
Warum sind Medikamente in den USA so teuer?

Ende Juli forderte Donald Trump 17 grosse Pharmafirmen auf, in den USA die Preise für Medikamente zu senken, andernfalls drohten Vergeltungsmassnahmen. Diese Drohung folgt auf eine Mitte Mai unterzeichnete Verordnung und greift ein bisher unerfülltes Versprechen aus Trumps erster Amtszeit auf. Aber warum sind die Preise für Medikamente in den USA höher als anderswo?
«Wenn Sie sich weigern zu handeln, werden wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um amerikanische Familien vor missbräuchlichen Praktiken bei der Preisgestaltung von Medikamenten zu schützen.»
Diese Worte wählte der amerikanische Präsident in fast identischen Briefen, die er Ende Juli an mehrere Führungskräfte von grossen internationalen Pharmafirmen wie Merck, Novartis, Roche, Pfizer, Sanofi, Novo Nordisk und Astra-Zeneca geschickt hat. In seinem Schreiben gibt Trump ihnen bis zum 29. September Zeit, um diesbezüglich «verbindliche Zusagen» zu machen.

Am Dienstag kündigte der Republikaner zusätzlich an, langfristig Zölle von bis zu 250% auf in die USA importierte Arzneimittel zu erheben. Dies in der Hoffnung, dass sich Firmen auf amerikanischem Boden niederlassen.
Bereits im Mai kritisierte der US-Präsident in einem DekretExterner Link Arzneimittelhersteller, die «den Forderungen anderer Länder nach niedrigen Preisen nachgeben» und sich gleichzeitig dagegen wehren würden, «dass öffentliche und private Kostenträger (Versicherungen, Anm. d. Red.) in den Vereinigten Staaten die besten Preise für Patient:innen aushandeln können».

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Trump kündigte an, dass «die Amerikaner nicht mehr verpflichtet sein werden, fast dreimal so viel für die gleichen Medikamente zu bezahlen».
Verschreibungspflichtige Medikamente deutlich teurer als in der Schweiz
Eine Analyse gibt Trump Recht. Die Preise für verschreibungspflichtige Medikamente in den USA sind durchschnittlich 2,78-mal höher, wie eine im Februar 2024 veröffentlichte Studie des Beratungs- und Forschungsunternehmens Rand CorporationExterner Link zeigt, die auf Zahlen aus dem Jahr 2022 für eine Auswahl verschreibungspflichtiger Medikamente in 33 OECD-Ländern basiert.
Je nach Land gibt es erhebliche Unterschiede. So sind die Bruttopreise der Hersteller für verschreibungspflichtige Medikamente in den Vereinigten Staaten 3,26-mal höher als in Frankreich, während sie beispielsweise nur 1,72-mal höher sind als in Mexiko, aber mehr als zehnmal höher als in der Türkei. Im Vergleich zur Schweiz zahlen die Amerikaner:innen 2,18-mal mehr.
Ideales Land für die Festlegung eines Richtpreises
Wie lässt sich erklären, dass die Vereinigten Staaten so viel für ihre Medikamente bezahlen? Die Hauptursache liegt darin, dass es im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern keine direkte nationale Preisregulierung gibt.
Jedes Pharmaunternehmen legt seine Preise frei fest, und die Verhandlungen mit den Versicherern erfolgen individuell, ohne staatlich vorgeschriebene Obergrenzen.
Andere Länder legen Obergrenzen für die Preise fest, die sie für ein Medikament zu zahlen bereit sind. Frankreich beispielsweise begrenzt das Umsatzwachstum der Pharmaunternehmen. Wenn sie die Obergrenze überschreiten, erhält die Regierung einen Preisnachlass.
In den Vereinigten Staaten hingegen sind Pharmaunternehmen von diesen gesetzlichen Preisbeschränkungen für privat versicherte Patient:innen und für die Einführungspreise von Medikamenten bei ihrer Erstvermarktung ausgenommen.
«Medikamente sind in den USA so teuer, weil wir es zulassen», fasst Michelle Mello, Professorin für Gesundheitsrecht und -politik in Stanford, in einem Artikel der New York TimesExterner Link zusammen. «Wir haben ein System für Medikamentenkosten entwickelt, das wie ein Motor funktioniert, aber keine Bremse hat.»
Schauen Sie dazu die RTS-Reportage (auf Französisch):
Aus diesen Gründen bringen Pharmaunternehmen ihre neuen Medikamente oft zuerst in den USA auf den Markt. Laut einem Bericht des Amts für Politikplanung und -bewertungExterner Link (ASPE) des US-Gesundheitsministeriums macht dieser Markt fast 50% des weltweiten Arzneimittelumsatzes aus.
Mit Einzelhandelspreisen, die zu den höchsten weltweit zählen, und einem Zulassungsverfahren, das in der Regel schneller ist als in Europa, sind die Vereinigten Staaten somit der Referenzmarkt für Pharmaunternehmen.
Darüber hinaus dient der ursprüngliche Preis eines neuen Medikaments, das in den Vereinigten Staaten auf den Markt gebracht wird, anschliessend als strategischer Hebel.
Viele Länder, darunter auch europäische, wenden das System der externen Preisgestaltung an, bei dem der Preis eines Medikaments auf der Grundlage der Preise in anderen ausgewählten Ländern als Referenz festgelegt wird.
Durch die Festlegung eines hohen Preises in den Vereinigten Staaten beeinflussen die Hersteller somit die Preisobergrenzen oder Spielräume in anderen Märkten und maximieren gleichzeitig ihre Einnahmen, bevor sie in Länder mit strengeren Vorschriften einsteigen.
Während seiner ersten Amtszeit hatte Donald Trump bereits versucht, das Problem anzugehen, beispielsweise indem er den Import günstigerer Medikamente aus Kanada genehmigen oder bestimmte US-Preise an die im Ausland geltenden Preise koppeln wollte. Diese Massnahmen stiessen jedoch auf zwei Hindernisse: den politischen Druck grosser Konzerne und rechtliche Schritte, die ihre Umsetzung verhinderten.
Das Ergebnis: Die Preise blieben unverändert, und die Angelegenheit verdeutlichte vor allem die Fähigkeit der Pharmaindustrie, Reformen zu neutralisieren, die ihre Interessen gefährden.
Geringe Verhandlungsmacht
Neben dem fehlenden Mechanismus zur Preisregulierung verfügen die USA im Gegensatz zu vielen anderen Ländern nicht über eine einzige Verhandlungsinstanz, wie beispielsweise das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in der Schweiz.
Die Gespräche und Verhandlungen finden zwischen dem Hersteller und mehreren tausend Versicherungen statt, was die Möglichkeiten für günstigere Preise einschränkt.
Im Jahr 2022 ermächtigte ein Gesetz Medicare (das staatliche Krankenversicherungsprogramm der USA, das sich hauptsächlich an Personen ab 65 Jahren richtet, Anm. d. Red.) zwar, mit den Pharmaunternehmen über bestimmte Arten von Medikamenten zu verhandeln, die bereits seit Jahren auf dem Markt sind.
Analyst:innen sind sich jedoch einig, dass eine viel stärkere Verhandlungsmacht erforderlich wäre, um die Preise wirksam senken zu können.
Hinzu kommt, dass private US-Versicherer in der Regel Vermittler, sogenannte Pharmacy Benefit Manager (PBM), mit der Aushandlung der Kosten beauftragen. Diese verfügen über eine grössere Macht bei der Preisgestaltung. Allerdings tun sie dies oft mit begrenzter Transparenz und könnten dazu verleitet sein, Gebühren für teurere Medikamente zu berechnen.
In einer Ende Juli veröffentlichten PressemitteilungExterner Link wirft die American Medical Association (AMA), der grösste Berufs- und Gewerkschaftsverband der Ärzt:innen in den Vereinigten Staaten, diesen Zwischenhändler:innen vor, einen stark konzentrierten Markt und eine enge Verflechtung mit den Versicherern auszunutzen, um die Arzneimittelpreise in die Höhe zu treiben, den Zugang zu Behandlungen zu beschränken und den Wettbewerb zu beeinträchtigen.
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«Da die PBM zunehmend in ihrem eigenen Interesse handeln, ohne Transparenz und Rechenschaftspflicht, steigen die Medikamentenpreise und Patienten sind Gesundheitsrisiken aufgrund unerschwinglicher medikamentöser Behandlungen ausgesetzt», fasst Bobby Mukkamala, Präsident der AMA, im Dokument zusammen.
Auch Krankenhäuser und Ärzt:innen selbst werden oft dazu angehalten, die teuersten Medikamente zu bevorzugen. Im Rahmen von Medicare werden bestimmte Behandlungen beispielsweise im Voraus bezahlt, bevor eine Erstattung erfolgt, und ein zusätzlicher Prozentsatz auf diesen Preis soll die Gemeinkosten decken. Es ist dann rentabler, ein Medikament für 1000 Dollar zu verschreiben statt eines für 100 Dollar.
Schliesslich schreibt die New York Times in ihrem Artikel auch, dass es den Herstellern in den USA besser als anderswo gelungen ist, die Monopolzeit eines Medikaments zu verlängern. Dies dank «Taktiken der Patentakkumulation», die die Einführung von Generika verzögern.

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Ein grundlegend amerikanisches Problem
Hinter den sehr hohen Medikamentenpreisen in den USA verbirgt sich also ein zutiefst amerikanisches Problem: ein System ohne echten zentralen Verhandlungspartner, auf die Industrie zugeschnittene Gesetze und Vorschriften und massives Lobbying, das die Margen der Pharmaunternehmen schützt.
Von den zehn weltweit grössten Pharmakonzernen sind fünf amerikanisch, was deutlich macht, dass vor allem die nationalen Akteure von dieser Situation profitieren. Diese Giganten verteidigen vehement einen Status quo, der ihnen ideale Bedingungen auf ihrem Heimatmarkt sichert.
Um die Preise in den USA nachhaltig zu senken, setzt Donald Trump nun jedoch auf einen umstritteneren Ansatz: die Pharmaunternehmen dazu zu drängen, ihre Preise anderswo zu erhöhen, um die Preissenkungen in den USA auszugleichen.
Eine Forderung, die Preiserhöhungen in Europa befürchten lässt. «Je schwächer unsere Pharmaindustrie ist, und das ist bei uns der Fall, desto mehr werden wir von Medikamenten aus dem Ausland abhängig sein, desto empfindlicher wird man auf die Politik von Trump reagieren und desto mehr Druck wird man ausüben, um die Preise für Medikamente zu erhöhen», fasste Carine Milcent, Forscherin am CNRS und Spezialistin für Gesundheitssysteme, bereits im Mai in einem Interview mit France Culture zusammen.
Übertragung aus dem Französischen mit der Hilfe von Deepl: Claire Micallef

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