
«Die Masern sind zurück, das ist ein Weckruf»

Ein Virus, das einst kurz vor der Ausrottung stand, erlebt ein Comeback: Die Masern breiten sich derzeit in den USA und Europa stark aus. Was bedeuten diese Ausbrüche für die Schweiz?
Die Krankheit war auf dem besten Weg, weltweit ausgerottet zu werden. Zwischen 2000 und 2022 konnten durch weltweite Impfmassnahmen schätzungsweise 57 Millionen Todesfälle verhindertExterner Link werden. Bis 2023 hatten 82 Länder das Virus erfolgreich ausgerottetExterner Link.
Diese Bemühungen sind jedoch vom Kurs geraten. Im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) – der alle EU-Mitgliedstaaten sowie Island, Liechtenstein und Norwegen umfasst – stiegen die gemeldeten Fälle im Jahr 2024 gegenüber dem Vorjahr um fast das ZehnfacheExterner Link.
In der gesamten WHO-Region Europa erreichten die Masernfälle im Jahr 2024 den höchsten Stand seit 25 JahrenExterner Link. Weltweit starben im Jahr 2023 mehr als 107’000 Menschen an Masern – die meisten davon KleinkinderExterner Link.
Zuletzt machte die Krankheit im Februar 2025 weltweit Schlagzeilen, als ein Ausbruch in Texas zu den ersten Masern-Todesfällen in den USA seit zehn JahrenExterner Link führte.
Die Gründe für diesen Trend sind vielfältig, aber eine der Hauptursachen ist die wachsende Impfskepsis unter Eltern sowie ein Rückgang der Impfungen bei Kindern während der Corona-Pandemie.
«Die Masern sind zurück, und das ist ein Weckruf. Ohne hohe Impfquoten gibt es keine Gesundheitssicherheit», warnte Dr. Hans P. KlugeExterner Link, WHO-Regionaldirektor für Europa, im März.
Masern machen Menschen nicht einfach nur krank, sondern können auch deren Immunsystem nach der Genesung für Monate oder sogar Jahre schwächen.
Das Virus verursacht eine so genannte «Immunamnesie»Externer Link, durch die der Körper die zuvor erworbene Immunität sowohl aus früheren Infektionen und Impfungen «vergisst». Dadurch sind die Betroffenen anfälliger für Krankheiten, gegen die sie zuvor geschützt waren.
Ein gemischtes Bild in Europa
Die Masern breiten sich zwar in ganz Europa wieder aus, doch die Situation ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Nach Angaben des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) wurden im Jahr 2024 im gesamten EWR 32’212 Masernfälle gemeldet – ein dramatischer Anstieg gegenüber den 3973 Fällen im Jahr 2023.
Dieser Anstieg ist jedoch grösstenteils auf einen schweren Ausbruch in Rumänien zurückzuführen, wo allein 27’321 Fälle gemeldet wurden.
Auch in Österreich, Belgien, Irland und Italien kam es zu erheblichen ZunahmenExterner Link und hohen Inzidenzraten, während die meisten skandinavischen Länder nur geringfügige Veränderungen und eine niedrige Fallzahl verzeichneten.
Die Schweiz ist «gut geschützt»
In der Schweiz ist die Zahl der Masernfälle weitgehend stabil geblieben, es gab einige lokale Ausbrüche, jedoch keine Anzeichen für ein «Wiederauftreten» der Krankheit, das als anhaltender Anstieg der Fälle gegenüber den Vorjahren oder das Auftreten mehrerer lokaler Ausbrüche definiert wird.
Die Fallzahlen der letzten beiden Jahre liegen weiterhin im Bereich der letzten zehn Jahre, deutlich unter dem Spitzenwert von 2019 sowie den früheren Spitzenwerten von 2009 (1112 Fälle) und 2011 (678 Fälle).
Gesundheitsbehörden und Fachpersonen betonen jedoch, dass Wachsamkeit und eine hohe Impfrate unerlässlich sind, um diese Stabilität aufrechtzuerhalten.
«Die Schweizer Bevölkerung ist heute gut gegen Masern geschützt», schrieb eine Sprecherin des Bundesamts für Gesundheit (BAG) in einer E-Mail an Swissinfo.
«Dennoch können vereinzelte Fälle und begrenzte Ausbrüche weiterhin auftreten. Dabei handelt es sich oft um sporadische Fälle, bei denen die Infektion im Ausland erfolgt ist, oder um kleine Ausbrüche aufgrund eines importierten Falls.»
So kam es Anfang 2024 zu einem Ausbruch im Kanton WaadtExterner Link, nachdem eine nicht geimpfte Person sich im Ausland angsteckt hatte. Das Virus verbreitete sich vor allem auf einem Universitätscampus, wo 51 Fälle bestätigt wurden.
Es gab zwar weder Spitalaufenthalte noch Komplikationen, aber der Ausbruch führte zu einer vorübergehenden Schliessung des Campus und machte deutlich, wie schnell sich die Krankheit ausbreiten kann.
Anfang 2025 wurde auch ein kleiner Ausbruch in Zürcher Schulen gemeldet. Im gesamten Kanton wurden in den ersten vier Monaten des Jahres zehn bestätigte Masernfälle sowie vier Verdachtsfälle registriert, während es im gleichen Zeitraum 2024 nur vier Fälle gab.
Die Gesundheitsbehörden führten den Cluster auf Immunitätslücken zurückExterner Link. Spitäler, Hausärztinnen und Hausärzte wurden aufgefordert, die Impfpässe zu überprüfen und wachsam zu bleiben.
Sie seien «gut vorbereitet, wissen, wie man Masern frühzeitig erkennt und welche Massnahmen bei einem Verdachtsfall zu ergreifen sind», schreibt eine Sprecherin des Zürcher Gesundheitsdepartements in einer E-Mail an Swissinfo.
Eine vermeidbare Krise
Die Masernzahlen in der Schweiz bleiben niedrig, besonders im Vergleich zum schweren Ausbruch in den USA. Seit Januar wurden im Westen von Texas über 900 Fälle gemeldet, darunter 93 Spitalaufenthalte und zwei Todesfälle bei nicht geimpften Kindern.
Der Ausbruch weckt ernsthafte Befürchtungen, dass die USA ihren im Jahr 2000 erreichten Status als masernfrei verlieren könnten. Die WHO erklärte die Schweiz 2019 für masernfrei.
Der Ausbruch in Texas begann in Gaines County, wo die Impfquoten stark zurückgegangen sind –besonders in der lokalen mennonitischen Gemeinde.
Obwohl Mennonit:innen nicht grundsätzlich gegen Impfungen sind, lehnen einige Gruppen die moderne Gesundheitsversorgung ab und halten an traditionellen Praktiken fest, was zu niedrigen Impfquoten führt.
In dem Bezirk mit der niedrigsten Durchimpfungsrate sank die MMR-Impfquote bei Kindergartenkindern von 82 Prozent im Jahr 2019 auf 46 Prozent im Jahr 2023.
Die Krise beschränkt sich nicht nur auf die USA. Im benachbarten Mexiko wurden allein im Jahr 2025 über 500 Masernfälle mit einem Todesfall registriert – ein drastischer Anstieg gegenüber nur sieben Fällen im gesamten Jahr 2024.
Unsichere Versorgung
Gruppen, die aus religiösen oder ideologischen Gründen gegen Impfungen sind, machen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung aus. Sie reichen allein nicht aus, um zu erklären, warum viele Länder Schwierigkeiten haben, die für die Herdenimmunität gegen Masern erforderliche Durchimpfungsrate von 95 Prozent zu erreichen.
In den meisten Fällen sind Eltern eher zögerlich als entschieden gegen eine Impfung ihrer Kinder. Meistens äussern sie Bedenken oder verschieben Termine, anstatt eine Impfung rundweg abzulehnen.
Laut Heidi Larson, Gründerin und Direktorin des Vaccine Confidence Project und Professorin für Anthropologie, Risiko- und Entscheidungswissenschaften an der London School of Hygiene & Tropical Medicine ist das nicht überraschend: «Heutzutage werden Mütter und Väter mit allen möglichen Informationen aus allen möglichen Quellen bombardiert – es ist wirklich schwierig, da den Überblick zu behalten.»
Zwischen 2020 und 2023 meldeten 16 der 30 EWR-Länder einen Rückgang der DurchimpfungsrateExterner Link für mindestens eine Masernimpfung. Dabei fiel der Rückgang bei der zweiten Impfung noch deutlicher aus.
In der Schweiz ist die Durchimpfungsrate nach wie vor hochExterner Link: 95 Prozent für die erste Dosis, die im Alter von neun Monaten empfohlen wird, und 91 Prozent für die zweite Dosis, die im Alter von zwölf Monaten empfohlen wird. Innerhalb des Landes gibt es aber regionale Unterschiede.
«Die französisch- und italienischsprachigen Kantone weisen tendenziell eine höhere Impfquote auf, nicht nur für Masern», sagt Michael Deml, Forscher an der Abteilung für Infektionskrankheiten des Kantonsspitals Baselland.
Informationsüberflutung
Ein Grund für den Rückgang der Impfquote in einigen Ländern ist die Beeinträchtigung der Gesundheitsversorgung während der Corona-Pandemie.
«Einige Eltern haben Impfungen verschoben oder ganz ausfallen lassen, entweder weil ihnen der Besuch einer Gesundheitseinrichtung zu diesem Zeitpunkt zu riskant erschien oder weil die Dienste komplett eingestellt wurden», sagt Larson.
In seltenen Fällen ist die Versorgung das Problem. So gibt es seit letztem Jahr in Japan aufgrund von Produktionsproblemen einen Mangel an MR-Impfstoffen (Masern-Röteln).
Das führt dazu, dass einige Menschen – besonders Kinder – nicht geimpft werden können. In den meisten Ländern mit hohem Einkommen ist jedoch nicht der Zugang zu Impfstoffen das grösste Hindernis.
Die Gründe für eine Nichtimpfung sind sehr individuell und hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab. Sie lassen sich aber laut Deml in mehrere Gruppen einteilen: Ist der Impfstoff sicher? Ist er wirksam? Ist er notwendig? Einige Eltern befürchten zudem, dass kleine Kinder in kurzer Zeit zu viele Impfungen erhalten, fügt er hinzu.
In manchen Fällen kann eine einzige Veröffentlichung langfristigen Schaden anrichten. Ein deutliches Beispiel dafür ist das berüchtigte Paper, das 1998 in The Lancet veröffentlicht wurde und fälschlicherweise einen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung und Autismus herstellte.
Obwohl der Artikel später vollständig widerlegt und von der Fachzeitschrift zurückgezogen wurde und der Hauptautor seine ärztliche Zulassung verlor, war der Schaden bereits angerichtet.
«Das Masernvirus ruht nie – und wir dürfen es auch nicht», betont KlugeExterner Link.
Editiert von Virginie Mangin/ds, Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger

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