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Klimawandel und Kriege wecken neues Interesse an Kernenergie

AKW Gösgen
Das Kernkraftwerk Gösgen im Kanton Solothurn ist eines von drei noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken in der Schweiz. Keystone / Gaetan Bally

Die Nuklearkatastrophe von Fukushima hat mehrere Länder dazu bewogen, aus der Kernenergie auszusteigen, auch die Schweiz. Doch der Atomstrom hat es mittlerweile wieder auf die Agenda einiger Regierungen geschafft. Gründe sind die Gewährleistung der Energiesicherheit sowie der Kampf gegen die Klimaerwärmung.

Der Unfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima im Jahr 2011 war einer der schwersten in der Geschichte dieser Technologie. Die Katastrophe setzte grosse Mengen an Radioaktivität frei; über 150’000 Menschen mussten evakuiert werden.

Dieser Nuklearunfall markierte auch einen Wendepunkt in der Energiepolitik einiger Länder. Denn der Öffentlichkeit wurde das Risiko von Kernkraftwerken bewusst. In vielen Ländern wurde eine Neubewertung der Sicherheit bestehender Anlagen gefordert. Die Schweiz und Deutschland beschlossen, schrittweise aus der Kernenergie auszusteigen. Andere Länder, darunter Belgien und Taiwan, erneuerten ihre Absicht, ihre Atomkraftwerke stillzulegen.

Doch fast fünfzehn Jahre nach Fukushima befindet sich die Kernenergie wieder im Aufwind. Weltweit werden neue Atommeiler gebaut. Mehrere Regierungen beabsichtigen, darunter auch die Regierung Japans, ihre Programme zur Kernenergieproduktion voranzutreiben.

AKW Fukushima
Beschädigte Reaktoren im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi, 20. März 2011. Keystone

Warum erwägen einige Länder wieder den Einsatz von Kernenergie?

Internationale geopolitische Krisen, vom Krieg in der Ukraine bis zu den Konflikten im Nahen Osten, stellen die Sicherheit der Energieversorgung in Frage. Länder, die Öl und Gas importieren, können sich nicht mehr auf ihre traditionellen Lieferanten verlassen und suchen nach Alternativen. Die Europäische Kommission beabsichtigt beispielsweise, den Import von russischem Gas in die EU bis Ende 2027 ganz zu verbieten.

Auch der steigende Stromverbrauch stellt eine Herausforderung für die Energieversorgung dar. Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und Rechenzentren benötigen grosse Mengen an Strom. Dieser kann aus erneuerbaren Energiequellen nicht immer zuverlässig geliefert werden.

Und dann ist da noch der Klimawandel. Kernenergie verursacht im Vergleich zu fossilen Brennstoffen nur geringe CO2-Emissionen. Die Internationale Energieagentur (IEA) betrachtet daher die Nuklearenergie in einem Bericht vom Januar 2025Externer Link als Schlüsselement der globalen Dekarbonisierung.

Ein aktueller BerichtExterner Link der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) hebt die Vorteile der Kernenergie hervor: Atomenergie liefert demnach CO2-armen Strom, benötigt wenig Platz und Material pro erzeugter Kilowattstunde und erzeugt unabhängig von den Wetterbedingungen Energie.

Kernenergie als saubere Energiequelle: Einige Wissenschaftler halten diese These für falsch:

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Welche Länder besitzen Kernkraftwerke?

Weltweit betreiben 32 Länder Atomkraftwerke, das ist jedes sechste Land der Erde. Nach den neuesten Statistiken der World Nuclear AssociationExterner Link (WNA) vom Juni 2025 sind weltweit 439 Reaktoren in Betrieb.

Fast die Hälfte der Reaktoren befindet sich in den USA, Frankreich und China, die auch die wichtigsten Produzenten von Kernenergie sind. Weltweit liefert die Kernenergie etwa 9 Prozent der StromproduktionExterner Link.

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In der Schweiz sind drei Kernkraftwerke mit insgesamt vier Reaktoren in Betrieb (Beznau I und II, Gösgen und Leibstadt). Im Jahr 2024 erzeugten sie 23 Terawattstunden Strom, was 28 Prozent der nationalen Stromproduktion entspricht.

Welche Länder bauen neue Kernkraftwerke?

Laut WNA sind in 24 Ländern neue Kernreaktoren in Bau oder in Planung. Allein in China werden in den nächsten 15 Jahren 76 neue Anlagen in Betrieb genommen. Ägypten, die Türkei und Bangladesch bauen ihre ersten Kernkraftwerke.

Rund 30 Länder, darunter die USA, das Vereinigte Königreich und Frankreich, wollen im Rahmen ihrer Bemühungen um Klimaneutralität ihre Kernenergieproduktion bis 2050 verdreifachenExterner Link. Auch Entwicklungsländer in Asien und Afrika, wie Ruanda und Nigeria, erwägen den Einsatz von Kernenergie, um ihre Stromerzeugung zu diversifizieren und zu steigern.

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Die ehrgeizigen Klimaziele der EU haben Länder wie Belgien und Italien – das seine Kernkraftwerke bereits Ende der 1980er-Jahre stillgelegt hatte – dazu veranlasst, ihre bisherige Ablehnung der Kernenergie zu überdenken. Im Mai hat Belgien seinen Plan zum Ausstieg aus der Kernenergie offiziell aufgegeben.

Deutschland hat seine letzten Reaktoren 2023 abgeschaltet, aber die neue Regierung könnte eine Rückkehr zur Atomkraft in Betracht ziehen. Dänemark will die potenziellen Vorteile neuer Nukleartechnologien analysieren und erwägt, das seit 40 Jahren geltende Verbot aufzuheben.

Trotz des Unglücks von Fukushima hat Japan beschlossen, erneut auf Kernenergie zu setzenExterner Link, um seine Emissionsreduktionsziele zu erreichen. Auch in Taiwan könnte die Kernenergie ein Comeback erleben, obwohl das Land gerade erst die 2016 begonnene schrittweise Abschaffung der Kernenergie abgeschlossen hatte. Am 23. August findet ein nationales Referendum über die Wiederinbetriebnahme des im Mai abgeschalteten Reaktors von Maanshan statt.

Sind die neuen Kernkraftwerke sicherer als die Anlage von Fukushima?

Die weltweit im Bau befindlichen Anlagen sind hauptsächlich Kernkraftwerke der dritten GenerationExterner Link und laut SCNAT 10 bis 100 Mal sicherer als die bestehenden Anlagen, die überwiegend der zweiten Generation angehören. Sie können beispielsweise ohne externe Stromversorgung automatisch gekühlt werden. In Fukushima führte ein Ausfall der Kühlsysteme zur Kernschmelze.

Reaktoren der vierten GenerationExterner Link können alternative Brennstoffe wie Thorium oder Abfälle aus alten Anlagen verwenden. Die Kühlung erfolgt nicht mehr mit Wasser, sondern mit Gasen oder flüssigen Metallen. Diese Reaktoren sind zwar vielversprechend, befinden sich jedoch noch im Prototypenstadium, und es bestehen laut SCNAT weiterhin «grosse Unsicherheiten hinsichtlich der Technologie und der Wirtschaftlichkeit».

Es geht jedoch nicht nur um die technischen Aspekte. Einige Experten betonenExterner Link die Wichtigkeit, eine solide Sicherheitskultur zu erarbeiten und eine engere Zusammenarbeit zwischen den Ländern und ihren unabhängigen Regulierungsbehörden zu entwickeln.

Wird die Schweiz ein neues Kernkraftwerk bauen?

Wenige Wochen nach dem Unfall von Fukushima hat die Schweizer Regierung die Nationale Energiestrategie 2050 ausgearbeitet. Diese sieht die schrittweise Stilllegung der bestehenden Kernkraftwerke und ein Verbot des Baus neuer Kernkraftwerke vor. Das Schweizer Volk hat die neue Energiepolitik 2017 an der Urne angenommenExterner Link.

Inzwischen ist die Debatte über die Atomenergie jedoch auch in der Schweiz wieder neu entfacht.

AKWs in der Schweiz
Kai Reusser, Swissinfo

Die Regierung beabsichtigt, das Kernenergiegesetz im Rahmen ihres Gegenvorschlags zur Volksinitiative «Blackout stoppen»Externer Link zu überarbeiten, die die Zulassung aller Arten klimafreundlicher Stromerzeugung fordert. Die Regierung will die Tür für neue Kernkraftwerke offenlassen, falls die erneuerbaren Energien nicht ausreichen, um den nationalen Strombedarf zu decken.

«Ich hoffe, dass das Verbot der Nutzung von Atomenergie aus dem Kernenergiegesetz gestrichen wird», erklärte Energieminister Albert Rösti (SVP). Bundesrat Rösti elektrisiere die Atomdebatte, schrieb die Schweizer RevueExterner Link.

Ein Bericht des Energy Science CenterExterner Link der ETH Zürich aus dem Jahr 2023 kommt zum Schluss, dass Kernenergie eine Option sein könnte, um die Energiesicherheit in einer emissionsfreien Zukunft zu gewährleisten. Der Zeit- und Kostenaufwand für den Bau neuer Kernkraftwerke in der Schweiz ist jedoch ungewiss.

Die SCNAT geht davon aus, dass der Bau eines neuen Kernkraftwerks mindestens acht Jahre dauern würde. Zum Vergleich: Der Bau des Kraftwerks Olkiluoto in Finnland, das 2023 in Betrieb genommen wurde, dauerte über 16 Jahre. Das französische Unternehmen Electricité de France hat die beiden Reaktoren des Kraftwerks Taishan in China in neun Jahren gebaut.

Dem Bau würde jedoch ein langwieriger politischer Prozess vorausgehen, betont die SCNAT. In einer halbdirekten Demokratie wie der Schweiz, in der das Volk oft das letzte Wort hat, könnte das Projekt zu verschiedenen Zeitpunkten scheitern. Ganz zu schweigen von den wahrscheinlichen Einsprüchen gegen die Baugenehmigung.

«Jede Entscheidung wird mit Unsicherheiten auf allen Ebenen einhergehen, politisch, wirtschaftlich und technisch», sagte Jochen MarkardExterner Link von der ETH Zürich. Ein neues Kraftwerk könnte laut SCNAT frühestens 2050 an das Schweizer Stromnetz angeschlossen werden.

Editiert von Gabe Bullard/vm/ts. Übertragung aus dem Italienischen mithilfe von Deepl: Gerhard Lob

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