
Privatisierungs-Pionier krebst zurück

Service public oder Dienstleistungen durch Private? Nicht nur in der Schweiz wird darüber heiss diskutiert.
Jahrelang galt Neuseeland als Vorzeigebeispiel für Privatisierungen und Liberalisierungen. Gewisse Bereiche werden nun aber wieder verstaatlicht.
«Eine Reise ins gelobte Land, eine Expedition nach Neuseeland, das zu einem politischen Experimentierlabor geworden ist.» So beschrieb die Wirtschaftszeitung «Cash» eine Expedition der Universität St. Gallen mit Schweizer Wirtschaftsführern und Politikern.
Die hochkarätige Delegation wollte vor vier Jahren «die spektakuläre Erfolgsgeschichte neoliberaler Denkschule» studieren. Damals hatten weitreichende Privatisierungen und eine fast vollständige Abschaffung staatlicher Vorschriften dem Inselstaat zu internationalem Ruhm verholfen.
Bröckelnder Ruhm
Heute ist viel von diesem Ruhm abgebröckelt: Wer sich in Neuseeland umsieht und mit den Einwohnern spricht, den «Kiwis», wie sie sich selbst nennen, hört viele Klagen über einen Qualitätsrückgang des Service public.
Die seit 1999 amtierende Mitte-Links Regierung hat die Wahlen im Juli 2002 mit dem Versprechen gewonnen, wieder mehr Geld in den öffentlichen Sektor (hauptsächlich Gesundheitswesen und Schulen) zu investieren. In einigen Bereichen hat sie das Rad der Privatisierung bereits zurückgedreht und eine staatliche Postbank geschaffen oder die Unfallversicherung wieder verstaatlicht.
Vorreiterin Telekommunikation
Als eines der weltweit ersten Telekom-Unternehmen wird 1990 Telecom New Zealand verkauft. Der Staat kassiert von den US-Investoren Bell Atlantic und Ameritech bescheidene 3,3 Millionen Franken. Vor der Privatisierung war Telecom NZ in die Post integriert – wie in der Schweiz. Bereits 1990 erhielt Telecom NZ auf dem Festnetz Konkurrenz (Clear), konnte aber ihr Monopol in der Mobiltelefonie bis 1993 halten (BellSouth).
Zum Vergleich: Die Swisscom musste sich erst 1998 der Konkurrenz stellen. Heute ist der Bund mit 62,7 Prozent weiterhin Hauptaktionär, während der Staat in Neuseeland ausgestiegen ist.
Sinkende Gesprächsgebühren
Auch am anderen Ende der Welt hat die Privatisierung im Telekommunikations-Bereich zu mehr Wettbewerb und tieferen Preisen geführt. Bei Telecom sind beispielsweise Ortsgespräche von Festanschluss zu Festanschluss sogar gratis. Auch kosten Ferngespräche weniger: Während noch vor fünf Jahren ein einminütiges Telefonat in die Schweiz 2.87 $ (2.25 Franken) kostete, sind es heute mit dem günstigsten Anbieter (Compass) noch 15 Cents (etwa 12 Rappen).
Die Privatisierung hat den Konsumenten Vorteile gebracht. Allerdings mehren sich kritische Stimmen, die beklagen, dass die Gewinne von Telecom an die Hauptaktionäre nach Übersee wegfliessen.
Zudem steht, analog zur Schweiz, die Salärpolitik des Konzerns in der Kritik: Telecom-Chefin Theresa Gattung verdient jährlich 1,419 Millionen Franken. Der durchschnittliche Kiwi muss hingegen mit 25’000 Franken leben – im Jahr.
swissinfo, Marc Meschenmoser, Christchurch, Neuseeland
Neuseeland:
Fläche: 270’534 km2
Rund 4 Mio. Einwohner
45 Mio. Schafe
1990: Privatisierung der New Zealand Telecom
Folge: Stark gesunkene Telefon-Gesprächspreise

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