
Fluch oder Segen? Fünf Fragen zu Klimaanlagen

Klimatisierte Luft kann dabei helfen, immer intensivere und häufigere Hitzewellen zu überstehen. Der Boom bei Klimageräten für Privathaushalte in der Schweiz und weltweit hat jedoch Auswirkungen auf das Klima und den Stromverbrauch.
Wenn es im Winter kalt ist, ist es normal, die Heizkörper einzuschalten oder Holz im Kamin zu verbrennen. Niemand stellt die Notwendigkeit infrage, die Temperatur in den Häusern anzupassen – obwohl Heizsysteme eine bedeutende Quelle von CO₂-Emissionen sind. Wenn es jedoch drückend heiss wird, ist das Thema Komfort in Innenräumen deutlich umstrittener.
Mit der Zunahme von Hitzewellen infolge des Klimawandels versuchen immer mehr Menschen, sich Abkühlung durch Klimaanlagen zu verschaffen. Die Nachfrage nach Klimageräten steigt exponentiellExterner Link – in Asien und im Nahen Osten, aber auch in gemässigteren Regionen wie der Schweiz und Europa.
Klimaanlagen verbessern die Schlafqualität in Sommernächten. Sie helfen der Konzentrationsfähigkeit in Schulen und die Produktivität in Büros während Hitzewellen.
Sie können sogar Leben retten: Laut einem Bericht von The LancetExterner Link verhinderten Klimaanlagen im Jahr 2019 weltweit fast 200’000 vorzeitige hitzebedingte Todesfälle.
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Die Klimaanlage ist jedoch umstritten – wegen ihren Auswirkungen auf das Klima und ihres hohen Stromverbrauchs. Sie ist zunehmend zu einem politischen Streitpunkt geworden.
Der massive Einsatz von Klimaanlagen sei eine «schlechte Lösung», da er die Klimakrise verschärfe, erklärte die französische RegierungExterner Link als Reaktion auf einen jüngsten Vorschlag, in allen öffentlichen Gebäuden Klimaanlagen zu installieren.
Auch in der Schweiz sorgt das Thema in der Politik für DebattenExterner Link, und einige Kantone schränken die Nutzung von Klimaanlagen ein.
Sind sie ein überflüssiger Luxus oder eine lebensnotwendige Massnahme angesichts steigender Temperaturen? Antworten auf fünf Fragen zur Klimaanlage.

Welche Auswirkungen hat der Betrieb von Klimaanlagen auf das Klima?
Klimaanlagen enthalten Kältemittel wie Fluorkohlenwasserstoffe (FKW). Wenn diese in die Atmosphäre gelangen, tragen sie erheblich zum Treibhauseffekt und damit zur Klimakrise bei.
Ein Beispiel ist das Kältemittel R-32, ein seit Jahren verwendetes synthetisches Gas, das ein etwa 675-mal höheres Treibhauspotenzial als CO₂ hat. Kältemittel kann sowohl während des Betriebs als auch beim Entsorgen der Geräte austreten und in die Umwelt geraten.
Zu diesen direkten Emissionen kommen indirekte durch den Stromverbrauch hinzu: Mehr als die Hälfte der weltweit erzeugten Elektrizität stammt aus fossilen Quellen wie Kohle und Gas, die grosse Mengen CO₂ freisetzen.
Insgesamt sind Klimaanlagen für über 3% der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlichExterner Link – ein Klimaeffekt, der mit dem des Flugverkehrs vergleichbar ist.
Internationale Abkommen wie das Kigali-Zusatzprotokoll zum Montrealer Protokoll zielen darauf ab, den Verbrauch von Fluorkohlenwasserstoffen zu reduzieren.
Nachhaltigere Alternativen sind Kältemittel mit geringerer Auswirkung auf die Ozonschicht und das Klima.
Klimageräte der neuen Generation verwenden Gase wie Butan oder Propan – diese sind zwar entflammbar, haben aber ein deutlich geringeres Treibhauspotenzial.
«Man kann heute mit gutem Gewissen in der Wohnung eine Klimaanlage betreiben, wenn man ein solches Kältemittel verwendet», sagt Stefan Reimann vom Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsinstitut (Empa) in einem Artikel des Tages-AnzeigersExterner Link.
Allerdings haben Klimaanlagen – auch moderne – Auswirkungen auf das lokale Klima: Die Wärme, die sie nach aussen abgeben, trägt zur Erwärmung der Umgebung bei und verschärft das Phänomen der städtischen Wärmeinseln.
Wie viel Strom verbrauchen Klimaanlagen weltweit?
Ein Haushaltsklimagerät verbraucht zwischen drei und sieben Kilowattstunden Strom pro Tag. Das ist etwa fünfmal so viel wie ein Waschgang mit einer modernen Geschirrspülmaschine, sagt Cordin Arpagaus, Forscher an der Ostschweizer Fachhochschule.
Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) entfielen im Jahr 2022 rund 7% des weltweiten Stromverbrauchs auf die künstliche Kühlung von Räumen. Seit dem Jahr 2000 hat sich der Stromverbrauch durch Klimaanlagen – und in geringerem Mass durch Ventilatoren – mehr als verdoppelt.
Der weltweite Stromverbrauch für Klimaanlagen wird sich bis 2050 verdreifachen, prognostiziert die Internationale EnergieagenturExterner Link (IEA). Künftig werden Klimaanlagen weltweit so viel Strom verbrauchen wie ganz China im Jahr 2018.
Viele Menschen entscheiden sich für mobile Klimageräte, da sie einfacher zu installieren und günstiger als fest installierte Anlagen sind. Allerdings verbrauchen sie mehr Strom, um denselben Kühleffekt zu erzielen.
Die Sorge ist, dass der Klimaanlagen-Boom die Stromnetze überlasten könnte. Ein Blackout ist nicht auszuschliessen – wie Zwischenfälle Anfang Juli in Florenz, Bergamo und anderen italienischen StädtenExterner Link gezeigt haben.
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In bestimmten Fällen könnten Klimaanlagen jedoch sogar zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen: In einem Pilotprojekt in Austin, Texas (USA)Externer Link wurde von 2019 bis 2023 der Betrieb von Klimaanlagen in privaten Haushalten ferngesteuert an den Zustand des Stromnetzes angepasst. Bei hoher Netzbelastung wurde beispielsweise die Leistung der Geräte kurzfristig gedrosselt.
«Klimaanlagen könnten eine wichtige Rolle dabei spielen, die Flexibilität des Stromnetzes zu erhöhen – und das, ohne den Wohnkomfort zu beeinträchtigen», sagt Johanna Mathieu, Professorin für Elektrotechnik und Informatik an der University of Michigan.
Die Raumtemperatur wich beim Versuch um weniger als ein Grad Celsius (1,6 Grad Fahrenheit) von der Wunschtemperatur der Bewohnerinnen und Bewohner ab.
In welchen Ländern laufen die meisten Klimaanlagen?
Weltweit sind laut Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) mehr als 2,5 Milliarden Klimaanlagen in Betrieb. Die meisten davon befinden sich in den USA, Japan, Südkorea – und vor allem in China, wo die Verbreitung von Klimaanlagen seit 2010 stark zugenommen hat.
Etwa 36% aller Haushalte weltweit verfügen heute über eine Klimaanlage. Dieser Anteil soll gemäss Prognosen bis 2050 auf 60% steigen.
Besonders stark wird das Wachstum in Indien ausfallen: Dort soll sich die Anzahl der Geräte innerhalb der nächsten zehn Jahre verzehnfachen. Auch in Mexiko, Brasilien und im Nahen Osten wird ein kräftiger Anstieg erwartet. In Europa hingegen wird die Entwicklung moderater verlaufen.
Nicht nur der Klimawandel treibe die Nachfrage nach Klimaanlagen an, sondern auch steigende Einkommen würden dazu beitragen, sagt Hannah RitchieExterner Link, Datenwissenschaftlerin und Forscherin am Global Development Programme der Universität Oxford.
«Könnten sich Menschen in extrem heissen Ländern wie Indien oder Indonesien Klimaanlagen leisten, hätten sie längst eine», so Ritchie. «Das wird in den kommenden Jahrzehnten geschehen, wenn die Einkommen in vielen Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen steigen werden.»
In den USA verfügen rund 90% der Haushalte über eine Klimaanlage. In der Europäischen Union lag dieser Anteil 2019 bei etwa 20%, mit deutlich höheren Werten in Italien, Griechenland und Spanien. Dort besitzen zwischen 50% und 60% der Haushalte ein Klimagerät, so die aktuellen Daten der Europäischen UmweltagenturExterner Link (EEA).
Für die Schweiz gibt es keine offiziellen Zahlen. Schätzungsweise sind momentan lediglich 5% der Haushalte mit einer Klimaanlage ausgestattet.
Warum sind Klimaanlagen in Schweizer Haushalten selten?
Die naheliegendste Antwort ist, dass Klimaanlagen hierzulande nicht als unverzichtbar gelten. In der Schweiz sind die Sommer nicht so heiss und die Temperaturen nicht so extrem wie in mediterranen Ländern oder im Nahen Osten.
Dennoch werden auch in der Schweiz, einem der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder, Hitzewellen häufiger und länger. Der Bedarf, Wohnräume zu kühlen, wächst – und mobile Klimageräte sind sehr gefragt: Im Juni dieses Jahres verkaufte der Schweizer Online-Shop Galaxus dreimal so viele Geräte wie im Juni 2024.
Das Abschmelzen der Gletscher ist einer der Gründe, warum die Temperaturen in der Schweiz stärker steigen als anderswo:

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Auch die Verkäufe von fest installierten Klimaanlagen steigen, wenn auch deutlich langsamer. Jährlich werden etwa 20’000 Geräte dieser Art in Wohnhäusern und Büros installiert.
Im Gegensatz zu mobilen Geräten müssen diese so genannten Split-Klimaanlagen bestimmte Energie- und Bauvorschriften erfüllen. Derzeit genehmigen die kantonalen Behörden nur Anlagen mit einer maximalen Leistung von zwölf Watt pro Quadratmeter.
Die Beschränkungen können noch strenger sein: In Zürich muss man beispielsweise zunächst die Räume ausreichend dämmen und einen Sonnenschutz (wie automatische Rollläden) installieren, bevor eine solche Anlage erlaubt wird. Im Kanton Freiburg dürfen feste Klimageräte nur installiert werden, wenn auf dem Dach Photovoltaik-Paneele vorhanden sind.
Für Marco von Wyl, Direktor des Schweizer Verbands der Hersteller und Lieferanten von Heizungs-, Lüftungs- und Klimasystemen, ist die Begrenzung der Kühlleistung das Haupthindernis für die Installation in der Schweiz. Viele bestehende Gebäude seien deshalb ausgeschlossen, so von Wyl.
Welche Alternativen gibt es zur Klimaanlage?
Um sich ohne Klimaanlage abzukühlen, ist es entscheidend, das Eindringen von Sonnenstrahlen in Gebäude zu verhindern – besonders durch Fenster. Effektiven Schutz bieten Aussenstoren, Sonnenschutzmarkisen und weisse Fensterläden.
Für den Forscher und Energieberater Jean-Christophe Hadorn liegt die Zukunft bei Ventilatoren. Diese verbrauchen im Durchschnitt 20-mal weniger Strom als Klimaanlagen und bieten trotzdem eine spürbare Erleichterung. «Bald werden Ventilatoren in allen Haushalten zu finden sein», sagt er.
Auf städtischer Ebene tragen Begrünung, Gewässer und eine höhere Bodenversickerung dazu bei, die Umgebungstemperatur und damit auch die Innentemperaturen zu senken. Einige Städte, darunter etwa Genf, nutzen Seewasser, um Gebäude über ein unterirdisches Rohrnetz zu kühlen.
Klimaanlagen seien keine Wundermittel. Aber wir müssten akzeptieren, dass die Nachfrage nach Kühlung steigen werde, sagt Forscherin Ritchie. Klimaanlagen sollten deshalb mit weiteren Lösungen kombiniert werden, die Städte und Gebäude kühler machen.
«Vor allem, wenn wir Menschen schützen wollen, die draussen arbeiten, und ärmere Bevölkerungsgruppen, die sich keine Klimaanlage leisten können.»
Editiert von Gabe Bullard/vm, Übertragung aus dem Italienischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub

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