Mutterschafts- Versicherung: Lösungen auf kantonaler Ebene
Ein Jahr nach dem Nein zur Mutterschafts- Versicherung wollen verschiedene westschweizer Kantone eine kantonale Versicherung einführen. In Genf und im Wallis sind die Pläne am konkretesten. Auf Bundesebene gibt es vier Vorschläge.
Fortschrittlicher Kanton Genf
Die erste Genfer Gesetzesvorlage, die von Frauen des linken Spektrums ausgearbeitet worden ist, sieht für leibliche Mütter einen Urlaub von 16 Wochen und für Adoptiveltern eine zweimonatige Arbeitspause vor. In dieser Zeit hätten die Frauen Anspruch auf 80 Prozent ihres Lohnes. Die Versicherung soll zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit 0,2 Lohnprozenten finanziert werden.
Die Bürgerlichen erachten 14 Wochen Urlaub für Mütter und sieben Wochen für Adoptiveltern als genügend. Das Geld soll aus den kantonalen Familienzulagen-Kassen kommen. Im Herbst werden Parlament und Regierung über die beiden Vorlagen entscheiden. Bei einer Einigung dürfte die Genfer Mutterschafts- Versicherung bereits 2001 in Kraft treten.
Kleine Sensation
Auch der Kanton Wallis bereitet ein neues Gesetz vor. Überraschend ist im Februar vom Grossen Rat eine entsprechende SP- Motion angenommen worden – das Wallis hatte am 13. Juni 1999 als einziger Westschweizer Kanton gegen die eidgenössische Vorlage gestimmt.
Die Motion, die über Steuergelder finanziert werden soll, verlangt eine 14-wöchige Lohnfortzahlung für erwerbstätige Mütter. Allerdings stehen im Wallis noch zwei andere Projekte an, welche die Mutterschafts- Versicherung konkurrenzieren.
Im Rahmen einer Steuerrevision ist vorgesehen, den Abzug pro Kind von 3’100 auf 5’000 Franken zu erhöhen. Ein anderer Plan möchte die Familienzulagen – die bereits jetzt zu den höchsten des Landes gehören – von 210 auf 290 Franken pro Kind erhöhen.
Im März dieses Jahres hat das Walliser Parlament in erster Lesung der Steuerrevision bereits zugestimmt. Passiert es vor der Sommerpause auch die zweite Lesung, würden die Chancen sowohl für die Mutterschafts- Versicherung als auch für die Kinderzulagen sinken, vermuten politische Beobachter.
In den Kantonen Waadt, Jura und Freiburg wurden Resolutionen verabschiedet, in denen der Bund aufgefordert wird, ein neues Projekt auszuarbeiten. Die Neuenburger setzen auf die Familienzulagen, haben aber noch keine Vorschläge.
Raum für Experimente
Der Genfer Politologe Hanspeter Kriesi begrüsst die kantonalen Initiativen. «Sie sind überhaupt nicht schockierend», sagte er gegenüber der sda. «Das föderalistische System ermöglicht Kantonen einen grossen Spielraum zum Experimentieren.»
Zwar könne sich der Bund damit «aus der Affäre ziehen», doch kämen solche Lösungen den regionalen Bedürfnissen auch entgegen. «Ein kantonaler Vorstoss wird vom Volk nicht als Zwängerei empfunden, was bei einer neuen eidgenössischen Vorlage viel eher der Fall wäre», meint Kriesi.
Mit einer neuen Abstimmungsvorlage auf Bundesebene ist nach dem letztjährigen Resultat kaum zu rechnen. Davon rät auch der Genfer Politologe Hanspeter Kriesi ab. «Die Akzeptanz im Volk wäre nicht grösser.»
Vorschläge auf Bundesebene
Zur Zeit sind in Bern vier Projekte hängig. Eine von der Zürcher FDP-Ständerätin Vreni Spoerry kurz nach der Abstimmung eingereichte Motion verlangt acht Wochen vom Arbeitgeber bezahlten Urlaub. Für 14 Wochen mit 65 Prozent des Lohnes plädiert Christine Beerli (FDP/BE). Das Geld soll vollumfänglich aus der Erwerbsersatzordnung (EO) kommen.
Die Linken wollen weiter gehen. Die Genfer SP-Ständerätin Christiane Brunner und die Zürcher SP-Nationalrätin Christine Goll fordern 14 Wochen Urlaub mit Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber. Die Sozialkommission des Nationalrates schliesslich schlug Mitte April einen achtwöchigen Urlaub vor, der vom Arbeitgeber finanziert wird; danach sollen weitere sechs Wochen aus der EO bezahlt werden.
swissinfo und Agenturen
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