
Absturz am Bodensee – Ermittlungen dauern an

Im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet am Bodensee geht die Suche nach den Opfern und Hintergründen der Flugzeug-Katastrophe vom Montagabend weiter, die 71 Menschen das Leben gekostet hatte.
Die Polizei bestätigte am Mittwochmorgen, dass nach dem Flugschreiber der russischen Tupolew auch jener der Boeing-757-Frachtmaschine gefunden wurde.
Die Geräte sollen noch am Mittwoch zur Auswertung an die deutsche Bundesstelle für Flugunfall-Untersuchungen (BFU) in Braunschweig gebracht werden. Die Auswertung dürfte einige Wochen dauern, genaue Angaben zu machen ist schwierig.
Derweil ging die Suche nach weiteren Opfern im Absturzgebiet weiter. Bis Mittwoch-Mittag wurden 37 Leichen geborgen.
Zusammenstoss in 11’000 Metern Höhe
Die zwei Flugzeuge waren Montagnacht um 23.35 Uhr im Luftraum nördlich des Bodensees (im deutschen Bundesland Baden-Württemberg) in 11’000 Metern Höhe zusammengestossen und abgestürzt.
Es handelte sich um ein russisches Passagierflugzeug vom Typ Tupolew 154 und eine Boeing-Frachtmaschine des Paketdienstes DHL. Die Tupolew hatte sich auf dem Flug von Moskau nach Barcelona befunden. Das Frachtflugzeug war unterwegs von Bahrein über Bergamo nach Brüssel.
An Bord der Tupolew waren 69 Russen, darunter 52 Jugendliche, fünf Begleiter und zwölf Mann Besatzung. In der Frachtmaschine starben der Pilot und der Kopilot.
Angehörige der russischen Passagiere bereiten sich für die Reise an die Absturzstelle vor. Die ersten unter ihnen haben die für einen Flug nach Deutschland nötigen Dokumente erhalten. Zwei Angehörige waren bis am Mittwoch-Vormittag eingetroffen, weitere wurden noch im Verlauf des Tages erwartet.
Lotsen-Verhalten
Nach der Flugzeugkatastrophe am Bodensee prüfen die Ermittler auch das Verhalten der deutschen Fluglotsen. Der Leiter der deutschen Bundesstelle Flugunfall-Untersuchung in Braunschweig, Peter Schlegel, räumte am Dienstag in den ARD-«Tagesthemen» ein, dass eine Warnung 50 Sekunden vor der Kollision an eine der Unglücksmaschinen möglicherweise zu spät gekommen sei.
Er warnte aber vor voreiligen Schlüssen. Theoretisch hätte aber die Möglichkeit bestanden, die beiden Flugzeuge bei der Übergabe an die Schweizer Flugsicherung vor einer möglichen Kollision zu warnen.
Die Auswertung der gefundenen Flugschreiber und Sprachrecorder, die am Mittwoch zu der in den Ermittlungen federführenden BFU nach Braunschweig gebracht werden, könne bis zu drei Wochen in Anspruch nehmen.
Die Zeitfrage
Die beiden Flugzeuge standen unter der Überwachung der Schweizer Flugsicherung Skyguide.
Die Schweizer Flugleitung in Zürich korrigierte den Zeitpunkt des Befehls an die russische Maschine mehrmals. Gemäss den neusten Ausführungen erfolgte der Sinkflugbefehl rund 50 Sekunden vor dem Zusammenstoss. Eine zweite Aufforderung wurde 25 Sekunden vor dem Zusammenstoss erteilt, nachdem der Pilot auf die erste nicht reagiert hatte.
Zur Frage, ob zwei oder drei Aufforderungen an den Piloten ergangen seien, wollte Skyguide-Kadermitglied Urs Ryf nicht festlegen. «Es hat mehrere Aufforderungen gegeben», sagte Ryf.
Am Dienstag-Vormittag hatte Skyguide noch gesagt, die Anweisung sei anderthalb bis zwei Minuten vor dem Crash erfolgt.
Die Boeing der DHL hatte keine Aufforderung der Flugleitung erhalten, die Flugroute zu ändern. Auch das sei üblich, sagte ein Sprecher von Skyguide an der Medienorientierung in Zürich.
Zwei Sinkbefehle
Das Problem sei gewesen, dass das DHL-Flugzeug einen automatischen Sinkbefehl erhalten habe. Dadurch hätten beide Flugzeuge einen Sinkflug eingeleitet, erklärte der Sprecher. «Der konnte von unseren Leuten nicht mehr kontrolliert werden.»
Skyguide hat im süddeutschen Raum seit rund 40 Jahren die Flugüberwachung von den deutschen Behörden übertragen bekommen.
Ein Team der Braunschweiger Bundesstelle für Flugunfall-Untersuchung leitet die Untersuchungen. Gemäss dieser Stelle werde auch die deutsche Staatsanwaltschaft noch aktiv werden. Der Chef des Schweizer Büros für Flugunfall-Untersuchungen ist ebenfalls am Unfallort.
SF DRS: Leuenberger drückt Bedauern aus
Nach dem Absturz der beiden Flugzeuge hat der Schweizer Verkehrsminister, Bundesrat Moritz Leuenberger, sein tiefes Mitgefühl mit den Betroffenen ausgedrückt.
Leuenberger telefonierte auch mit dem deutschen Verkehrsminister Kurt Bodewig und dankte diesem für die Rettungs- und Hilfsaktionen.
Gemäss internationalen Abkommen werde der Unfall in jenem Land untersucht, über dem sich das Unglück ereignet hat, sagte Leuenberger. Das Schweizer Büro für Flugunfall-Untersuchungen werde der deutschen Fluguntersuchung eine Art Amtshilfe leisten, beispielsweise wenn es darum gehe, die Mitarbeiter von Skyguide zu befragen.
Wrackteile im Umkreis von 30 km
Brennende Wrackteile seien in einem Umkreis von rund 30 Kilometern auf die Erde gestürzt und hätten grossen Schaden angerichtet, berichten Augenzeugen. Der Absturzort liegt an der Grenze zwischen den Landkreisen Sigmaringen und Bodenseekreis auf der Landesstrasse 195.
Medienberichten zufolge hatten etwa 30 Anrufer bei der Polizei einen Feuerball am Himmel gemeldet. Der Landrat des Bodenseekreises, Siegfried Tann, sagte, Teile der Maschinen hätten kleinere Brände ausgelöst, die jedoch schnell gelöscht werden konnten.
swissinfo und Agenturen

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch