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Presseschau vom 09.10.2002

Die Titelseiten und Kommentarspalten werden von zwei emotionalen Themen dominiert: Dem Grabenkampf um die Zins-Besteuerung zwischen der Schweiz und der EU und der Auswanderung der Ovomaltine.

Die Kommentatoren schätzen den Zins-Zwist ganz unterschiedlich ein.

«Die Schweiz – keine EU-Kolonie» wettert die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG im Titel ihres Kommentars und stellt zu allererst eine Frage in den spannungsgeladenen Raum:

«Wo auf der Welt gibt es ein Land, das sich bereit erklärte, Steuern für andere Staaten einzuziehen?»

Und weil die Schweiz dies mit ihrem Vorschlag einer Quellensteuer der Ersparnisse tut, erwartet die NZZ von der EU eigentlich eine andere, feinere Art im Umgang mit der Schweiz:

«So gesehen hätten die Finanzminister der EU beim Treffen in Luxemburg ihrem Amstkollegen aus der Schweiz den roten Teppich auslegen müssen.»

Die NZZ verurteilt scharf, dass EU-Kommissar Bolkestein am Vorabend des Meinungsaustauschs in der Financial Times «noch einmal mit dreisten Unterstellungen und Drohungen» gegen die Schweiz losgeschossen sei.

Hart bleiben…

Der Kommentator der NZZ ballt nicht nur die Faust gegen die unenglische Art der vorgetragenen Forderungen. Die NZZ klopft auch auf den Tisch, was den Inhalt der Forderungen anbelangt:

«Es muss dabei bleiben, dass alle EU-Forderungen illusorisch sind, die das bewährte schweizerische Rechtssystem auf den Kopf stellen würden und die der Schwächung des Finanzplatzes gegenüber der Konkurrenz im EU-Raum dienen sollen.»

«Unter Freunden» heisst der etwas versöhnlichere Kommentar in der AARGAUER ZEITUNG. Villiger habe die Europäer an einige Realitäten erinnert:

«So baut die Schweiz ‹für Europa› die 20 Milliarden Euro teure Alpentransversale. (…) 800’000 EU-Bürger wohnen in der Schweiz, und die gleiche Zahl findet weltweit in Schweizer Firmen ihr Auskommen. Das war ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl»,

schreibt die AZ weiter, «gegen die, die die Schweiz immer als Rosinenpicker bezeichnen».

…oder Steuerhinterziehung nicht mehr decken?

In einem anderen Licht sieht die Kontroverse der TAGES-ANZEIGER. Zwar räumt der TAGI ein,

«dass sich Finanzplätze gegenseitig nichts schenken».

Doch sei die Schweiz «weiss Gott mehr als eine grosse Bank». Der TAGI kritisiert Finanzminister Villiger unverblümt:

«Villiger hat sich die eigennützige und kurzsichtige Position der Bahnhofstrasse zu Eigen gemacht und sich so in eine Sackgasse manövriert. Denn ein Bankgeheimnis, das Steuerhinterziehung deckt, hat keine Zukunft.»

Emotionen zur neu britischen Ovomaltine

Nicht emotionslos, aber ohne viel Widerstand haben die Schweizer Zeitungen den Verkauf der Schweizer Traditionsmarke Ovomaltine ins Ausland hingenommen.

«Adieu Ovo», grüsst der TAGI.

Die Westschweizer Zeitung LE TEMPS konstatiert auf der Front:

«Ovomaltine et Caotina changent de nationalité.»

BUND und BERNER ZEITUNG widmen «ihrer» Ovo die Titelgeschichte, thematisieren vor allem die «gesicherten Jobs» im Kanton.

Gegen allfällige Frustationsgefühle wegen eines Ausverkaufs der Nation schreibt die BASLER ZEITUNG von einem «Geben und Nehmen», denn:

«Wenn Verkäufe von Schweizer Marken ins Ausland immer viel Staub aufwirbeln, muss man sich auch die zahlreichen Acquisitionen ausländischer Firmen durch Schweizer Unternehmen vergegenwärtigen.»

Und das ST. GALLER TAGBLATT tröstet und beruhigt die Schweiz: «Die Briten mögen Tee und Ovo.»

swissinfo, Anita Hugi

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