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Wir können die Klimakrise immer noch bewältigen, und zwar so

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Kai Reusser / SWI swissinfo.ch

Die Treibhausgasemissionen und Temperaturen steigen weltweit weiter an. Swissinfo hat eine Umfrage bei Wissenschaftler:innen aus der Schweiz zum Klima durchgeführt. Diese zeigen sich trotz aller Schwierigkeiten überzeugt, dass es noch Lösungen gibt, um die globale Erwärmung zu stoppen.

Vor zehn Jahren wurde das Pariser Abkommen zur Reduzierung der Emissionen und zur Begrenzung des weltweiten Temperaturanstiegs unterzeichnet. Doch von den gesetzten Zielen sind die Unterzeichnerstaaten weit entfernt.

Dies geht aus dem jüngsten Bericht des Umweltprogramms der Vereinten NationenExterner Link (UNEP) hervor, der Anfang November 2025 veröffentlicht wurde und die aktuelle Klimapolitik analysiert.

Selbst wenn alle globalen Verpflichtungen zur Emissionsreduzierung vollständig umgesetzt würden, läge die globale Erwärmung laut diesem Bericht immer noch zwischen 2,3 und 2,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau – und damit über den angestrebten 1,5 Grad.

Auch viele der 80 Klimaforscherinnen und -forscher in der Schweiz, die an einer Umfrage von Swissinfo anlässlich des Jahrestags des historischen Abkommens von Paris teilgenommen haben, prognostizieren einen ähnlichen Anstieg der Temperaturen bis 2100.

Sie betonen jedoch, dass Lösungen und Instrumente vorhanden wären, um die Klimakrise zu bewältigen und den Übergang zu einer emissionsarmen oder emissionsfreien Gesellschaft zu beschleunigen.

Die Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Schweiz ist der Meinung, dass die Klimakrise schneller voranschreitet als noch vor zehn Jahren angenommen:

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Vertrauen auf Technologie und Gerichtsurteile

Trotz der alarmierenden Entwicklung bei den CO2- und anderen Treibhausgasemissionen sind die meisten Mitglieder der wissenschaftlichen Gemeinschaft, die an der Umfrage teilgenommen haben, grundsätzlich noch optimistisch.

Diese Zuversicht basiert auf dem technologischen Fortschritt, den wirtschaftlichen Anreizen für die Dekarbonisierung und dem Einsatz vieler Menschen in Bürgerbewegungen für den Klimaschutz.

«Wir sind heute durchaus in der Lage, auf fossile Energien zu verzichten, sowohl für die Beheizung von Gebäuden als auch für den Verkehr», sagt Martine Rebetez, Professorin für angewandte Klimatologie an der Universität Neuenburg und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).

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Auch Urteile nationaler und internationaler Gerichte können laut Klimafachpersonen den Übergang zur weltweiten Abkehr von fossilen Energien begünstigen.

Immer mehr Menschen und Verbände wenden sich an die Gerichte, um die Unzulänglichkeit der Klimapolitik von Regierungen oder die Verantwortung von Mineralöl- und Gasunternehmen für ihre CO2-Emissionen anzuprangern.

Im Juli 2025 veröffentlichte der Internationale Gerichtshof – das höchste Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen – ein Rechtsgutachten zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen von Staaten in Bezug auf den KlimawandelExterner Link – ein historischer Vorgang.

Im Jahr 2024 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg die Schweiz wegen einer unzureichenden Klimapolitik.

Die Bewohnerinnen und Bewohner einer Insel in Indonesien haben eine Zivilklage gegen den Schweizer Zementriesen Holcim wegen seiner Rolle in der Klimakrise eingereicht:

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Verhalten muss sich ändern

Wo steckt das grösste Potenzial zur Erreichung der Klimaziele? Auf diese Frage nennen die meisten Klimaforscher:innen in der Schweiz eine umfassende Verhaltensänderung. Dabei betonen sie, dass diese mit systemischen Veränderungen auf politischer und industrieller Ebene einhergehen muss.

Geeignete politische Massnahmen, Infrastrukturen und Technologien zur Förderung eines klimafreundlicheren Lebensstils, beispielsweise weniger Fleischkonsum oder die Einschränkung der Nutzung fossiler Brennstoffe, könnten die Emissionen bis 2050 um 40 bis 70 Prozent reduzierenExterner Link.

Zu diesem Schluss kommt der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimawandel (IPCC) – häufig auch Weltklimarat genannt.

Naturbasierte Lösungen wie der Schutz und die Wiederherstellung von Ökosystemen und in geringerem Mass die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) können laut der Swissinfo-Umfrage ebenfalls zur Bewältigung der Klimakrise beitragen.

«Bevor wir jedoch auf CCS-Technologien zurückgreifen, müssen wir fossile Brennstoffe aufgeben und erneuerbare Energien massiv ausbauen», sagt Yann Yasser Haddad, der als Doktorand an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) die Auswirkungen des Klimawandels auf Energiesysteme untersucht.

Im September 2025 hat Swissinfo eine Umfrage unter Wissenschaftler:innen zum Klimawandel durchgeführt. Der Fragebogen enthielt 22 Fragen zum aktuellen Stand der Klimaforschung, der Klimapolitik und der globalen Erwärmung zehn Jahre nach dem wegweisenden Pariser Klimaabkommen.

Die Umfrage wurde an 108 Personen an folgenden Institutionen versandt: EPFL, ETH Zürich, Universität Neuenburg, Universität Zürich, Universität Bern, Universität Basel, Universität Genf, Universität Freiburg, Universität Lausanne, Paul Scherrer Institut, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) und Meteo Schweiz.

Achtzig Forschende haben an der Umfrage teilgenommen. Die Ergebnisse können Sie hier (auf Englisch) nachlesen.

Den Übergang beschleunigen

Viele Teilnehmer:innen an der Umfrage betonen die Wichtigkeit, erneuerbare Energiequellen zu entwickeln und zu nutzen. «Solar- und Windenergie sind in den letzten zehn Jahren viel günstiger und zugänglicher geworden. Das ist die vielversprechendste Entwicklung, denn wir müssen den Übergang zu erneuerbaren Energien beschleunigen», sagt Andrea Farnham, die an der Universität Zürich zum Thema Klima im Globalen Süden forscht.

Rebetez argumentiert, dass es nicht technische oder finanzielle Fragen seien, die den Ausbau erneuerbarer Energien behindern, «sondern die Öl-Lobby». Eine 2024 veröffentlichte Recherche der englischen Tageszeitung The GuardianExterner Link hat aufgezeigt, dass die Ölindustrie in Europa und den Vereinigten Staaten seit über einem halben Jahrhundert staatliche Förderungen für saubere Technologien behindert.

Nur eine Minderheit der Klimaforscherinnen und -forscher sieht in der Kernenergie eine Option. Obwohl Atomenergie keine CO2-Emissionen verursacht, birgt sie Umwelt- und Sicherheitsrisiken.

Noch weniger Umfrageteilnehmer:innen vertrauen auf solares Geoengineering, eine höchst umstrittene Strategie, bei der das Klima absichtlich verändert wird, um die Erdtemperatur zu senken.

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Vorschläge für die Schweiz

Jens Terhaar von der Universität Bern erklärt in der Umfrage, dass der einzige Weg zur Lösung der Klimakrise darin besteht, die Emissionen drastisch zu reduzieren.

«Wenn wir die Emissionen nicht um 90 Prozent reduzieren, kann uns keine Technologie helfen», prophezeit der Autor mehrerer Studien zur CO2-Absorption durch die Ozeane.

Nach Meinung der meisten Umfrageteilnehmer:innen sind die wirksamsten politischen Instrumente zur Reduzierung der Emissionen in der Schweiz Beschränkungen für fossile Brennstoffe – einschliesslich vollständiger Verbote – und CO2-Steuern.

«Die globalen Verpflichtungen zur Emissionsreduzierung sind nicht ehrgeizig genug oder werden nicht eingehalten. Kohlenstoffsteuern lassen sich relativ einfach umsetzen und können Einzelpersonen und Unternehmen dazu bewegen, die Klimaziele zu erreichen», sagt Farnham.

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Die Schweiz gehörte 2008 zu den ersten Ländern weltweit, die eine CO2-Steuer eingeführt haben. Diese gilt für fossile Brennstoffe (Heizöl und Erdgas) und hat zu einer deutlichen Senkung der Emissionen von Gebäuden beigetragen. Diese Emissionen sind zwischen 1990 und 2022 um 44 Prozent zurückgegangen.

Trotz des Rückgangs bleibt der Gebäudesektor – zusammen mit der Industrie und dem Verkehr – eine der wichtigsten Emissionsquellen in der Schweiz.

Die Umfrageteilnehmer:innen geben an, dass staatliche Subventionen für die energetische Sanierung von Häusern ein wichtiges politisches Instrument zur Verringerung der Klimaauswirkungen sind. Es folgen Investitionen in den öffentlichen Verkehr und finanzielle Regelungen zur Förderung umweltverträglicher Investitionen.

Klimatologin Rebetez wünscht sich mehr Anreize und weniger Hindernisse für die Elektromobilität. «Das derzeitige System behindert auf subtile Weise den Übergang von Verbrennungsmotoren zu Elektrofahrzeugen», sagt sie. Seit Anfang 2024 gilt die Steuer auf importierte Fahrzeuge in der Schweiz auch für Elektroautos.

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Einige Klimafachleute sind der Meinung, dass es andere Möglichkeiten gibt, unseren ökologischen Fussabdruck zu verringern, ohne auf politische Entscheide oder technologische Fortschritte warten zu müssen.

Philippe Renard, Professor für Hydrologie an der Universität Neuenburg, argumentiert, dass der effektivste Weg zur Emissionsreduzierung darin bestehe, bescheidener zu leben und generell weniger Energie zu verbrauchen: «Wir müssen lernen, ein einfacheres Leben zu führen und zu geniessen.»

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Luigi Jorio

Welche Rolle soll die Schweiz in der Klimakrise spielen?

Für manche ist die Schweiz zu klein, um etwas zu bewirken, für andere ist das Problem zu gross, um untätig zu bleiben. Was sollte die Schweiz tun?

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Editiert von Gabe Bullard/Vdv, Übertragung aus dem Italienischen mithilfe von Deepl: Gerhard Lob

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