
Warum Schweizerinnen für die Samenspende ins Ausland reisen

Nur verheiratete Frauen haben in der Schweiz derzeit Anspruch auf Samenspende. Während die Politik diskutiert, reisen viele ins Ausland, um schwanger zu werden. Hier erzählen sie von ihren Erfahrungen.
Es handelt sich um ein Bündnis beispiellosen Ausmasses in Bern: Vertreterinnen von sechs Parteien – von links bis rechts – haben in diesem Frühling die parlamentarische Initiative «Medizinisch unterstützte Fortpflanzung für alleinstehende Frauen»Externer Link eingereicht, die eine Änderung des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG) zum Ziel hat.
Damit sollte Samenspende auch alleinstehenden Frauen in der Schweiz ermöglicht werden. Über 80 Parlamentarierinnen haben den Text unterzeichnet.
Der Bundesrat lehnt das Ansinnen jedoch ab: Er ist zwar bereit, das Gesetz für unverheiratete Paare zu ändern, nicht aber für alleinstehende Frauen.
Aktuell erlaubt das Fortpflanzungsmedizingesetz die Samenspende nur für verheiratete Paare – seit dem Ja zur Initiative «Ehe für alle» im Jahr 2021 auch für homosexuelle Paare.
Alleinerziehend durch Samenspende – ein Phänomen jenseits jeder Statistik
In der Schweiz existieren bislang keine offiziellen Zahlen zu Frauen, die sich bewusst als Singles für ein Kind entscheiden, aber in vielen westlichen Ländern beobachtet man das Phänomen.
In den grössten Samenbanken der Welt, vor allem in Dänemark, machen alleinstehende Frauen 40% der Kundschaft aus. Auch in Ländern, die Samenspenden für alleinstehende Frauen erlauben, verzeichnen Fruchtbarkeitskliniken zunehmenden Zulauf.
Das Format «Temps Présent» des Westschweizer Fernsehens RTS hat dazu eine vertiefte Recherche durchgeführt und mit Frauen gesprochen, die diesen Schritt gewagt haben. Was erzählen sie
«Ist es egoistisch, in diese Welt ein Kind ohne Vater zu bringen?»
Tasha Rumley aus dem Kanton Waadt hat ihre Tochter in Spanien gezeugt und engagiert sich dafür, dass sich das Gesetz ändert – damit Kinder, die durch assistierte Reproduktion im Ausland geboren werden, nicht mit dem Bewusstsein aufwachsen müssen, dass sie die Schweiz nicht gewollt hat.
Claire aus Genf ist Mutter von 18 Monate alten Zwillingen, die sie nach sieben Versuchen in Dänemark bekommen hat. Sie schildert die Schwierigkeiten und Zweifel, die sie während dieses einsamen Wegs begleitet haben: «Ist es egoistisch, in diese Welt ein Kind ohne Vater zu bringen?», fragte sie sich lange.
Diese Frauen umgehen das Schweizer Gesetz, indem sie auswärts in Kliniken gehen. Dänemark hat sich zu einem Zentrum des «Fruchtbarkeitstourismus» entwickelt, mit rund dreissig Kliniken, die Patientinnen aus aller Welt annehmen.
In der Klinik in Kopenhagen, wo Claire ihre Töchter bekam, suchten im Jahr 2023 48 Schweizer Frauen eine Samenspende; im vergangenen Jahr waren es bereits 60.
Dänische Samenbanken bieten eine grosse Auswahl an Spenderprofilen, die detailliert online einsehbar sind. Die Frauen können anhand eines Katalogs auswählen – im Gegensatz zur Praxis in der Schweiz, wo der Arzt den Spender bestimmt.
Ein dänischer Samenspender sagte gegenüber RTS über seine Rolle: «Ich bin nicht ihr Elternteil. Ich bin einfach genetisches Material für jemanden, der es braucht.»
«Viele Kinder zeugen, ohne sich darum kümmern zu müssen»
Einige Frauen meiden Kliniken und suchen Spender online oder in Facebook-Gruppen. Mehrere Männer in der Romandie bieten ihren Samen auf Websites an.
Ein Mann erklärte dazu gegenüber RTS: «Das Hauptmotiv dafür ist egoistisch, ein Fortpflanzungstrieb und der Wunsch, viele Kinder zu zeugen, ohne sich um sie kümmern zu müssen. Ich werde meine Gene weitergegeben haben.»
Diese Vorgehensweise birgt jedoch Risiken: Frauen können sich sexuell übertragbare Krankheiten oder genetische Erkrankungen einfangen. Zudem besteht die Gefahr, dass Behörden die Vaterschaft feststellen wollen.

Anonyme Samenspende: In Spanien die Regel, in der Schweiz verboten
Gynäkologe Nicolas Vulliemoz, Fruchtbarkeitsspezialist in Lausanne, bedauert, Patientinnen wie Tasha oder Claire in der Schweiz nicht begleiten zu dürfen.
Er ist der Ansicht, die Diskussion über die Öffnung der Samenspende für unverheiratete Frauen müsse neu belebt werden. Ein zentrales Argument ist das Recht des Kindes, seine Herkunft zu kennen.
Denn während die Schweiz seit 2001 anonyme Spenden verboten hat, erlaubt Dänemark sie und Spanien verlangt sie sogar.

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Mein Vater, ein Samenspender mit Gesicht
«Ich denke, ein möglicher Grund für eine Gesetzesänderung in der Schweiz wäre ein rechtlicher Rahmen, der eine nicht-anonyme Spende von Eizellen oder Samen verpflichtend macht – so wie es die Schweiz bereits seit 2001 für Samenspenden vorsieht», erklärt der Arzt.
Gynäkologinnen drohen bei Verstössen hohe Strafen in der Schweiz
Das Verbot bringt Gynäkologinnen in eine heikle Lage: Sie dürfen in der Schweiz keine assistierten Fortpflanzungsverfahren für ihre alleinstehenden Patientinnen durchführen, riskieren eine Busse bis zu 100’000 Franken, können diese allerdings nach dem Eingriff im Ausland betreuen.
«Ich fühle mich nicht wie eine Gesetzesbrecherin», sagt Sandrine Ackermann, Tashas Gynäkologin. «Es ist nicht meine Aufgabe zu beurteilen, ob sie das Recht dazu hat.»
Zeina, eine weitere alleinerziehende Mutter, gründete in der Romandie den Verein Mama Solo, um ein Unterstützungssystem aufzubauen. «Man spürt, dass es in der Schweiz wirklich einen relativ verborgenen Bedarf gab», erklärt sie.

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