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Schweizer Jugend und Armee: Was läuft schief?

militärangehörige mit essen
Das Essen im Militär ist vermutlich anders als das, was man sich von zuhause gewöhnt ist. Keystone / Christian Beutler

Jedes Jahr verlassen 11'000 Soldaten den Dienst, und 2024 wurden Militärpsycholog:innen über 1000 Mal aufgesucht. Was steckt hinter diesen Zahlen? Ein Militärpsychologe gibt Auskunft.

Das Verhältnis zwischen der Generation Z und dem Militärdienst ist sehr angespannt. Das berichten verschiedene Schweizer Medien und stützen diese These auf zwei Zahlen. Erstens: Jedes Jahr verlassen etwa 11’000 Soldaten vorzeitig den Dienst. Zweitens: 2024 wurden über 1000 Besuche bei Militärpsychologen durchgeführt, wobei etwa 60% von ihnen Schwierigkeiten hatten, sich an die physisch und mental anspruchsvolle militärische Umgebung anzupassen.

Um dieses Problem besser zu verstehen, haben wir Professor Hubert Annen interviewt, Dozent für Militärpsychologie und -pädagogik an der ETH Zürich.

Kann man sagen, dass die zwischen 1997 und 2012 geborenen jungen Menschen ein besonders konfliktreiches Verhältnis zum Militärdienst haben?

Die Hypothese, dass die Beziehungen zwischen der Generation Z und der Schweizer Armee angespannt sind, lässt sich wissenschaftlich nicht bestätigen. Wir können uns insbesondere auf die Daten der jährlichen Sicherheitsumfrage 2025 beziehen. Diese zeigt beispielsweise, dass die vom Wehrdienst betroffene Altersgruppe der 18 bis 34-Jährigen sicherlich eine kritischere Haltung gegenüber der Armee einnimmt.

Allerdings ist auch in dieser Gruppe nur eine Minderheit für die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht. Zudem zeigen die Daten der jährlichen ArmeeauszählungExterner Link, dass der Prozentsatz der als diensttauglich eingestuften Personen gestiegen ist (derzeit etwa 70%). Darüber hinaus mangelt es, zumindest quantitativ, nicht an Kandidaten für eine militärische Laufbahn.

Schliesslich ist aus wissenschaftlicher Sicht anzumerken, dass die Einteilung in Generationsgruppen willkürlich ist und die Literatur keine eindeutige Definition der Generation Z liefert.

60% der Armeeangehörigen hatten jedoch Schwierigkeiten, sich an das militärische Umfeld anzupassen. Wie erklären Sie das?

Es ist eine Tatsache, dass das militärische Leben – mit seinen festen Zeiten, langen Ausbildungstagen, militärischer Formalität, auferlegtem Gemeinschaftsleben und der Distanz zum persönlichen sozialen Umfeld – im Allgemeinen schwer mit den Erfahrungen und Erwartungen unserer jungen Generationen zu vereinbaren ist. Dies ist jedoch nichts Neues.

Trotzdem verlassen jedes Jahr etwa 11’000 Soldaten vorzeitig den Dienst. Was bedeutet das? Vielleicht, dass die Rekruten heute mehr an individueller und persönlicher Verwirklichung interessiert sind als am Pflichtgefühl?

Dass junge Generationen eine kritische Haltung einnehmen und glaubwürdige Antworten von den älteren Generationen verlangen, ist nichts Neues. Die deutsche Shell Jugendstudie zeigte dies bereits zu Beginn des Jahrtausends.

Junge Menschen wachsen in einer Welt auf, die ihnen eine Vielzahl von Optionen bietet, manchmal mit einem einfachen Klick zugänglich. Wir können ihnen nicht vorwerfen, dass sie diese nutzen wollen; vor allem, weil es die Gesellschaft – also wir – ist, die diese Optionen zur Verfügung stellen.

Es ist klar, dass der Nutzen des Zivildienstes, kombiniert mit Vorteilen wie einem normalen Arbeitstag und der Möglichkeit, zu Hause zu schlafen, attraktiver ist als beispielsweise die Infanterieausbildung. Dennoch gibt es viele junge Menschen, die nach einer gewissen Zeit entdecken, dass ihnen die militärische Erfahrung oder die Kaderausbildung nützlich war.

Aber das erfordert, dass sie bereit sind, den Schritt zu einem neuen Lebensstil zu machen. Wenn die aktuelle Generation wirklich bereit ist, sich in der Gemeinschaft zu engagieren, sobald sie einen unmittelbaren und konkreten Sinn in dem sieht, was sie tut, dann ist die Armee strukturell eindeutig im Nachteil.

Militärangehörige in einer Reihe
Das Militärleben besteht aus Disziplin, festen Zeitplänen und langen Tagen. Keystone / Anthony Anex

Cosa può fare l’esercito svizzero per cercare di adattarsi meglio alle nuove generazioni?

Was kann die Schweizer Armee tun, um sich besser an die neuen Generationen anzupassen?

In den letzten zwanzig Jahren wurden verschiedene Initiativen gestartet, um die Herausforderungen beim Übergang vom zivilen Leben zum Militärdienst anzugehen. Darunter fallen etwa die Einrichtung des Psychologischen und Pädagogischen Dienstes der Armee, eine Ausweitung der psychologischen Tests bei der Rekrutierung sowie diverse Studien.

Es ist wahrscheinlich, dass diese Massnahmen einige Früchte getragen haben. Dennoch bleibt festzustellen, dass der Militärdienst eine Pflicht ist und dass die militärische Ausbildung Elemente umfasst, die von den jungen Menschen eine Anpassung verlangen.

Die Zahl der Besuche bei Militärpsychologen ist rückläufig:

-2020: 1’321
-2021: 1’243
-2022: 1’174
-2024: 1’169

Hat die Schweizer Armee genug Soldaten?

«Die Zahl der Personen, die den obligatorischen Militärdienst vorzeitig verlassen, ist hoch: Jedes Jahr verlassen etwa 11’000 Wehrpflichtige die Armee, bevor sie ihre Pflicht erfüllt haben», sagt Armeesprecherin Delphine Schwab-Allemand einleitend.

«Die Schweizer Armee», fährt sie fort, «hat drei in der Bundesverfassung verankerte Aufgaben: Sie verteidigt das Land und die Bevölkerung gegen Angriffe, unterstützt die zivilen Behörden, wenn deren Ressourcen nicht mehr ausreichen, und fördert den Frieden auf internationaler Ebene. Die Armee kann nicht garantieren, in den kommenden Jahren über ausreichend Personal zu verfügen. Und die vorzeitigen Abgänge sind in dieser Hinsicht ein Schlüsselfaktor, wie die Armeezählung zeigt.»

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