Gotthard: Schuldfrage geklärt

Ein alkoholisierter LKW-Fahrer hat den Unfall letzten Oktober im Gotthard-Tunnel ausgelöst, der 11 Menschen das Leben kostete.
Ein ganzer Stab von Experten hat seit Monaten den Unfallhergang und die Brandentwicklung in Zusammenhang mit dem Aufprall zweier Camions im Gotthard-Strassentunnel am 24. Oktober 2001 analysiert. Die Schuld des Chauffeurs ist für die Staatsanwaltschaft einwandfrei bewiesen.
Die Brandkatastrophe kostete 11 Menschen das Leben und zog Folgeschäden in Millionenhöhe nach sich.
Schlingernd ins Inferno
Nach den am Donnerstag in Bellinzona präsentierten Untersuchungs-Ergebnissen ist der türkische Lastwagen-Fahrer Seyfi Aslan mit seinem in Belgien immatrikulierten Sattelzug gegen 9.40 Uhr in den Tunnel bei Airolo in Richtung Norden eingefahren.
Nach zirka 800 Metern kollidierte eine Felge des Camions mit dem Bordstein. Kurz darauf zerstörte der Sattelzug mit dem Rückspiegel die Leuchtanzeige «Kilometer 1», prallte gegen die Tunnelwand und geriet auf die Gegenfahrbahn.
Dort kam ihm der in Richtung Süden fahrende Italiener Bruno Saba entgegen, der seinerseits auf die Gegenfahrbahn auswich, um eine Frontalkollision zu verhindern. Die Lastwagen prallten seitlich aufeinander.
Kurzschluss entzündete ausgeflossenen Diesel
Trotzdem kam es danach zu einem Inferno. Der Grund: In Folge des Zusammenstosses barst ein Treibstoff-Tank. Mehrere Hundert Liter Diesel flossen auf die Fahrbahn und direkt unter den Camion von Saba, der 1100 Pneus geladen hatte.
Der Kurzschluss eines Batteriekabels entzündete das Benzin-Luft-Gemisch, wie Jean-Claude Martin von der Universität Lausanne darlegte. Beide Camions fingen Feuer.
Rasch über 1000 Grad heiss
Alle Experten haben eine extrem hohe Brandintensität festgestellt. Innerhalb von wenigen Minuten stieg die Temperatur am Brandherd auf über 1000 Grad an, so dass die Deckenelemente einstürzten.
Ausschlaggebend dafür waren vor allem die entzündeten Reifen, aber auch das Entwicklerpapier auf dem belgischen Camion. Ein eigentliches Wunder ist es, dass Unfallverursacher Aslan noch weglaufen konnte. Er lag vor dem Notausgang 68, 300 Meter vom Unfallort entfernt, tot auf dem Boden. Saba hingegen rettete sich zu Fuss und unverletzt nach Airolo.
Alte Ventilation verstärkte Rauch-Entwicklung
Die Experten fanden heraus, dass die Ausbreitung des Feuers und Rauchs in Richtung Norden durch die veraltete Ventilationsanlage begünstigt wurde.
Die Frischluft-Zufuhr führte zu einem erhöhten Druck toxischer Gase in Bodennähe. Von den elf Opfern starben 10 an Rauchvergiftung, während eine Person ihr Leben in den Flammen liess.
Erhöhter Alkoholspiegel
Für den federführenden Tessiner Staatsanwalt Antonio Perugini ist jetzt einwandfrei erwiesen, dass den Chauffeur Aslan die alleinige Schuld an dem Unglück trifft.
Bei der Autopsie seiner Leiche hatte man einen erhöhten Alkoholgehalt im Blut festgestellt, was darauf schliessen lässt, dass er getrunken hatte, wie schon im November bekannt gegeben worden war.
Schlingerkurs schon vor dem Tunnel
Aslan war am Unglückstag um 6.06 Uhr in Chiasso in die Schweiz eingereist und verfügte über eine reguläre Transiterlaubnis. Die Tabellen seiner Handy-Telefongespräche ergaben, dass er sich sehr wahrscheinlich längere Zeit auf dem Parkplatz von Personico aufgehalten hat.
Eine falsch eingetippte Nummer und ein Anruf an eine Rotlichtnummer in Belgien sind für Staatsanwalt Perugini Indizien, dass er mit den Gedanken nicht nur bei der Arbeit war.
Zudem bestätigten Augenzeugen, dass sich der Camion schon vor der Einfahrt in den Gotthard-Tunnel auf Schlingerkurs befand. «Ich kann auf Grund aller Elemente keine strafrechtlich anderen Gründe als das Fehlverhalten des Chauffeurs feststellen», zog Perugini Bilanz. Er liess durchblicken, dass er die eingeleitete Strafuntersuchung bald einstellen werde.
Haftung noch nicht geklärt
Zu Fragen der Haftung für den Millionen-Schaden konnte der Staatsanwalt keine Auskunft geben, da dies zivilrechtlich geregelt wird. Bekannt ist jedoch, dass der Camion der belgischen Firma Gul Trans, für den der vierfache türkische Familienvater unterwegs war, über die Winterthur-Versicherung nur Schäden bis zu 2,9 Mio. Franken deckt.
Die Kosten für den Einsatz der Rettungskräfte, der Feuerwehr sowie für die Instandsetzungsarbeiten belaufen sich jedoch bereits auf 18 Mio. Franken. Dazu kommen die Forderungen von Familienangehörigen der Opfer sowie von diversen Camionneuren. Insgesamt haben 40 Personen Schadenersatz beantragt.
Gerhard Lob, Bellinzona

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