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Kein Birkenstock am Gaspedal

Die roten Mobility-Autos sind aus den Schweizer Strassen nicht mehr wegzudenken. Keystone

CarSharing erfreut sich in der Schweiz grösster Beliebtheit. Der dritte Weg zwischen eigenem und keinem Auto ist eine europaweit einmalige Erfolgsgeschichte.

Eva wohnt in der Stadt, fährt mit dem Tram zur Arbeit, mit dem Fahrrad auf den Wochenendausflug. Will sie jedoch mit ihren Nichten ihre Eltern besuchen, braucht sie für diese paar Stunden ein Auto.

Die Lösung: Mobility CarSharing. Per Internet (mit preisgekröntem Reservationssystem) bucht sie – je nach Situation – ein grösseres oder ein kleineres Auto. Oder aber auch einen Sportwagen. Am Standort holt sie selber das knallrot lackierte Fahrzeug ab und kann es so lange brauchen, wie sie es reserviert hat. Die Rechnung folgt später.

Rasantes Wachstum

Rund 47’000 Menschen (1997: 17’000) benutzen gemeinsam in der ganzen Schweiz 1700 Autos (1997: 760). Die Idee: Statt dass viele ein Auto besitzen, teilen sich mehrere ein Auto. Das Verkehrsmittel wird je nach Situation gewählt: Grosseinkauf? Skitour? Auto notwendig. Besuch im Nachbarort? Auto nicht notwendig.

Das Auto ist nicht mehr Feindbild, das Fahren keine Religionsfrage mehr. Einzig der Zweck zählt, die Transportmittel werden kombiniert. Einer Studie des Bundesamtes für Energie zufolge sind CarSharing-Fahrzeuge besser ausgelastet und werden weniger für Kurzstrecken genutzt als andere Autos.

Massive Einsparungen

Wer mal stolzer Autobesitzer war und heute CarSharer ist, reduziert seine Autoverkehrsleistung massiv um 6700 Kilometer jährlich und spart bis zu 57% Treibstoff. Die Genossenschaft Mobility CarSharing Schweiz, so die Studie, repräsentierte 1998 40% des europäischen Marktes. Und Mobility ist mit Abstand grösster Marktteilnehmer weltweit, bestätigt Geschäftsführer Kurt Heusi.

In Deutschland hat das CarSharing rund 55’000 Mitglieder – verteilt auf viele kleine Anbieter, erklärt Jürgen Tesch, Geschäftsführer von «Stattauto München», gegenüber swissinfo. Die Anbieter seien regional und dezentral tätig – im Gegensatz zur Schweiz, wo es einen Anbieter gibt. Doch sei man in Deutschland auf gutem Wege, die Kooperation zwischen den Städten und Anbietern zu verbessern.

Auch in Schweden, Österreich, in den Niederlanden, in Grossbritannien und sogar in Italien gibt es Ansätze von CarSharing. Doch fehlen meist die Kunden und Kundinnen. Im Autoland Frankreich und in Spanien hingegen scheint CarSharing ein Fremdwort zu sein.

Dank dem öffentlichen Verkehr

Rezept für erfolgreiches CarSharing ist ein gut ausgebauter öffentlicher Verkehr. In der Schweiz können «viele Leute den grössten Teil ihrer Mobilitäts-Bedürfnisse mit dem öffentlichen Verkehr befriedigen», erklärt Ueli Haefeli, Verkehrsexperte beim Forschungsinstitut Interface, gegenüber swissinfo. Dank grossem Netz und Taktfahrplan.

«Mobility hat das starre Denken ‹ich bin entweder ÖV-Nutzer oder Autofahrer› aufgebrochen und den Weg zu einem so genannten mulitmodalen Verkehr freigemacht. Das ist eigentlich ein Bewusstseinswandel, der in der Schweiz relativ weit fortgeschritten ist und den ich als positiv werte.»

Wer die kombinierte Mobilität nutzt, hat einen Wandel des Bewusstseins gemacht, nutzt das Verkehrsmittel kosten- und zielbewusster. Wer ein Auto in der Garage stehen hat, will es «amortisieren» und nutzt es eher, auch wenn es nicht nötig wäre.

«Mobility ist ein wichtiger Bestandteil der schweizerischen Verkehrspolitik, die sich ja auch offiziell der Nachhaltigkeit verschrieben hat», so Haefeli.

Wirtschaftlichkeit statt Umweltbewusstsein

Die Möglichkeit, Geld zu sparen, hat Mobility populär gemacht. Bei bis zu 12’000 Kilometer im Jahr lohnt sich das Teilen eines Fahrzeuges. Wer mehr zurücklegt, fährt im eigenen Wagen günstiger. Die Kosten eines Mobility-Autos betragen je nach Fahrzeugtyp zwischen 50 und 88 Rappen pro Kilometer inklusive Benzin plus einen Stundenbetrag von 2.70 bis 4.20 Franken.

Das ökologische Gewissen – einst Grundgedanke der Autoteilet – ist in den Hintergrund gerückt. «Mobility ist gross geworden in einem allgemeinen Bewusstsein, dass man mit dem Auto ein bisschen haushälterischer umgehen sollte. Es ist vor 15 Jahren entstanden. In der Zeit, als man viel über Waldsterben, über Tschernobyl sprach», erklärt Ueli Haefeli.

Von Wollsocken zu Lackschuhen

In der Zentralschweiz und in Zürich, kurz darauf auch in der Romandie, hatten sich 30 umweltbewusste Idealisten und Idealistinnen zusammengetan, um zwei Autos zu teilen. Sie bildeten «eine ökologisch motivierte Selbsthilfegruppe und galten als schräge Vögel», schreibt Mobility in seinem Journal.

1997 fusionierten die zwei Deutschschweizer Genossenschaften zur Mobility CarSharing. Der ökologisch angehauchte Geheimtipp wurde zum massentauglichen Produkt.

Mobility hat noch immer Entwicklungspotenzial. 500’000 Menschen könnten Kundin oder Kunde sein. Doch laut Ueli Haefeli fehlt im Moment noch das Bewusstsein in der breiten Bevölkerung, um das Potenzial auszunutzen.

Obwohl es, so ein zufriedener Kunde aus Zürich, komfortabel ist: «Man muss sich weder um das Auto, noch um die Versicherung oder die Reparaturen kümmern.»

Rebecca Vermot

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