
«Nur dumme Menschen verändern sich nicht»

Die internationale Luftfahrt befindet sich in der grössten Existenzkrise ihrer Geschichte. Auch die Swiss kämpft ums Überleben.
Swiss feiert ihren ersten Geburtstag. Ein Exklusiv-Interview mit CEO André Dosé über sein Unternehmen und dessen Zukunft.
swissinfo: Laut vielen Experten sollte Swiss einer Allianz beitreten. Aber was haben Sie einer Allianz zu bieten?
André Dosé: Wir haben sehr viel zu bieten: Einen sehr starken, nach wie vor lukrativen Heimmarkt mit rund 11 Mio. Passagieren, denn wir bedienen auch die grenznahen Räume im Ausland. Wir bieten ein gutes Produkt und eine gute Marke.
Doch in der momentanen Situation steht eine Allianz nicht im Vordergrund, denn sie hätte im Jahr 2003 keinen positiven Einfluss auf das kommerzielle Resultat.
Welche Allianz wäre zu einem späteren Zeitpunkt optimal für die Swiss?
AD: Die logische Allianz und auch unser erklärtes Ziel ist «One World». Zur Zeit haben wir mit praktisch allen One-World-Mitgliedern bilaterale, kommerzielle Abkommen. Das wichtigste Abkommen haben wir mit American Airlines.
Bei der Lancierung des Swiss-Brands wurde oft von einem «Premium-Brand» gesprochen. Nun will Swiss das Tiefpreis-Ticketing ausbauen. Erodieren Sie damit nicht den Brand Swiss?
AD: Swiss ist und bleibt ein interkontinental operierender Network-Carrier mit einem Hub. Wir werden und wollen weder den Brand noch das Produkt gefährden.
Nur haben sich Dinge in den letzten Monaten sehr verändert. Deshalb müssen wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Kosten noch mehr zu senken. Da wir auf den Europa-Flügen Kapazitäten übrig haben, wollen wir diese durch den Direktverkauf zu attraktiveren Preise anbieten.
Damit wollen wir nicht die Qualität des «normalen» Fluggeschäfts verwässern. Alle Network-Carrier werden diese Möglichkeiten in Zukunft mehr ausschöpfen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir schnell handeln.
Jeder assoziiert Easyjet mit billig, aber wer assoziiert Swiss mit billig?
AD: Genau darin liegt das Potential. Denn auch wenn wir unsere Tarife senken, haben unsere Passagiere immer noch den gleichen Service am Boden. Aus der Sicht des Kunden ist Easyjet gar nicht so schnell: Schauen Sie mal die Check-In-Schlange nach London an!
Wir wollen nun vermehrt die Direktverkäufe ankurbeln. Auf diese Weise kann Swiss sehr wohl die Billiglinien konkurrenzieren. Natürlich wird dieses Modell nicht auf das ganze Fluglinien-Netz angewandt, sondern nur auf bestimmte Routen mit grossen Volumen, wie etwa London, Paris, Kopenhagen oder Wien.
Dieser Strategie-Verlagerung wird aber mit viel Skepsis begegnet. Viele erinnern sich noch an die Aussagen von Tyler Brulé.
AD: Nur dumme Menschen verändern sich nicht und passen sich nicht an den Markt an. Die Dinge haben sich nun mal verändert, sowohl der Markt als auch das Konsumverhalten.
Tyler Brulé war zuständig für die Definition des Brands, aber nicht für Bereiche wie das Essen an Bord oder den Service. Der Brand steht in keiner Weise in Frage, beim Service ist es etwas anderes.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Kunde nicht mehr auf allen Routen den gleichen Service bekommt. Schliesslich müssen wir mit dem Wettbewerb Schritt halten.
Wie sieht das Worst-Case-Szenario bei einem länger als erwarteten Krieg aus, und wie hat sich die Swiss gegen den volatilen Ölmarkt abgesichert?
AD: Wir haben für das Jahr 2003 praktisch den ganzen Bedarf abgesichert und die Kosten im Griff. Für 2004 ist ebenfalls bereits ein wesentlicher Teil des Bedarfes abgesichert.
Was den Krieg und eventuelle Terroranschläge betrifft: Irgendwelche Standardszenarien wären sinnlos. Wir entscheiden jeden Tag, also kurzfristig, was wir fliegen und was nicht, denn Volumen und Situation ändern sich dauernd.
Und wenn der Krieg nun tatsächlich länger dauert?
AD: Wenn der Krieg länger als erwartet dauert und sich die Welt-Wirtschaftslage nicht verbessert, dann werden wir natürlich weitere Massnahmen ergreifen müssen.
Braucht es dann wieder Geld vom Bund?
AD: Damit rechnen wir nicht. Sollte sich jedoch die Lage für die Flugindustrie insgesamt dramatisch verschlechtern, geht es darum, das nationale Transport-System zu retten.
Dabei geht es nicht nur um das Überleben von Swiss und der Flughäfen, sondern es betrifft die gesamte Schweizer Wirtschaft.
Es braucht ein nationales Transport-System, aber braucht es dafür eine nationale Airline?
AD: Es braucht ein Unternehmen, dass den interkontinentalen Verkehr zusichert. Sonst ist die Schweiz nicht attraktiv als Standort.
Sie repräsentieren nicht irgendeine Airline, sondern die einzige. Als Chef der Crossair traten Sie gegen Swissair an, nun gegen die öffentliche Wahrnehmung.
AD: Der Druck ist sehr gross. Die Flugindustrie durchlebt das schwierigste Jahr ihrer Geschichte. Für keinen CEO ist es ein Vergnügen und auch nicht motivierend, in einer Industrie zu arbeiten, in der jeden Tag Unternehmenswerte vernichtet werden.
Das Feedback der Öffentlichkeit ist aber in der Regel sehr positiv. Trotzdem ist es schwer damit umzugehen, dass jede Schweizerin, jeder Schweizer einen kennt. Wenn Sie Schüler fragen, wer der Chef von Swiss ist und wer im Bundesrat sitzt, wird wohl am ehesten mein Name genannt.
Diese Tatsache schlägt sich auch in meinem Alltag nieder. Ich kann nicht einfach irgendwo ungestört eine Tasse Kaffee trinken gehen, ohne erkannt und angesprochen zu werden. Aber ich kann mich nicht verstecken, sondern muss mich den Medien und der Öffentlichkeit stellen und auch den Politikern. Schliesslich ist Swiss von nationalem Interesse.
Welches ist die wichtigste Eigenschaft, die ein Airline-CEO heute haben muss?
AD: Ruhig zu bleiben und die Nerven auch dann zu behalten, wenn die Märkte immer weiter tauchen und man ständig angegriffen wird. Ich bin von Natur aus nicht der Typ, der sich schnell aufregt und schnell die Kontrolle verliert. Natürlich belastet der Druck und der hohe Arbeitsaufwand. Schliesslich brauche auch ich Schlaf.
Hat die Verschmelzung der zwei Unternehmens-Kulturen von Swissair und Crossair nun stattgefunden?
AD: Ja, grösstenteils: Beim Management, beim Kabinen- und beim Bodenpersonal haben wir grosse Fortschritte gemacht. Es gibt eine neue Mentalität. Aber bei den Piloten ist dies unmöglich. Deshalb gibt es auch zweierlei Verträge für ehemalige Swissair-Piloten und für ehemalige Crossair-Piloten.
Der Firmensitz der Swiss ist erstaunlich zweckmässig und schlicht, auch die Chefetage. Und eine prestigeträchtige Eingangshalle aus Marmor fehlt.
AD: (lacht) Nun, das hat schlicht und einfach damit zu tun, dass wir uns diese Dinge nicht leisten können. Die exklusiven Zeiten sind vorbei.
swissinfo-Interview: Elvira Wiegers
Swiss feiert ihren ersten Geburtstag.
Das Geschäftsjahr 2002 schloss Swiss mit einem Verlust von 980 Mio. Franken ab.
Das Unternehmen hat seit letzten Herbst einen Abbau von insgesamt 1000 Stellen angekündigt.
2003 ist laut Firmenchef André Dosé das schwierigste Jahr in der Geschichte der internationalen Luftfahrt.
Als Konsequenz reduziert Swiss ihre Flotte und ihr Flugliniennetz.

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