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Mit Schweizer Hilfe der Wüste entkommen

Die Jurte, das traditionelle Nomadenzelt der Mongolen, heute auch mit Parabolantenne ausgestattet. swissinfo.ch

Rund 40 Prozent der Fläche der Mongolei sind heute von Wüste bedeckt, und es werden jährlich mehr. Die Hirtenfamilien kämpfen ums Überleben; unterstützt werden sie dabei von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA).

Eine riesige Ebene, keine Strassen, am Horizont schneebedeckte Berge. Der Hirte Erdenbat und seine Familie sitzen in ihrer Jurte, schlürfen gesalzenen Ziegenmilchtee und essen Shölte Khool, Nudeln mit Schaffleisch.

Durch die Öffnung über dem Feuer strahlt der stahlblaue Himmel. Von weitem hört man Schafe blöken. Ein idyllisches Bild, aber es täuscht: Viele Tiere der Nomadenfamilien haben den letzten Winter nicht überlebt. Rund 80% der neugeborenen Schafe und Ziegen starben. Die Muttertiere waren zu schwach, um sie auszutragen und zu ernähren. Dieses Jahr droht das gleiche Unheil.

Übergrasung und Erosion

«Mitte August sollten die Weiden grün sein, damit die Tiere genügend Nahrung finden», erklärt der zweifache Familienvater und zeigt auf die braunen Hügel rund um sein Sommerlager.

«Doch schon im Sommer hatte es zu wenig Gras. Dazu kommt ein giftiges Kraut, das die Tiere verenden lässt und zu viele Heuschrecken. Wie sollen wir den nächsten Winter überleben?»

Diese Sorgen teilt Erdenbat mit 170’000 andern Hirtenfamilien im Land. Die Weiden sind übergrast und erodiert. Wasser können die ausgelaugten Böden kaum mehr aufnehmen.

Die Oberfläche wird weggespült. Büsche und Bäume, die Wind und Regen stoppen würden, sind durch Abholzung verschwunden. Massive Regenfälle werden zur Bedrohung. Ende Juli kamen bei Fluten in der Mongolei über zwanzig Menschen ums Leben; Hunderte wurden obdachlos.

Nicht Klimawandel, sondern Überweidung

«Die Schuld für die Desertifikation des Landes kann nicht nur auf den Klimawandel abgeschoben werden. Für den Zustand des Weidelandes sind zu einem grossen Teil die Hirten selbst verantwortlich», betont Karl Schuler, Experte für das Management natürlicher Ressourcen.

Die Gründe für die Übergrasung sind vielschichtig, sagt der Schweizer Experten, der vor Ort für die DEZA im Einsatz steht.

Fehlendes Weidemanagement

«Die Hirten haben zu viele Tiere. Unter dem sowjetischen System waren die Tiere verstaatlicht und deren Anzahl landesweit kontrolliert. Man zählte damals an die 25 Millionen. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gibt es keine Limitierungen mehr. Die Anzahl der Tiere hat sich verdoppelt. Das Weideland ist diesem Ansturm nicht gewachsen», erklärt Karl Schuler.

Ausserdem fehlt ein Weidemanagement. Das Weideland gilt laut mongolischer Verfassung als Allgemeingut und hat keinen Besitzer. Wer welche Weiden benutzt und wann weiterzieht, ist nicht klar geregelt. Nicht nur Übergrasung sondern auch Misswirtschaft sind die Folgen.

Der Fleischmarkt vor Ort ist übersättigt. Einen Exportmarkt gibt es kaum. Die Qualität des mongolischen Fleisches entspricht nicht dem internationalen Standard.

«Green Gold» als Ausweg

Den Nomaden einen Ausweg aus diesem Teufelskreis aufzeigen sollen die Programme der DEZA. «Die nachhaltige Nutzung von natürlichen Ressourcen und die umweltverträgliche soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Landes stehen im Zentrum», umschreibt DEZA Landeschef Felix Feldmann die Schweizer Aktivitäten in der Mongolei.

Gearbeitet wird nicht nur auf lokaler Ebene mit den Hirten, sondern auch auf nationalem Niveau mit den Behörden. Die Diskussion über ein neues Weidelandgesetz steht dort im Zentrum.

Entsprechend den DEZA-Zielen heisst das Vorzeigeprojekt in der Mongolei «Green Gold». Die Hirten schliessen sich dabei in sogenannte «Pasture User Groups» zusammen. Gemeinsam wird ein Managementplan entwickelt und festgelegt, wie man Weideflächen nachhaltig nutzt.

Dazu gehört das Pflegen von Wasserquellen, der Anbau für Heu für den Winter und das Erschliessen von alternativen Einkommensquellen – seien es Treibhäuser für das Anpflanzen von Gemüse oder Nähmaschinen, um Textilien zu verarbeiten.

Im Vordergrund soll die Qualität und nicht die Quantität stehen. Der Zustand der Weiden und die Anzahl Nutztiere sollen sich wieder zurück zu einem für die Natur gesunden Gleichgewicht entwickeln.

Ein Prozess, der viel Zeit in Anspruch nimmt, aber unabdingbar ist. Die Vereinten Nationen befürchten, dass ohne Veränderung der Landnutzung bis 2050 an die 70 Prozent des Landes mit Wüste bedeckt sein werden.

Christa Wüthrich, Ulaanbaatar, swissinfo.ch

Zwischen 1999 und 2001 wurde die Mongolei Opfer von trockenen Sommern und sehr harten Wintern, sogenannten «Dzud».

Mehr als ein Viertel aller Tiere starben. Tausende Hirtenfamilien verloren ihre Existenzgrundlage.

Die DEZA reagierte mit Hilfsmassnahmen und ist bis heute vor Ort geblieben, seit 2004 mit einem Kooperationsbüro in der Hauptstadt Ulaanbaatar.

Die Zusammenarbeit hat sich jedoch in den vergangene Jahren verlagert: von der humanitären Hilfe hin zur Entwicklungszusammenarbeit.

In der Mongolei leben 36% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Auf dem Land beträgt diese Zahl laut Studien der Weltbank s über 43%.

Wegen fehlender Arbeit ziehen die Menschen vom Land in die Hauptstadt, wo heute schon die Hälfte der 2,7 Millionen Mongolen wohnt.

Als Ziel der DEZA-Projekte gilt darum nicht nur die Sicherung und Verbesserung der Existenzgrundlage der Hirtenvölker, sondern auch das Schaffen von Arbeitsplätzen und Einkommensquellen.

DEZA-Gesamtbudget für 2009: 8 Mio. Franken. Im Einsatz stehen 16 lokale Angestellte und vier Schweizer.

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