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Warum die Schweiz beim Freihandel mit dem Mercosur auf den Umweltschutz pocht

Mercosur Schweiz
Hauptsitz des Mercosur-Handelsblocks in Montevideo, Uruguay. Afp Or Licensors

Der Mercosur-Vertrag, den die Schweiz kürzlich unterzeichnet hat, enthält auch Verpflichtungen zum Umweltschutz. Die Schweiz spielt damit ein doppeltes Spiel.

Nach acht Jahren Verhandlungen kam das Abkommen zwischen den Mercosur- und den EFTA-Staaten zustande. Es beseitigt Zölle auf Industrieprodukte, Lebensmittel und landwirtschaftliche Erzeugnisse – darunter Schweizer Schokolade – und löst gleichzeitig eine geopolitische Verschiebung aus.

Die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) besteht aus Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz, während Mercosur ein regionaler Zusammenschluss der fünf südamerikanischen Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela ist. Bolivien trat Mercosur erst nach Beginn der Verhandlungen bei und war daher nicht beteiligt.

Fleisch hier, Pillen dort

EFTA und Mercosur haben 14 Verhandlungsrunden gebraucht, um sich auf einen Vertragstext zu einigen.

Für die Schweiz könnte das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten laut Seco zu Zolleinsparungen von bis zu 160 Millionen Franken pro Jahr führen.

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Den südamerikanischen Ländern gewährt es einen bevorzugten Zugang zu wichtigen Märkten für Agrarexporte. Von günstigeren Bedingungen profitieren werden Produkte wie Rind- und Schweinefleisch, Geflügel, Röstkaffee, Früchte und andere.

Im Gegenzug können die europäischen Länder hochwertige Produkte wie Arzneimittel, Chemikalien und Schokolade zollfrei und mit verstärktem Schutz des geistigen Eigentums ausführen.

Eine lange Liste an Auflagen

Das Abkommen geht aber über Zollsenkungen hinaus und spiegelt die Nuancen der EFTA- und speziell der Schweizer Diplomatie wider, die nicht nur Warenströme, sondern auch Umwelt- und Sozialverantwortung in den Fokus stellt.

Laut Manfred Elsig, Professor für internationale Beziehungen am World Trade Institute in Bern, ist die Aufnahme von sozial-ökologischen Bestimmungen ein relativ neues Element in der Handelsdiplomatie der EFTA.

Es hat seit dem Abkommen der Schweiz mit Indonesien, das 2021 in Kraft getreten ist, an Bedeutung gewonnen. Dieses enthält ähnliche Bestimmungen – eine Reaktion auf Forderungen von Organisationen, die Schweizer Bäuerinnen und Bauern vertreten.

«Seit dem Freihandelsabkommen mit Indonesien hat die Aufmerksamkeit für diese Fragen zugenommen. Dieser Trend ist auch bei den kürzlich mit anderen Entwicklungsländern geschlossenen Handelsabkommen zu beobachten, darunter Thailand», so Elsig.

«Wir können sicher davon ausgehen, dass die Schweizer Öffentlichkeit das Mercosur-Abkommen und seine Auswirkungen auf die Umwelt genau unter die Lupe nehmen wird.»

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Der von der Schweiz geprägte Text enthält auch Verpflichtungen für die Mercosur-Länder in Bezug auf die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Landwirtschaft, die Förderung der Beteiligung von Frauen am internationalen Handel und die Anerkennung des traditionellen Wissens lokaler Gemeinschaften und indigener Völker.

Darin ist beispielsweise festgelegt, dass internationale Anbieter digitaler Dienstleistungen, also Unternehmen, die über Computernetzwerke arbeiten, nur dann vom Mercosur-EFTA-Abkommen profitieren können, wenn der Energiemix ihres Landes zu mindestens 67% aus sauberer Energie besteht.

Um die Umsetzung zu gewährleisten, sieht der Vertrag Kooperations-, Überwachungs- und Dialogmechanismen vor – ein Wendepunkt für die Bedeutung von Umweltklauseln, die oft ausgeschlossen waren, wenn es um rechtliche Durchsetzungsmechanismen ging.

Die vielen Seiten der Schweizer «Klimadiplomatie»

Für Stefano Jud, Postdoktorand an der Wyss Academy for Nature der Universität Bern, dient die Aufnahme von Umweltverpflichtungen auch dazu, innenpolitische Spannungen abzubauen.

«Die Schweizer Parteien, die das Freihandelsabkommen unterstützen, nutzten diese Klausel als wichtiges Argument, um die Bedenken der Gegnerschaft des Abkommens hinsichtlich der Umweltauswirkungen Indonesiens zu entkräften», sagt er.

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Laut Jud gab es im ersten Abkommen mit Indonesien, das solche Klauseln enthielt, eine klare politische Auseinandersetzung, die sich nun wiederholen könnte.

«Würde über ein Freihandelsabkommen mit dem Mercosur abgestimmt, würde ich einen negativen Effekt dieses grünen Backlashs auf die Unterstützung erwarten, verstärkt durch die Tatsache, dass die Exporteure des Mercosur direkt mit der Schweizer Landwirtschaft konkurrieren und in der öffentlichen Wahrnehmung mit sensiblen Biomen wie dem Amazonas verbunden sind.»

Auch wenn der Bundesrat gegenüber dem Schweizer Aussenministerium die Bedeutung der Umweltklauseln des Abkommens hervorhebt, lehnen Teile der Schweizer Gesellschaft das Abkommen weiterhin ab.

Die Grüne Partei hat ihre Ablehnung des Mercosur-Abkommens in einem offenen Brief bekräftigt. Sie argumentiert, dass die Ausweitung der Agrarexporte und die Liberalisierung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen die rasche Industrialisierung der Landwirtschaft in den Mercosur-Ländern vorantreiben würden, mit schädlichen Folgen für die Umwelt, die lokalen Gemeinschaften und den Tierschutz.

«Mehr Freihandel in der Landwirtschaft bedeutet mehr Umweltzerstörung», sagte Christine Badertscher, eine Nationalrätin der Grünen Partei.

Der Druck auf das Abkommen wird zunehmen. Der Schweizerische Bauernverband plant eine gründliche Überprüfung des Freihandelsabkommens. Falls nötig, will er zusätzliche Schutzmassnahmen fordern.

Laut einer Mitteilung an die Nachrichtenagentur Keystone-SDA will der Verband sowohl die Chancen als auch die Risiken des Abkommens für die Schweizer Landwirtschaft evaluieren.

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Der Schweizerische Industrieverband Swissmem hingegen begrüsste das Abkommen und bezeichnete es als wichtigen Sieg für die gesamte Wirtschaft. Swissmem erwartet ein rasches Genehmigungsverfahren und bezeichnet es als Affront, das Abkommen dem Referendum zu unterstellen.

Laut Jud kann die Schweiz trotz des politischen Konflikts ihren komparativen Vorteil in Bezug auf höhere Umweltstandards nutzen, um ihre Wirtschaft zu schützen und ihr internationales Ansehen zu stärken, und zwar unter dem Banner der Umweltpolitik.

«In diesem Zusammenhang fungiert das Kapitel über nachhaltige Entwicklung als Sicherheitsnetz für die Schweizer Landwirtschaft. Es ist eine Form von verstecktem Protektionismus unter dem Vorwand der Nachhaltigkeit», sagt er.

«Gleichzeitig gibt es Bestimmungen, die dazu beitragen, kosmopolitische und urbane Wählerinnen und Wähler zu überzeugen, die sich mit den globalen ökologischen und sozialen Auswirkungen der Landwirtschaft befassen und nachhaltigere Lebensmittelproduktionssysteme unterstützen.»

Editiert von Virginie Mangin/ac. Bearbeitung: Marc Leutenegger. Übertragung aus dem Englischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub

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