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Novartis setzt auf das Altern als Wachstumsmarkt

Eine Illustration zum Thema Altern und Medikamente
Die Suche nach Medikamenten gegen Krankheiten, die mit zunehmendem Alter auftreten, ist für Pharmaunternehmen lukrativer geworden. SWI swissinfo.ch / Helen James

Novartis, der Schweizer Pharmariese, will ein Blockbuster-Medikament für einen der am schnellsten wachsenden Märkte entwickeln: Es geht um die Gesundheit älterer Menschen.

Im Dezember des vergangenen Jahres gab Novartis eine ungewöhnliche Partnerschaft mit dem vergleichsweise unbekannten Biotech-Unternehmen Bioage Labs aus Kalifornien bekannt.

Der Deal könnte Novartis bis zu 550 Millionen Dollar (453,5 Millionen Franken) kosten, verspricht dem Unternehmen jedoch weder Zugang zu einem neuen Medikamentenkandidaten noch zu einer bestimmten Technologie.

Novartis ist stattdessen an Bioage Labs› riesiger Datensammlung interessiert. Daten sind ein entscheidender Faktor in immer mehr Branchen, und so wertvoll, dass sie oft als das neue Erdöl bezeichnetExterner Link werden.

Laut eigenen Angaben verfügt Bioage über einen der weltweit grössten und umfassendsten Datensätze zu menschlicher Langlebigkeit, der für die Arzneimittelforschung genutzt werden kann.

Das Unternehmen hat diese Daten von Biobanken erworben, indem es sich die Exklusivrechte an Genomprofilen, Krankengeschichten und anderen Gesundheitsdaten von Tausenden von Menschen gesichert hat, die bis zu 50 Jahre lang beobachtet wurden.

Mithilfe von KI und anderen modernen Tools will Bioage die Determinanten einer gesunden Lebensdauer ermitteln und so die Entdeckung und Entwicklung neuer Therapien erleichtern.

Novartis, das den Boom bei Medikamenten gegen Fettleibigkeit verpasst hat, sieht dies als grosse Chance. Das Basler Unternehmen hat keine eigene Version der Erfolgsmedikamente Wegovy oder Ozempic in der Pipeline und ist daher auf der Suche nach neuen Wachstumsmotoren.

2023 gründete Novartis eine Forschungsgruppe namens «DARe» (Diseases of Ageing and Regenerative Medicine)Externer Link, um auf dem Fachwissen im Bereich der Muskel-Skelett-Erkrankungen aufzubauen und die Ursachen altersbedingter Krankheiten auf molekularer Ebene zu erforschen.

«Unser Ziel ist es, die biologischen Ursachen des Alterns zu verstehen, um neuartige Therapien für altersbedingte Krankheiten zu entwickeln», sagt Michaela Kneissel gegenüber Swissinfo. Sie ist seit 1996 bei Novartis und Leiterin der Abteilung «DARe».

«Die Hoffnung ist, dass dies nicht nur die Tür zur Behandlung einer einzelnen Krankheit öffnet, sondern ganze Krankheitsgruppen bekämpft.»

Da die Industrieländer vor einem beispiellosen demografischen Wandel stehen, verspricht die Suche nach Medikamenten für altersbedingte Krankheiten für Pharmaunternehmen ein potenziell lukratives Geschäft.

Die Vereinten Nationen schätzen, dass sich die Zahl der über 60-Jährigen von einer Milliarde im Jahr 2020 auf 2,1 Milliarden im Jahr 2050 verdoppeln wird. Damit werden sie rund 20 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, während die Zahl der über 80-Jährigen sich auf fast 430 Millionen verdreifachenExterner Link wird.

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Je älter wir werden, desto grösser wird das Risiko, an koronarer Herzkrankheit, Demenz oder Krebs zu erkranken. Laut dem irischen Analyseunternehmen Research and Markets wird der Markt für Geriatrie-Medikamente von 153 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023 bis 2030 auf 222,5 Milliarden US-Dollar ansteigenExterner Link.

Zu den Ländern, die massiv in die Verbesserung der Gesundheit ihrer alternden Bevölkerung und die Prävention chronischer Krankheiten investieren, gehören Brasilien, China, Saudi-Arabien und Japan.

Brasilien hat im Jahr 2024 seine erste nationale Politik zur Demenzversorgung verabschiedet. Für das Land mit der siebtgrössten Bevölkerung wird prognostiziert, dass sich die Zahl der an Demenz erkrankten Menschen bis 2050 von 1,8 Millionen im Jahr 2019 auf 5,6 Millionen verdreifachen wirdExterner Link.

Zwar haben Pharmaunternehmen wie Novartis Milliarden in die Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung altersbedingter Krankheiten und zur Linderung ihrer Symptome investiert.

Die Erforschung der Biologie des Alterns, also der biologischen Prozesse und Mechanismen, die erklären, warum Zellen, Gewebe und Organe allmählich ihre Funktion verlieren, was zu altersbedingten Einschränkungen und Krankheiten führt, haben sie allerdings nur stiefmütterlich behandelt.

Doch mit den enormen wissenschaftlichen und technologischen Fortschritten sowie Tech-Milliardären wie Jeff Bezos und Sam Altman, die in Startups investieren, die an Therapien zur Verlängerung der Lebensdauer arbeiten, steigen auch Novartis und andere Pharma-Schwergewichte in den Wettlauf ein.

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«Wir sind im Zeitalter der Quantifizierung der Biologie angekommen», sagt Kneissel. «Es gibt eine enorme Menge an Daten über die menschliche Biologie. Wir sind jetzt in der Lage, Bereiche anzugehen, die uns bisher verschlossen waren, und menschliche Daten zu nutzen, anstatt uns stark auf Daten von Tieren zu verlassen.»

Mithilfe von künstlicher Intelligenz können Millionen von Gesundheitsdaten, Genomprofilen und Laborergebnissen gemessen und analysiert werden, um Muster zu finden, die Krankheiten vorhersagen können. All dies hat die Forschung zum Thema Altern wesentlich einfacher, schneller und kostengünstiger gemacht.

«Wir können unser Genom jetzt für ein paar hundert Dollar sequenzieren lassen», sagt Vittorio Sebastiano, Reproduktionsbiologe an der Stanford University und Gründer von Turn Biotechnologies.

Das Startup befindet sich in der vorklinischen Phase der Entwicklung von Therapien zur Umkehrung des altersbedingten Zellverfalls. «Früher hatten wir keinen so günstigen Zugang zu so vielen Informationen. Und wir haben auch viel bessere Möglichkeiten, sie zu verwalten.»

Lehren aus der Vergangenheit

Novartis war bereits früher in der Alterungsforschung aktiuv. Im Jahr 2014 führte das Unternehmen klinische Studien mit seinem Krebsmedikament Everolimus durchExterner Link, um mögliche Anti-Aging-Eigenschaften zu untersuchen.

Zuvor hatten Forschungen gezeigt, dass ein eng verwandtes Medikament, Rapamycin, die Lebensdauer mehrerer Tierarten verlängert. Sowohl Everolimus als auch Rapamycin zielen auf «mTOR» ab, ein Protein, das viele altersbedingte Zellprozesse reguliert.

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In MedienberichtenExterner Link wurden die Everolimus-Studien damals als Zeichen gesehen, dass die Pharmaindustrie kurz vor einem Durchbruch bei der Suche nach dem Jungbrunnen stehe.

Die Hoffnung wuchs, dass dies eine neue Ära der Arzneimittelentwicklung für das Altern einläuten würde, die lange Zeit auf wenig Interesse vonseiten der grossen Pharmaunternehmen gestossen war.

Doch wenige Jahre später übertrug Novartis die Forschung an das kleine Unternehmen «ResTORbio» und behielt nur einen kleinen Anteil, während Novartis eine umfassende Umstrukturierung einleitete, um sich auf neue, innovative Medikamente zu konzentrieren.

Da die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA das Altern nicht als behandelbare Erkrankung anerkannte und die Patente für Everolimus kurz vor dem Ablauf standen, wäre es schwierig gewesen, mit dem Medikament Geld zu verdienen.

Es gibt jedoch gute Gründe, warum Novartis nun mit neuen Perspektiven, Instrumenten und Daten in diesen Bereich zurückkehrt. Viele altersbedingte Krankheiten sind mit traditionellen Methoden der Arzneimittelforschung nur schwer zu bekämpfen.

So hat beispielsweise die jahrzehntelange Erforschung der Alzheimer-Krankheit nur wenige Behandlungsmöglichkeiten hervorgebracht. Die Forscher:innen wissen immer noch nicht, was die Krankheit verursacht, und neue Medikamente haben nur eine geringfügige Verlangsamung des Gedächtnisverlusts gezeigt.

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Ähnlich ist es bei Osteoarthritis, einer degenerativen Gelenkerkrankung, von der rund 600 Millionen Menschen betroffen sind, die meisten davon über 55 Jahre alt.

Im April hat Novartis zwei Medikamentenkandidaten für Osteoarthritis aus der klinischen Phase II genommenExterner Link, da sie keine ausreichende Schmerzlinderung bewirkten.

Diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass man sich nun stärker auf die Ursachen von Krankheiten konzentriert.

«Es gibt mehr Interesse vonseiten der grossen Pharmaunternehmen an der Biologie des Alterns als Quelle neuartiger Zielstrukturen [ein bestimmtes Molekül, das erstmals von einem Medikament adressiert wird], weil bei Krankheiten wie Alzheimer klar ist, dass man früher im Krankheitsverlauf ansetzen muss – noch bevor überhaupt Symptome auftreten», so Kristen Fortney, Geschäftsführerin und Gründerin von Bioage.

Novartis hat keine Einzelheiten zu den spezifischen Erkrankungen genannt, die mit «DARe» behandelt werden sollen. Laut Kneissel ist jedoch die «Bewegungsbiologie» ein wichtiger Schwerpunkt, weil körperliche Betätigung «eine nachweislich wirksame Intervention bei vielen altersbedingten Erkrankungen ist».

Dies könnte beispielsweise Wege aufzeigen, wie sich beim Abnehmen Muskelmasse erhalten lässt und wie sich Knorpel bei Arthrose regenerieren lässt.

«Irgendwann wird sich mit der Weiterentwicklung des Bereichs der Altersmedizin die Möglichkeit ergeben, sehr früh zu erreichen oder vielleicht in Zukunft sogar Prävention zu ermöglichen. Das wäre die langfristige Perspektive», so Kneisse.

Verbesserung der Anreize

Die finanzielle Belastung durch altersbedingte Krankheiten wächst nicht nur für die Staaten, sondern auch für ihre Bürgerinnen und Bürger.

Deshalb müssten Regulierungs- und Gesundheitsbehörden überdenken, mit welchen Anreizen Pharmaunternehmen für die Entwicklung neuer Therapien zur Behandlung oder Vorbeugung solcher Krankheiten belohnt werden, so Johan Auwerx, Experte für Zellstoffwechsel an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL).

Im Jahr 2022 entfielen mehr als die Hälfte (52 Prozent) der gesamten Gesundheitskosten in der Schweiz auf Menschen über 60 Jahren, obwohl diese nur ein Viertel der Bevölkerung ausmachten.

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Da das Altern derzeit nicht als Krankheit eingestuft wird, erhalten Medikamente, die auf das Altern an sich abzielen, keine Zulassung und werden wahrscheinlich nicht erstattet.

Stattdessen konzentrieren sich die Unternehmen auf bestimmte, diagnostizierbare Erkrankungen im Zusammenhang mit dem Altern – wie Alzheimer, Osteoporose oder Sarkopenie –, um eine Zulassung zu erhalten.

Dies stellt eine Herausforderung für die Entwicklung von Therapien dar, die darauf abzielen, die biologischen Prozesse des Alterns zu verlangsamen oder umzukehren, anstatt eine einzelne Krankheit zu behandeln.

«Gesundheitssysteme und Versicherer werden den Anstieg der Ausgaben aufgrund der alternden Bevölkerung nicht bewältigen können», sagt Auwerx, Gründer mehrerer Startups, die sich auf altersbedingte Krankheiten konzentrieren.

«Sie müssen ein Modell schaffen, das es denjenigen ermöglicht, die ernsthaft daran arbeiten, diese Kosten zu senken, ihr Geld zurückzubekommen. Dann wird auch die Pharmaindustrie einsteigen.»

Marktreife Medikamente

Kneissel betont, dass der Schwerpunkt von «DARe» auf der Herstellung von Medikamenten liege. Dies unterscheide sich von «Ansätzen zur Langlebigkeit, bei denen Menschen einfach nur länger leben wollen», so Kneissel gegenüber Swissinfo. «In unserem Fall ist das nur eine indirekte Folge.»

Auch wenn Novartis nicht auf Langlebigkeit abzielt, würde jedes erfolgreiche Medikament, das auf der Biologie des Alterns basiert, einen Wendepunkt für einen Bereich darstellen, der bisher Schwierigkeiten zeigte, gute wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Labor auf den Markt zu bringen.

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Googles Dachgesellschaft Alphabet gründete im Jahr 2013 mit rund 3,5 Milliarden US-Dollar an Investitionen das Unternehmen Calico, um Interventionen zu entwickeln, welche die menschliche Lebensspanne verlängern sollen.

Nach mehr als zehn Jahren Forschung hat das Unternehmen zwar zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, aber noch kein zugelassenes Medikament.

Im Januar gab Calico das Scheitern klinischer Studien mit Fosimogifator bekanntExterner Link. Dieses Medikament wurde in Zusammenarbeit mit dem US-Pharmakonzern Abbvie zur Behandlung der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) entwickelt.

Anfang Mai entliess Unity Biotechnology, ein auf Alterungsprozesse und Augenkrankheiten spezialisiertes Unternehmen mit Sitz in San Francisco, seine gesamte Belegschaft.

Der Grund: Eine klinische Studie hatte ergeben, dass die firmeneigene Behandlung nicht besser wirkte als eine bereits auf dem Markt erhältliche TherapieExterner Link.

Auch Bioage erlitt im Januar einen Rückschlag, der jedoch nichts mit der Partnerschaft mit Novartis zu tun hatte. Das Unternehmen stellte die Entwicklung eines Medikaments gegen Fettleibigkeit ein, nachdem in Studien Sicherheitsbedenken aufgetreten warenExterner Link.

«Die Menschen erkennen immer mehr, wie wichtig Prävention für das Gesundheitssystem ist. Das war schon immer das Versprechen der Altersforschung», sagte Fortney. «Was wir jetzt brauchen, sind Medikamente, die es bis zur Marktreife schaffen.»

Editiert von Nerys Avery/vm/hs/ds, Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger

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Gastgeber/Gastgeberin Jessica Davis Plüss

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