
Wegen Bürokratiefrust wurde sie Auslandschweizerrätin: Tessa Huber will junge Stimmen stärken

Tessa Huber wurde diesen Frühling in den Auslandschweizer-Rat gewählt. Die Molekularmedizinerin will im Rat bürokratische Hürden abbauen und junge Schweizer:innen im Ausland stärker einbinden.
Niemandem sei verübelt, sich die Wahl in ein Amt in Ruhe zu überlegen. Zwischen der Anfrage zur Kandidatur und der Wahl von Tessa Huber als zweite Co-Vizepräsidentin der ASO Deutschland vergingen diesen Frühling gerade mal fünf Minuten. Grosszügig geschätzt.
Kurz zuvor wurde die 32-Jährige an der Konferenz der Auslandschweizer-Organisation ASO Deutschland als frisch gewählte Auslandschweizerrätin vorgestellt.
Die ASO Deutschland erlebt eine kleine Zeitenwende: Erstmals wurden die Vertreter:innen im Auslandschweizer-Rat durch elektronische Direktwahlen bestimmt. Lesen Sie unseren Bericht zur Wahl:

Mehr
«Geballte Ladung Energie»: Aufbruch bei der ASO Deutschland – mit Dämpfer
Kassetten und Käsefondue
Huber wuchs in Berlin auf, mit Kassetten und Kinderbüchern auf «Schwyyzerdütsch» sowie Käsefondue zu Weihnachten. Ein «Schock», als sie feststellte, dass ihre Freund:innen diese Tradition nicht pflegten. «Das ist ja furchtbar. Wie kann man ohne Käsefondue leben?», habe sie sich damals gefragt.
Die wichtigste Verbindung zur Heimat ihrer Mutter ging für Huber jedoch nicht durch den Magen, es waren die Schweizer Grosseltern, bei denen sie in Basel, Lausanne und Lenk oft lange Ferientage verbracht hatte.
Nach dem Tod der Grossmutter zog der Grossvater zur Familie nach Deutschland. «Da war die Schweiz bei uns zu Hause und wurde dort gelebt».

Mit der Schweiz geht für Huber, die als Molekularmedizinerin für ein Medizintechnik-Unternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz arbeitet, auch eine gewisse Mentalität einher: «Die Schweizer sind einfach ein bisschen tiefenentspannter. Man nimmt sich Zeit und hat nicht ständig was zu meckern.»
Für Huber ist klar: «Meine Heimat zum Leben ist Deutschland, aber meine Heimat im Herzen ist die Schweiz.» Mit dem Tod ihres Grossvaters spürte Huber einen Bruch zu ihren Schweizer Wurzeln. «Umso mehr bin ich bestrebt, die Verbindung zur Schweiz aufrecht zu erhalten und zu pflegen.»
Bürokratie als Auslöser
Einen starken Bezug zur Heimat der Grosseltern ist das eine, doch was veranlasst eine Auslandschweizerin zweiter Generation, sich im sogenannten «Parlament der Fünften Schweiz», dem Auslandschweizer-Rat, zu engagieren?
Der Auslandschweizer-Rat versteht sich als Vertretung der über 800’000 Auslandschweizer:innen weltweit. Er fungiert nach eigenen Angaben als «Parlament der Fünften Schweiz», das die Anliegen der Auslandschweizer:innen-Community aufnimmt und sich in der schweizerischen Öffentlichkeit und bei den Behörden für diese Anliegen einsetzt.
Er besteht aus 140 Ratsmitgliedern, wovon 120 im Ausland leben. Im Gremium sitzen auch Schweizer Politiker:innen, die sich in den eidgenössischen Räten für die Interessen der «Fünften Schweiz» einsetzen.
Die einfache Antwort: nervenaufreibende Bürokratie, der man als Schweizer:in im Ausland ausgesetzt ist. Diese möchte sie bekämpfen. Manches hätte sie einfach «gefuchst». Im Ausland fehlten ihr jedoch die Kontakte, es anzugehen.
Das Fass zum Überlaufen brachte bei ihr ein bürokratischer Marathonlauf rund um ihre Hochzeit. «Mein Mann stammt aus der ehemaligen Sowjetunion. Er ist im heutigen Kasachstan geboren und zog mit der Familie als Einjähriger nach Deutschland.»
Das Paar wollte die Ehe sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz eintragen lassen. Die Schweiz benötigte dafür aber eine Apostille auf der Geburtsurkunde von Hubers Mann, was sich als schwieriges Unterfangen entpuppte.
Alles an einem Ort – Täglich die wichtigsten und relevantesten Nachrichten aus der Schweiz, sowie die Tagesschau und das Echo der Zeit. Jetzt die SWIplus App herunterladen!
«Mit viel ‚bitte, bitte‘ wurde am Ende die deutsche Version der Geburtsurkunde anerkannt», sagt Huber. «Doch mir war klar, sowas muss einfacher gehen. Man braucht einen leichteren Zugang, ohne dass man gefühlt jegliche Gesetze durchlesen muss, um den einen für sich relevanten Paragraphen zu finden.»
In der Schweizer Revue las sie über die Online-Direktwahlen in den Auslandschweizer-Rat, die diesen Frühling in über 40 Ländern, darunter Deutschland, durchgeführt wurden. «Ich wollte es einfach mal versuchen.»
«Gesetze müssen nicht trocken sein»
Der Versuch hat geklappt, mit dem zweitbesten Resultat in Deutschland wurde Huber in den Rat gewählt. Die Wahlen der ausländischen Delegierten des Auslandschweizer-Rats werden dieses Wochenende an den «SwissCommunity Days»Externer Link bestätigt, dann kann die Arbeit beginnen.
Am Wochenende trifft sich der Auslandschweizer-Rat (ASR) zur konstituierenden Sitzung im Bundeshaus in Bern – erstmals im Rahmen der neuen «SwissCommunity Days»:

Mehr
Die ersten «SwissCommunity Days»: Viel Neues im Auslandschweizer-Rat
Huber möchte sich vor allem für junge Schweizer:innen in Deutschland einsetzen. «Bei ihnen gibt es meiner Meinung nach wesentliches Potential. Viele wissen gar nicht, was für Möglichkeiten und Angebote sie nutzen können.»
Dazu komme, dass die Schweiz für junge Schweizer:innen im Ausland nach wie vor einen hohen Stellenwert habe.
Wollen junge Schweizer:innen im Ausland, gerade in der zweiten oder gar dritten Generation, überhaupt solch institutionalisierten Kontakt über eine Organisation zur Schweiz? «Der Bedarf nach Austausch ist definitiv da», ist Huber überzeugt.
Ein Zeichen dafür mag die Zusammensetzung des neuen Auslandschweizer-Rats sein: Bei den elektronischen Direktwahlen in Ländern wie Deutschland ist der Rat jünger geworden. Das Interesse an Mitwirkung scheint – zumindest dort – vorhanden.

Mehr
Alles zum Thema «Auslandschweizer:innen»
Besonders bei der Partizipation sieht Huber eine zentrale Rolle des Auslandschweizer-Rats: «Es ist wichtig, jüngeren Auslandschweizer:innen zu zeigen, dass sie sich beteiligen können.» Zuvor müssen diese allerdings besser erreicht werden, «zum Beispiel mit Videos auf den sozialen Medien. Gesetze und Normen müssen nicht trocken sein. Hier sehe ich Potential, das etwas lockerer als gewohnt rüberzubringen.» Konkrete Ideen würden bereits existieren, «aber ich möchte noch nicht vorgreifen», sagt Huber.
Fest steht für die gewählte Kandidatin dagegen, dass der Austausch zwischen der jüngeren und älteren Generation zentral sei. «Die Schweizer Vereine bleiben essenziell, und ihre Mitglieder dürfen nicht das Gefühl haben, wir würden uns nur um Personen ausserhalb der Vereine kümmern.»
Ein erstes Zusammentreffen und Zeit für Austausch gibt es am 22. und 23. August an den «SwissCommunity Days» im Bundeshaus in Bern, mit denen die neue Legislaturperiode 2025-2029 beginnt.
Als gewählte Kandidatin reist auch Huber für diese Tage in die Bundesstadt – im Gepäck wohl die Hoffnung, dass es ihr trotz vollem Programm für ihr Schweizer Lieblingsgericht reicht: Käsefondue.
Mehr
Editiert von Balz Rigendinger

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch