
Landwirtschaft: Indien vertraut auf Schweizer Experten

Die indische Regierung hat die Schweiz um Unterstützung bei der Reform der Landwirtschaftspolitik gebeten. Mit dem Projekt beauftragt wurde der Schweizer Ökonom und Entwicklungsfachmann Richard Gerster.
Zusammen mit fünf Experten hat Gerster einen Bericht an die indische Regierung verfasst mit Vorschlägen zur Verbesserung landwirtschaftlicher Strukturen und somit der Lage unzähliger armer Bauern.
Darunter ist die Entschuldung von Kleinbauern bereits aufgenommen worden. Weiter schlägt der Bericht die Förderung von bäuerlichen Netzwerken und der biologischen Landwirtschaft vor.
Die Anfrage des indischen Landwirtschafts-Ministeriums an die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) sei unüblich und ein Kompliment an die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit, erklärt Gerster.
Input und Eigenerfahrung kombiniert
Für Professor M. Srinivas vom landwirtschaftlichen Management-Institut Imra in Anand, das 1979 vom Bundesstaat Gujarat, Indiens Regierung und auch von der Deza mitbegründet wurde, macht die Zusammenarbeit mit der Schweiz vor Ort «einen wichtigen Unterschied aus».
Das Kombinieren von Input und den eigenen Erfahrungen habe sich als guter Ansatz bewährt, etwa bei Bewässerungssystemen, Forstwirtschaft und Züchtung lokaler Saatgutsorten.
Wissen kenne keine Grenzen, sagt Srinivas. Bei komplexen Problemen müsse auf möglichst viele Ressourcen zurückgegriffen werden können.
Zwar gebe es in Indien zahlreiche Landwirtschaftsfachleute, «aber manchmal braucht es den Blick von Aussen, um wirklich etwas zu bewegen», sagt Deza-Vizechef Remo Gautschi. Die Anfrage aus Delhi sei das Resultat einer langjährigen Zusammenarbeit, «bei der wir uns als zuverlässiger Partner bewährt haben».
Seit 50 Jahren leistet die Schweiz in Indien Entwicklungshilfe, vor allem bei Wasser und Landwirtschaft, Mikrofinanzen, technischem Wissenstransfer und Energie.
Wie an andern Orten habe man auch in Indien keine spektakulären Grossprojekte lanciert, sondern sich stets an den lokalen Bedürfnissen orientiert, klein angefangen, kontinuierlich aufgebaut und flexibel auf veränderte Rahmenbedingungen reagiert, führt Gautschi aus.
Milchindustrie aufgebaut
Gautschi beobachtet die Arbeit mit Indien seit Jahrzehnten sehr genau und stellt eine nachhaltige Wirkung fest. Als Beispiel gibt er die Förderung der Milchverarbeitung im Südstaat Kerala an.
Schon in den 1960er-Jahren begann man dort im Rahmen eines Entwicklungsprogramms der Schweiz mit der Züchtung einer leistungsfähigen, lokal angepassten Kuhrasse. Die Zucht gelang dank Samenimporten von Schweizer Stieren, die zur Kreuzung mit der einheimischen Rasse verwendet wurden.
Dies legte die Basis für den Aufbau einer milchverarbeitenden Industrie, die im Laufe der Jahre Hunderttausenden Bauernfamilien zu einem regelmässigen Einkommen verhalf. Das Programm war zugleich der Auslöser für zahlreiche weitere Initiativen in diesem Bereich.

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Deza
Türöffner für Schweizer Unternehmen
Auch andernorts hat das Schweizer Engagement sichtbare Erfolge gezeitigt. So geht das indische Berufsbildungssystem massgeblich auf die Nettur Technical Training Foundation (NTTF) in Bangalore zurück, ein vor über 40 Jahren gestartetes, indo-schweizerisches Programm.
Indiens Wirtschaft ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Von dem Boom profitieren auch viele Schweizer Unternehmen, die mit Indien regen Handel betreiben. Die Schweiz strebt deshalb mit Indien im Rahmen der Efta einen Freihandelsvertrag an.
Dass die Deza trotz dieses Wirtschaftsaufschwungs immer noch im Land tätig ist, hat mit den grossen sozialen Gegensätzen zu tun. Auch heute leben mehr als 300 Millionen Inderinnen und Inder von weniger als einem Dollar pro Tag.
Mit ihrem Engagement leistet die Deza Imagepflege für die Schweiz, wovon nicht zuletzt Schweizer Unternehmen beim Einstieg in den indischen Markt profitieren. Eine sinnvolle Synergie, wie Gautschi meint.
Das Engagement der Bundesagentur richte sich konsequent an die Ärmsten: die Verlierer des Booms, der Indien für die Schweizer Wirtschaft so interessant macht.
swissinfo und Viera Malach/Katharina Schindler, InfoSüd
Indien gehört zu jenen Ländern, die künftig weniger Entwicklungshilfe aus der Schweiz bekommen.
Im Zuge der Konzentration ihrer Aufgaben, wie dies auch von politischer Seite gefordert wurde, wird das Indien-Programm auf eine neue, schmalere Grundlage gestellt.
Statt auf kleinräumige Projekte an der Basis werde man sich künftig vermehrt auf Wissenstransfer konzentrieren, der indirekt möglichst vielen Armen zugute kommt, hiess es von der Deza.
Besonders in technischen Bereichen, etwa bei der Förderung alternativer Energieformen, werde die Schweiz ihr Spezialwissen einbringen.
Rund zwei Drittel der 1,1 Milliarden Menschen in Indien leben von der Landwirtschaft.
Die ländliche Bevölkerung hat indes vom Wirtschaftsboom der letzten Jahre kaum profitiert.
Die Gegensätze zwischen Stadt und Land wachsen weiter.
Zudem belasten veraltete Strukturen die Landwirtschaft.
Gegen derlei Missstände sucht die indische Regierung nun Abhilfe.

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