Schweizer Klimaabstimmungen der letzten zehn Jahre: Das ist die Bilanz
Seit sich die Länder vor zehn Jahren in Paris dazu verpflichtet haben, die globalen CO2-Emissionen zu senken, sind die Schweizer Stimmberechtigten oft an die Urnen gegangen, um über Klimafragen zu entscheiden. Wir werfen einen Blick auf die Ergebnisse der vergangenen Jahre.
Wenn das Jahrzehnt seit dem Pariser Abkommen eines gezeigt hat, dann dies: Klimapolitik ist zutiefst politisch. Die Staaten sind sich nach wie vor uneinig darüber, wer was tun soll, wenn es um Emissionsreduktionen geht. Die USA sind sogar aus dem Abkommen ausgestiegen.
Im Schweizer System der direkten Demokratie müssen Politikerinnen und Politiker nicht nur untereinander Gesetze ausarbeiten, sondern sich auch mit den Bürgerinnen und Bürgern auseinandersetzen, die sich per Referendum oder Volksinitiative einmischen können.
Lesen Sie mehr über die Funktionsweise des Schweizer Volksabstimmungssystems in unserem Artikel:
Mehr
Wie funktioniert das System der direkten Demokratie in der Schweiz?
In den letzten zehn Jahren wurden die Schweizer Stimmberechtigten mit einer Vielzahl klimabezogener Themen konfrontiert. Das Pariser AbkommenExterner Link selbst, das am 12. Dezember 2015 verabschiedet wurde und 2017 vom Schweizer Parlament ratifiziert wurde, unterlag keinem Referendum.
Es fanden jedoch Abstimmungen zu anderen Themen statt, die damit zusammenhängen: Einige betrafen direkt die CO2-Emissionspolitik, andere waren allgemeiner und bezogen sich auf das Klima und die Umwelt. Im Folgenden finden Sie eine Übersicht über die wichtigsten Abstimmungen.
In der Artikelserie «10 Jahre Pariser Abkommen» zeigt Swissinfo auf, was in der Schweiz und weltweit in den Bereichen Emissionen, erneuerbare Energien und Klimaforschung erreicht wurde.
September 2016: Nein zu einem kleineren ökologischen Fussabdruck
Laut einer jährlichen Schätzung des Global Footprint Network, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für Nachhaltigkeit einsetzt, wären fast drei Erden erforderlich, um den Lebensstandard aller Menschen weltweit auf dem Niveau der Schweiz zu halten.
Dies war den Grünen zu viel, weshalb sie die erforderlichen 100’000 Unterschriften für eine Volksinitiative sammelten, die eine Eindämmung forderte.
Ihr Plan sah vorExterner Link, dass die Schweiz ihren relativen Ressourcenverbrauch bis 2050 auf den Wert eines Planeten pro Jahr begrenzen sollte.
Wie genau dies umgesetzt werden sollte, blieb unklar, obwohl die Befürwortenden mehr über Forschung und Innovation als über Regeln zur Senkung des Verbrauchs sprachen.
Die Gegnerschaft – darunter auch die Regierung – warnte, dass der Plan «drastische wirtschaftliche Massnahmen» mit sich bringen würde, welche die Wettbewerbsfähigkeit, das Wachstum und die Arbeitsplätze der Schweiz beeinträchtigen würden.
Am Ende lehnten 63,6% der Stimmbevölkerung die Idee ab. Nur im Kanton Genf fand sie Zustimmung.
Mai 2017: Mehr erneuerbare Energien, keine Kernenergie
Weniger als ein Jahr, nachdem die Stimmberechtigten eine weitere Initiative der Grünen abgelehnt hatten, die ein Ende der Kernenergie forderte, nahmen sie ein neues, von Regierung und Parlament unterstütztes Massnahmenpaket an, das denselben Effekt hatte.
Die «Energiestrategie 2050» der Schweiz wurde ursprünglich nach dem Reaktorunfall von Fukushima in Japan im Jahr 2011 ausgearbeitet.
Sie sieht vor, den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu senken, erneuerbare Energien zu fördern und die Kernenergie durch ein Verbot des Baus neuer Reaktoren auslaufen zu lassen.
Rund 58% der Stimmenden sprachen sich für die Strategie aus, die von fast allen politischen Parteien unterstützt wurde.
Doch die Tatsache, dass die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) überhaupt ein Referendum initiiert hatte – sie warnte vor Bürokratie und höheren Stromkosten – zeigte, dass Veränderungen in der Energiepolitik selten einfach sind.
Was die Atomfrage betrifft, die bei Abstimmungen in der Schweiz immer wieder auftaucht, war dies ebenfalls nicht das Ende: Zehn Jahre später erwägt die Regierung, das Bauverbot neuer Reaktoren aufzuhebenExterner Link.
Einige Organisationen, darunter die Internationale Atomenergie-OrganisationExterner Link, sagen, dass Atomkraft ein wirksames Mittel zur Eindämmung des Klimawandels sein könne.
Juni 2021: Rückschlag für den Pariser Plan der Regierung
Vier Jahre nach der Ratifizierung des Pariser Abkommens durch das Parlament wurde der Stimmbevölkerung der wichtigste Pfeiler des Schweizer Klimaplans vorgelegt – er wurde knapp abgelehnt.
Das revidierte CO2-Gesetz sah vor, die CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 um die Hälfte zu senken. Zu diesem Zweck sollten verschiedene Massnahmen ergriffen werden, darunter Anreize für den Ersatz von Öl- und Gasheizungen durch sauberere Energiequellen, mehr Investitionen in die Infrastruktur für Elektroautos und eine Abgabe auf Flugtickets.
Trotz breiter politischer Unterstützung für das Vorhaben lehnten 51,6% der Stimmberechtigten die Reform ab. Nach der Abstimmung ergaben Analysen, dass viele befürchteten, die Reform würde ihren Geldbeutel belasten.
Für die damalige Energieministerin Simonetta Sommaruga hiess es: zurück an den Start. Die Schweiz werde das Pariser Abkommen nicht verlassen, erklärte Sommaruga nach der Abstimmung. «Aber es wird nun schwierig werden, die Klimaziele zu erreichen.»
Juni 2023: Ja zur langfristigen Klimaneutralität
Zwei Jahre später fand ein zentrales Ziel des Pariser Abkommens Eingang in die Schweizer Verfassung: 59,1% der Stimmberechtigten sprachen sich für das Ziel aus, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
Das neue «Klima- und Innovationsgesetz», ein indirekter Gegenvorschlag zur «Gletscherinitiative», wollte mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einerseits legte es Emissionsziele fest, um die Pariser Verpflichtungen der Schweiz zu erfüllen, andererseits zielte es darauf ab, die Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen zu verringern, indem es heimische erneuerbare Energien förderte.
Warum haben die Stimmberechtigten diesmal dafür gestimmt? Nachbefragungen deuteten auf eine breite Unterstützung für die langfristige Vision der Nachhaltigkeit hin.
Das Gesetz und die Kampagne dafür verlagerten den Ansatz von Steuern und Beschränkungen hin zu proaktiven Anreizen, beispielsweise in Form von finanzieller Hilfe für Hausbesitzende und Unternehmen, um erneuerbare Energien stärker zu nutzen.
Das Gesetz wurde von einer grossen Koalition aus Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft unterstützt. Widerstand kam vor allem von der SVP, die vor steigenden Energiekosten warnte.
Was wäre nötig, um bis 2050 klimaneutral zu werden? Wir haben nach der Abstimmung im Jahr 2023 einen Experten gefragt:
Mehr
So soll eine klimaneutrale Schweiz 2050 aussehen
Juni 2024: Sicherung einer stabilen Versorgung
Ein Jahr später nahmen die Stimmberechtigten ein neues Stromgesetz anExterner Link, welches das Parlament 2023 verabschiedet hatte.
Das Gesetz zielte darauf ab, erneuerbare Energien zu fördern und die zukünftige Versorgung der Schweiz zu gewährleisten, besonders im Winter.
Es sieht namentlich vor, die Beschränkungen für den Bau grosser neuer Wasser-, Solar- und Windparks zu lockern, und setzte das Ziel, die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bis 2035 auf mindestens 35 Terawattstunden (TWh) zu steigern.
Der Widerstand gegen dieses Gesetz kam nicht nur von rechts. So wurde es beispielsweise von der Franz-Weber-Stiftung angegriffen, einer Naturschutzlobbygruppe, die sich über die Auswirkungen grosser Solar- und Windkraftanlagen auf die Ökosysteme der Alpen Sorgen macht.
Letztendlich stimmten 68,7% an der Urne für das Gesetz. Doch die Debatten der Naturschützerinnen und Naturschützer gehen weiter: Im Juli dieses Jahres wurden zwei neue Volksinitiativen eingereicht, die Beschränkungen für den Bau von Windparks fordern.
Februar 2025: Die Grenzen einer ehrgeizigen Initiative
Diesmal erzwang die Jugendorganisation der Grünen eine Abstimmung über eine Verfassungsänderung, welche die Schweizer Wirtschaft dazu verpflichten würde, innerhalb der «planetarischen Grenzen» zu operieren. Das sind die Grenzen, über die hinaus sich die Natur nicht mehr regenerieren kann.
Um dies zu erreichen, müssten die CO2-Emissionen, der Verlust der Artenvielfalt und der Wasserverbrauch beispielsweise drastisch reduziert werden. Greenpeace schätzte, dass die Schweiz ihren CO2-Fussabdruck pro Kopf um 90% senken müsste.
Der Vorschlag enthielt zwar keinen konkreten Fahrplan, wie dies erreicht werden sollte, er legte jedoch fest, dass dies auf «sozialverträgliche» Weise und innerhalb von zehn Jahren geschehen sollte.
Die Gegnerschaft bezeichnete den Plan als undurchführbar und ruinös. Am Ende stimmten fast 70% der Stimmbevölkerung dagegen.
Nach der Abstimmung sagte Energieminister Albert Rösti gegenüber Nau.chExterner Link, das Ergebnis sei keine Ablehnung des Umweltschutzes oder des Pariser Abkommens, dessen Ziele in der Abstimmung über das Klimagesetz 2023 eindeutig «von der Bevölkerung akzeptiert» worden seien.
Die anderen: Strassen, Tiere, Lebensmittel und mehr
Seit Dezember 2016 wurden in der Schweiz über 80 nationale Abstimmungen durchgeführt, darunter waren noch einige Klimaabstimmungen mehr als die bereits erwähnten.
So wurde beispielsweise im Jahr 2024 ein Plan zum Ausbau der Autobahnen des Landes nach einer Kampagne abgelehnt, die sich stark auf die Themen Emissionen und Umwelt konzentrierte.
Im selben Jahr wurde eine Volksinitiative zum Schutz der Artenvielfalt bachab geschickt. Ein Vorstoss aus dem Jahr 2022 zum Verbot der Massentierhaltung fand ebenfalls keine Zustimmung.
Auch bei Abstimmungen über ein Gesetz zur Ernährungssicherheit (2017 angenommen) und zwei Initiativen zu ethischen Lebensmitteln (2018 abgelehnt) spielten ökologische Belange eine Rolle.
Was kommt als Nächstes? Atomkraft? Windkraftanlagen? Ein Klimafonds?
Weitere Abstimmungen zum Thema Klima stehen bereits auf der Agenda. Im November wird über einen Vorschlag der Linken abgestimmt, der eine Besteuerung grosser Erbschaften vorsieht. Der Erlös soll für klimafreundliche Massnahmen verwendet werden.
Das Parlament debattiert derzeit über die «Blackout»-Initiative, welche die Atomkraftdebatte neu entfachte.
Zudem wird sich die Regierung zu zwei Kampagnen äussern, die darauf abzielen, den Bau von Windkraftanlagen räumlich und zeitlich zu beschränken.
Unterdessen steht ein so genannter «Klimafonds» zur Volksabstimmung bereit, der bis zu 1% des Schweizer Bruttoinland-Produkts (BIP) für den Umweltschutz bereitstellen würde. Regierung und Parlament sind jedoch dagegen.
Editiert von Benjamin von Wyl/sb, Übertragung aus dem Englischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch