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Bekannter Alpinist wegen Kindstötung verurteilt

Der Alpinist Erhard Loretan verlor die Nerven und schüttelte sein Kind, das darauf verstarb. Keystone

Der Schweizer Kletterer Erhard Loretan ist zu vier Monaten Gefängnis bedingt verurteilt worden. Er hatte im Dezember 2001 sein schreiendes Baby geschüttelt, das darauf verstarb.

Das Schütteltrauma kommt öfter vor, als lange angenommen.

Der Alpinist Erhard Loretan, der 1995 als dritter Mensch überhaupt alle 14 Achttausender der Welt bezwungen hatte, wurde am Dienstag vom Strafgericht Greyerz (Kanton Freiburg) wegen fahrlässiger Tötung zu vier Monaten Gefängnis bedingt verurteilt. Zudem muss Loretan eine Busse von 1000 Franken zahlen.

Loretan hatte am 24. Dezember 2001 seinen sieben Monate alten Sohn Ewan zu Tode geschüttelt.

Sein Baby schrie lange

Erhard Loretan war an dem Tag alleine mit seinem Sohn. Nach eigenen Angaben verlor er die Nerven, als das Baby lange schrie. Er schüttelte den Knaben und legte ihn wieder ins Bett. Daraufhin verliess er das Kinderzimmer.

Als er feststelle, dass mit dem Kind etwas nicht stimmte, schüttelte er den Knaben erneut, um ihn zu reanimieren. Doch das Baby reagierte nicht mehr. Erhard Loretan schlug Alarm, und Ewan wurde per Helikopter ins Inselspital in Bern geflogen. Dort starb sein Knabe 24 Stunden später.

Nur wenige Tage nach dem Drama ging der prominente Alpinist an die Öffentlichkeit. Mit einem Bekenntnis und einem Appell an alle Eltern, die noch nichts über die fatalen Folgen des Kinderschüttelns wussten.

Auch nach dem Prozess wolle der Sportler seine Bekanntheit dafür einsetzen, um vor den Gefahren des Babyschüttelns zu warnen, sagte sein Anwalt.

Fatale Folgen zu wenig bekannt

Die Loretan-Tragödie löste im Land eine breite Diskussion aus. Allzu lange war das Kinderschütteln ein Tabu-Thema, über das bisher auch nicht präventiv informiert wurde.

Dabei ist das Kinderschütteln kein marginales Problem. Von mehr als 30 Fällen pro Jahr muss man in der Schweiz ausgehen.

Nationale Studie

Der Leiter der Kinderschutzgruppe des Kinderspitals Zürich Ulrich Lips initiierte in der Folge eine nationale Studie. Sie läuft seit Juli 2002. Seither wurden bereits sieben Fälle von Schütteltrauma registriert, ein Kleinkind verstarb. Dabei handelt es sich nur um Fälle, die bei den Spitälern gemeldet sind.

Die Eltern seien sich oft der fatalen Folgen nicht bewusst, die das auch nur sekundenkurze Schütteln ihres Babys haben könne, sagt Ulrich Lips.

Nur eine oder zwei Sekunden reichen

“Alle wissen, dass man ein Kind nicht schlagen darf, aber nicht jeder ist sich bewusst, dass das Schütteln des Kindes – auch wenn es nur Sekunden sind – viel gefährlicher ist und mehr Langzeitfolgen hat”, warnt Lips gegenüber swissinfo. In nur 20% der Fälle trägt das betroffene Kind keine Schäden davon.

Die meisten Zwischenfälle passieren, wenn Eltern mit einem schreienden Kind überfordert sind. “Ein schreiendes Baby löst bei den Eltern viel Stress aus, insbesondere bei jungen Eltern”, sagt Lips von der Kinderschutzgruppe des Kinderspitals Zürich.

Die nationale Studie wurde in der Folge des Falls Loretan initiiert. “Uns wurde klar, dass man nicht wusste, wie häufig das Schütteltrauma vorkommt und dass wir das öffentliche Bewusstsein hierin verbessern müssen”, so Lips.

Bleibende Gehirnverletzungen in 80% der Fälle

Die grosse Mehrheit der Babys, die geschüttelt werden, haben laut Lips Langzeitschäden. Nur ein Fünftel der Kinder überlebe ohne neurologische Folgeschäden, erläutert er. “Die meisten von ihnen haben eine bleibende Schädigung des Gehirns oder leiden danach an Funktionsstörungen wie Epilepsie oder eingeschränkter Sehkraft”.

Im fatalen Fall stirbt das Kind an den durch das Schütteln ausgelösten starken Gehirnverletzungen.

Schutz durch Sensibilisierung

Um die Kinder besser zu schützen, muss die breite Öffentlichkeit über das Schütteltrauma bei Babys aufgeklärt werden, wie Lips sagt.

Die Kampagne im Jahr 1997 habe nicht ausgereicht, um die Zahl der Opfer zu reduzieren, sagt Ulrich Lips, Leiter der Kinderschutzgruppe des Kinderspitals Zürich:

“Wir müssen die Kindsmisshandlung generell bekämpfen und wir müssen über das Schütteltrauma informieren, damit jeder über die Folgen des Babyschüttelns informiert ist.”

swissinfo, Anita Hugi

Das Schütteln von Babys ist kein Rand-Problem.
In der Schweiz rechnet man mit 30 Schüttel-Traumas pro Jahr.
“Geschüttelte” Babys können bleibende Gehirn-Verletzungen erleiden.
Seit Juli 2002 läuft eine nationale Studie zum Thema. Im Rahmen der Studie wurden bis Ende Januar 7 Fälle registriert, davon einer mit tödlichem Ausgang.

Erhard Loretan hat 1995 als dritter Mensch alle 14 Achttausender der Welt bezwungen.
Loretan war auch der Erste, der den höchsten Gipfel in der Antarktis überwand.
In der West-Schweiz wurde Loretan zum “Sportler des Jahrhunderts” gewählt.

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