive order) des US-Präsidenten soll dies ändern, indem sie die US-Arzneimittelpreise an die Preise anderer Industrieländer bindet. Dies würde die Arzneimittelpreise in den USA um 60% bis 90% senken, so Trump.
Es ist unbestritten, dass die Arzneimittelpreise in den USA hoch sind. Eine Studie des Thinktanks RandExterner Link ergab, dass die Arzneimittelpreise in den USA im Durchschnitt zwei- bis dreimal so hochExterner Link sind wie in anderen Industrieländern. Am grössten war der Unterschied bei neuen Markenarzneimitteln, bei denen die Pharmaunternehmen die Exklusivrechte für den Verkauf eines Produkts haben und daher nicht dem Wettbewerb ausgesetzt sind.

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Wie kommen Medikamentenpreise zustande?
Trump hat in seiner ersten Amtszeit als Präsident eine ähnliche Politik verfolgt, wurde aber von US-Gerichten blockiertExterner Link und sah sich starkem Widerstand seitens der Pharmaunternehmen ausgesetzt. Diesmal glaubt er, dass es anders ist, weil er mit Zöllen drohen kann. Er hofft, dass dies andere Länder dazu zwingen wird, mehr für Arzneimittel zu zahlen, sodass die Pharmaindustrie für niedrigere Preise in den USA empfänglicher ist.
Nach Trumps Ansicht subventionieren US-Patient:innen die Gesundheitsversorgung in anderen Ländern, indem sie die Kassen der Pharmaunternehmen füllen, damit diese in Innovationen investieren können. Nach den Berechnungen der Trump-Regierung entfallen auf die USA 4,2 % der Weltbevölkerung, aber etwa 75% der Einnahmen der Pharmaunternehmen.
Die einzige Möglichkeit, die Arzneimittelpreise in den USA zu senken, ohne die Gewinne der Pharmaunternehmen zu schmälern und die Innovation zu opfern, besteht also darin, dass andere Länder, insbesondere in Europa, mehr zahlen.
Nach Ansicht von Expert:innen werden die Preise in Europa jedoch in nächster Zeit nicht steigen. Und selbst wenn sie es täten, würde das die grundlegenden Probleme, die die Arzneimittelpreise in den USA auf einem hohen Niveau gehalten haben, nicht lösen.
«Medikamentenpreise sind eine nationale Angelegenheit», sagt Kerstin Noëlle Vokinger, Professorin für Recht und Medizin an der Universität Zürich und der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH Zürich. «Die Gesetze und die Politik können sich von Land zu Land unterscheiden.»
Eine Preiserhöhung könne nicht einfach so erfolgen, ohne diese Gesetze zu ändern, sagte sie. Anders als in den USA, wo die Unternehmen auf einem freien Markt agieren, sind die Arzneimittelpreise in Europa reguliert, was bedeutet, dass sie nicht einfach auf Knopfdruck steigen können.
Steigende Kosten in Europa
In der Schweiz, die nicht Teil der Europäischen Union ist, werden die Arzneimittelpreise durch das Krankenversicherungsgesetz geregelt. In diesem Gesetz ist festgelegt, dass ein Medikament nur dann in die «Spezialitätenliste» aufgenommen und somit von der obligatorischen Krankenversicherung erstattet wird, wenn es die Kriterien von Wirksamkeit, Angemessenheit und Kosteneffizienz erfüllt.
Ausserdem vergleicht die Schweiz die Preise mit mehreren europäischen Ländern und mit bereits vorhandenen Medikamenten für die betreffende Krankheit, wenn es mit Pharmaunternehmen über einen Preis verhandelt.
Im Vereinigten Königreich berechnet das Nice (National Institute for Health and Care Excellence) die Kosten pro Lebensjahr, das durch eine bestimmte Behandlung gewonnen wird, um zu empfehlen, dass ein Medikament vom National Health Service bezahlt wird. In der Europäischen Union legt jeder Mitgliedstaat seine eigenen Arzneimittelpreise fest, sobald die Europäische Arzneimittelagentur ein Medikament genehmigt hat.
Ausserhalb Europas legt Japan die Preise auf der Grundlage von Vergleichsmedikamenten fest. Wenn dies nicht möglich ist, werden die Kosten, einschliesslich der Kosten für die Entwicklung, die Herstellung und den Vertrieb des Arzneimittels, bewertet. Das brasilianische Gesetz schreibt vor, dass der Preis für die innovativsten Arzneimittel nicht über den Preisen in neun Referenzländern, darunter die USA und Kanada, liegen darf.

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Was ist ein fairer Preis für ein Medikament?
Jeder Vorstoss in Richtung höherer Preise würde auch auf starken Widerstand in der Öffentlichkeit stossen. Die Gesundheitskosten sind weltweit gestiegen. Selbst wenn es eine Regulierung gibt, sind die höheren Arzneimittelpreise daran mitschuldig.
Ein aktueller Bericht europäischer Krankenversicherungen zeigte zum Beispiel, dass in einigen europäischen Ländern die Arzneimittelausgaben im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 4 bis 13% gestiegen sind. Neue, hochpreisige Therapien – viele davon zur Behandlung von Krebs und seltenen Erkrankungen – gelten als Haupttreiber dieser Entwicklung.
Steigende Gesundheitskosten sind laut dem jährlichen Sorgenbarometer der UBS, das im vergangenen Dezember veröffentlicht wurde, die grösste Sorge der Schweizer Bevölkerung. Das Schweizer Parlament berät seit 2020 über ein zweites grosses Paket zur Eindämmung der Gesundheitskosten, und in den letzten zwei Jahren wurde über zahlreiche Gesundheitsthemen landesweit abgestimmt.
Im Januar 2024 schrieb das Bundesamt für GesundheitExterner Link, dass die Medikamentenkosten «in den letzten Jahren überdurchschnittlich stark gestiegen sind» und eine der «Hauptursachen für das starke Wachstum der Krankenversicherungs-Prämien» sind. Es schätzt, dass die Kosten für die von der obligatorischen Versicherung gedeckten Medikamente pro Person in den letzten acht Jahren um mehr als 30% gestiegen sind.
«Innovation kostet, das ist klar», sagte Vokinger. «Wir müssen Innovationen anerkennen und fördern, aber wir brauchen auch ein nachhaltiges Gesundheitssystem.»
Trumps Forderungen nach Preiserhöhungen kommen vor dem Hintergrund einer ähnlichen Debatte in Europa darüber, wie man die Kosten eindämmen und gleichzeitig Innovationen am Laufen halten kann.
In einem Brief, der im April in der Financial TimesExterner Link veröffentlicht wurde, erklärten die Vorstandsvorsitzenden von Sanofi und dem Schweizer Pharmariesen Novartis, dass Europa mit einer schwindenden Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der Biopharmazie konfrontiert sei, weil es dabei versage, Innovationen angemessen zu würdigen».
Sie argumentieren, dass die Preiskontrollen in Europa die Attraktivität beeinträchtigen. Einige Unternehmen haben ihre Medikamente aus Europa zurückgezogen, nachdem die Verhandlungen über den Preis gescheitert warenExterner Link.
Fehlende Transparenz
Die Einzelheiten von Trumps Plan sind noch nicht veröffentlicht worden. Ob die Meistbegünstigsten-Verordnung nur für Medikamente gelten soll, die von Bundesprogrammen wie Medicare (für Senior:innen) abgedeckt werden, oder für alle Medikamente, ist noch nicht bekannt.
Es ist auch nicht klar, welche Hebel die Trump-Administration einsetzen könnte, um die Preise zu beeinflussen, zumal der Grossteil des US-Gesundheitswesens auf einem freien Markt mit privaten Versicherern basiert.
Jeder Versuch, eine solche Preispolitik für Arzneimittel durchzusetzen, würde mehr staatliche Eingriffe und damit eine Überarbeitung der Art und Weise erfordern, wie die Gesundheitsversorgung in den USA bereitgestellt und bezahlt wird. Dies könnte sich auch auf den Zugang zu Arzneimitteln in den USA auswirken, wo diese oft zuerst auf den Markt kommen – manchmal Jahre vor der Einführung in anderen Ländern.

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Unklar ist auch, wie die US-Regierung mit der abnehmenden Transparenz der Arzneimittelpreise umgehen wird. Vertrauliche Rabatte, die mit Pharmaunternehmen ausgehandelt werden, sind in Europa immer weiter verbreitet, so dass es schwierig ist, den tatsächlichen Preis zu erfahren, den Länder oder Versicherer für ein Medikament zahlen. Es gibt auch keine Transparenz darüber, wie die Unternehmen ihre Preise festlegen und welchen Anteil sie in die Forschung für künftige Medikamente reinvestieren.
«Wir alle wollen faire Preise, aber das lässt sich nicht erreichen, wenn jedes Land nur auf sich selbst achtet», so Vokinger.
Heikle Balance
Unabhängig davon, ob Europa die Preise anhebt oder nicht, werden die Pharmaunternehmen weiterhin unter Druck stehen, die Arzneimittelpreise in den USA zu senken.
Präsident Trump kündigte an, dass sein Team in den nächsten 30 Tagen auf die Führungen der Pharmaunternehmen zugehen werde. Sollten die Unternehmen keine «signifikanten Fortschritte» machen, könnte die Regierung regulatorische Massnahmen ergreifen.
Die Pharmaunternehmen stellen sich bereits auf Änderungen ein. Auf die USA entfallen 42% des Umsatzes von Novartis und rund 50% des Umsatzes von Roche. Der amerikanische Branchenverband Phrma schätzt, dass der Meistbegünstigungsplan die Einnahmen der Branche in den USA über ein Jahrzehnt um bis zu 1 Billion Dollar schmälern könnte.
Der Schweizer Pharmariese Roche erklärte gegenüber verschiedenen MedienExterner Link, dass das Unternehmen seine Investitionspläne in den USA überdenken werde, falls Trump die in der Durchführungsverordnung dargelegten Pläne umsetze. Vor der Durchführungsverordnung hatte Roche Pläne zur Ausweitung seiner Präsenz in den USA durch Investitionen in Höhe von 50 Mrd. USD über einen Zeitraum von fünf Jahren vorgelegt.

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So setzen US-Zölle den Pharmastandort Schweiz unter Druck
Der Plan wirft auch Fragen für die Schweizer Regierung auf. Etwa 40% der Exporte des Landes sind Arzneimittel, von denen 60% für die USA bestimmt sind. Ein Rückgang des US-Exportwerts würde natürlich die Schweizer Wirtschaft treffen, aber auch Zölle auf Schweizer Exporte.
Ursprünglich verhängten die USA gegenüber der Schweiz Zölle in Höhe von 31%, was deutlich höher ist als gegenüber anderen europäischen Ländern. Eine Woche später, am 9. April, setzten sie diese Zölle jedoch aus und beliessen es bei einem Pauschalzollsatz von 10%.
Aber die Erfahrung des Vereinigten Königreichs zeigt, dass alles möglich ist. In der vergangenen Woche haben die Regierungen des Vereinigten Königreichs und der USA ein Handelsabkommen geschlossen, in dem Pläne für «Verhandlungen über eine signifikante Vorzugsbehandlung bei Arzneimitteln» erwähnt werden. In der Vereinbarung heisst es, dass das Vereinigte Königreich «sich bemühen wird, das allgemeine Umfeld für die im Land tätigen Pharmaunternehmen zu verbessern».
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Edited von Virginie Mangin/gw, Übertragung aus dem Englischen mit der Hilfe von Deepl: Janine Gloor

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