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Obwalden weist «Apartheid»-Kritik zurück

Apartheid im Kanton Obwalden? Keystone

Der Obwaldner Regierungsrat hat kein Verständnis für die Kritik an seinen Plänen zur Schaffung von Sonderwohnzonen für Reiche. Er verstehe nicht, dass in Obwalden nicht möglich sein soll, was in anderen Kantonen schon immer der Fall gewesen sei.

Noch 2002 war Obwalden bezüglich Standortqualität das Schlusslicht der Schweiz und wurde deswegen oft belächelt. Der Regierungsrat gleiste eine ehrgeizige Strategie auf, mit welcher der Kanton steuerlich, aber auch zum Wohnen attraktiver werden sollte.

Die Strategie ging auf, wie Finanzdirektor Hans Wallimann am Mittwoch in Sarnen erklärte. Obwalden geriet dabei aber mehrmals in die Kritik – zuerst wegen den verfassungswidrigen degressiven Steuern, nun wegen den «Zonen mit hoher Wohnqualität», deren gesetzlichen Grundlagen der Kantonsrat am 30. April zustimmte.

Die nicht im Parlament vertretenen Grünen Obwalden wollen das Referendum gegen den Entscheid des Kantonsrates ergreifen.

«Villenzonen gibt es überall»

Baudirektor Hans Matter ortet als Motiv an der Kritik Neid und erklärt, dass Obwalden wie alle Kantone das Recht habe, für gehobene Ansprüche ein Bauplatzangebot bereit zu stellen. Park- und Villenzonen gebe es schliesslich überall.

Der Unterschied zu anderen Kantonen besteht gemäss Matter darin, dass solche Zonen nicht auf Vorrat geschaffen werden. Der Grund: In Obwalden gibt es bereits zu viel Bauland.

Die Gemeinden können aber bezeichnen, wo solche Zonen realisiert werden könnten. Bedingung ist, dass sie an Bauzonen anschliessen. Der Kanton legt dann die Zonen bei Bedarf fest, wobei Einsprachemöglichkeiten bestehen. Das letzte Wort hat der Kantonsrat.

Kein Minimaleinkommen fixiert

Diese «Zonen mit hoher Wohnqualität» seien keine «Sonderzonen für Reiche», sagte Matter. Es gebe keine Vorschriften dazu, wie viel Einkommen oder Vermögen jemand besitzen müsse, um dort Land zu kaufen. Dies regle wie überall der Markt über die Bodenpreise.

Vorschriften will der Kanton aber sehr wohl bezüglich der Gestaltung der Villen erlassen, jeweils abgestimmt auf jede einzelne Zone. Matter begründet dies damit, dass die Häuser voraussichtlich in sensiblen Gebieten gebaut würden.

Der Obwaldner Regierungsrat ist überzeugt, dass die «Zonen mit hoher Wohnqualität» raumplanerisch auf festem Grund stehen. «Wir wollen unsere wunderschöne Landschaft ja nicht verschandeln», sagte Matter.

Der Regierungsrat stützt sich dabei auf den Richtplan, den er 2007 erlassen und den der Bundesrat 2008 genehmigt hatte. Dort steht, dass der Kanton «Schwerpunkte mit hoher Wohnqualität» bezeichnen kann, um seine Vorwärtsstrategie umzusetzen.

Bundesrätliche Schelte

Der oberste Raumplaner, Moritz Leuenberger, erklärte am Mittwoch in Bern, der Bundesrat habe die Sonderwohnzonen für Reiche nicht genehmigt. Die Idee, solche Zonen zu schaffen, sei nicht in Ordnung.

Bereits Anfang des Jahrtausends, als der Autorennfahrer Michael Schumacher in appenzellischen Wolfhalden in einer Landwirtschaftszone habe bauen wollen, habe das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) sich gegen diese Sonderzonen ausgesprochen, so Leuenberger.

Den Beschluss Obwaldens, Sonder-Wohnzonen für Reiche einzurichten, bezeichnete Leuenberger auf seinem Internet-Blog als die «definitive Karikatur des Steuerwettbewerbs» und «nichts als Apartheid».

Auch namhafte Raumplanungs- und Staatsrechtler halten vom neuen Gesetz nichts. Obwalden mache «aus Eigennutz Dinge, die dem Bundesrecht und rechtsstaatlichen Prinzipien widersprechen», sagt der Basler Rechtsprofessor Enrico Riva. Das Bundesgericht werde dies korrigieren müssen.

Raumplanerische, nicht politische Frage

Beim ARE hält man fest, dass mit der Genehmigung des kantonalen Richtplans keine konkreten Zonen genehmigt worden sind. Im Rahmen dieser Genehmigung hat es zudem auf mögliche raumplanerische heikle Punkte hingewiesen.

Die Beurteilung des Bundesamtes sei eine raumplanerische und nicht eine politische oder moralische, sagte die zuständige Sektionschefin Claudia Guggisberg. Wichtig sei aus Sicht der Raumplanung, wie diese Zonen realisiert würden.

Und hier hat das Bundesamt durchaus noch eine Veto-Möglichkeit. Es kann nämlich gegen den Nutzungsplan, in dem Obwalden seine Absichten konkretisieren muss, Beschwerde führen, falls die Sonderwohnzonen gegen die Zielsetzungen der Raumplanung verstossen.

In der Schweiz längst Realität

Reiche wohnen in der Schweiz schon längst unter sich in Sonderwohnzonen. Das ist durch den Bodenpreis an bevorzugten Lagen bedingt. Die Gemeinden förderten die Entwicklung mit grosszügigen Bauzonen an Seeufern, Sonnenhängen und ähnlichem.

Das konstatiert Raimund Rodewald, Geschäftsführer bei der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. Die Obwaldner Bestrebungen zum Anlocken Gutbetuchter seien nur ein besonders dreistes Beispiel dieser Entwicklung. Mache das Schule, könne man jegliche Raumplanung vergessen.

Im Tessin etwa erstreckten sich Villen über ganze Hänge. In anderen landschaftlich reizvollen Gebieten sei das nicht anders. Normalverdienende könnten gerade noch irgendwo an einer Strasse bauen, «möglichst verdichtet nota bene», so Rodewald.

Ungleichheiten auch in anderen Ländern

Dass durch Sonderbauzonen wie in Obwalden soziale Ungleichheit geschaffen werden könnte, beeindruckt Patrik Schellenbauer vom Think tank Avenir Suisse nicht sehr.

«Wenn man Länder wie die USA oder Grossbritannien anschaut, findet man reiche Leute, die in einem Gebiet leben und ärmere Leute, die in einem anderen leben», sagt er gegenüber swissinfo.

«Es braucht keine Sonderplanungs-Strategie, um solche Ungleichheiten in Lebensräumen zu schaffen», so Schellenbauer.

swissinfo.ch und Agenturen

Obwalden ist ein Halbkanton und gehört zusammen mit Nidwalden zum Kanton Unterwalden südlich von Luzern.

Obwalden hat eine Bevölkerung von rund 34’000, wobei rund ein Drittel im Hauptort Sarnen wohnt.

Laut den Statistiken aus dem Jahr 2000 besassen nur 16,6% der Beschäftigten einen höheren Schulabschluss. Dieser Anteil liegt unter dem Landesdurchschnitt.

14% der Beschäftigten fanden ihr Auskommen in der Landwirtschaft, rund drei Mal mehr als dies bei der Schweizer Bevölkerung insgesamt der Fall ist.

Nach Jahren der Budgetkrise entschied sich die Bevölkerung mit 86% Ja für hohe Steuererleichterungen bei Unternehmen und für ein regressives Modell bei Einkommenssteuern. Dieses trat 2006 in Kraft.

Mit dem im Vergleich zu Normalverdienern tiefen Einkommens-Steuersatz sollten Reiche angelockt werden: Millionäre sollten Wachstum und Kantonskasse stimulieren.

18 Monate nach der Einführung entschied das Bundesgericht, diese Steuerpolitik sei nicht verfassungskonform.

Darauf stimmten die Obwaldner Ende 2007 mit grosser Mehrheit für eine «Flat Rate» bei den Einkommenssteuern (Pauschalbesteuerung für hohe und tiefe Einkommen).

swissinfo.ch

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