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Studie zeigt: Finstere Charakterzüge sind ein Wahlvorteil geworden

Zwei Männer und eine Frau
Komplexe Persönlichkeiten: Die Staats- und Regierungschefs Emmanuel Macron, Angela Merkel und Donald Trump bei einem Gipfeltreffen im Jahr 2017. Keystone / John MacDougall

Wählende mit extremeren Ansichten unterstützen gerne Führungspersönlichkeiten, die Anzeichen von Narzissmus oder Rücksichtslosigkeit zeigen. Das zeigt eine Studie der Universität Lausanne.

In den letzten Jahren haben politische Persönlichkeiten wie US-Präsident Donald Trump oder der argentinische Kettensägenschwinger Javier Milei viele dazu veranlasst, sich Gedanken über die Rolle von Persönlichkeit und Image im Weltgeschehen zu machen.

Wird Trump, der gesagt hat: «Ich regiere das Land und die Welt», von seinem reinen Ego angetrieben? Handelt er nach einer strategischen «Wahnsinnstheorie»Externer Link?

Da die Demokratien – nicht nur in den USA – immer stärker polarisiert sind, stellt sich die Frage, inwieweit Staats- und Regierungsoberhäupter die Spaltung der Gesellschaft noch weiter vorantreiben.

Online-Echokammern und Medien mit einer einseitigen Haltung tragen dazu bei, Gruppen auseinanderzutreiben. Auch wirtschaftliche Probleme können zu Feindseligkeiten führen.

Doch inwieweit sind einzelne Politikerinnen und Politiker – und ihre Persönlichkeiten – dafür verantwortlich, dass Menschen gegeneinander aufgehetzt werden?

«Inhouse-Effekt»

Eine Studie von Forschenden aus der Schweiz und den NiederlandenExterner Link stellt einen gewissen Zusammenhang fest. In einer Analyse von 40 Wahlen weltweit zwischen 2016 und 2021 zeigt sich, dass Politikerinnen und Politiker mit «finsteren Persönlichkeitsmerkmalen» – Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie – tendenziell von Wählenden mit einem höheren Grad an «affektiver Polarisierung» unterstützt werden. Damit ist eine emotionale Abneigung gegenüber Menschen gemeint, die andere Ansichten vertreten.

Die Studie umfasste 91 Spitzenpolitikerinnen und -politiker – darunter Trump, Narendra Modi, Emmanuel Macron und Angela Merkel. Sie ergab, dass der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Polarisierung nicht konsistent ist.

Vielmehr wurde ein signifikanter «Inhouse-Effekt» beobachtet: Der Zusammenhang zeigte sich nur bei Wählenden, die sich eng mit der Ideologie der jeweiligen Führungsperson identifizierten. Wählende, welche die Ideen der Politikerin oder des Politikers von vornherein ablehnten, waren davon nicht betroffen.

Damit bestätigt die Studie frühere Erkenntnisse, denen zufolge «Politiker, oft Populisten, mit einer finsteren, spaltenden und kompromisslosen Persönlichkeit […] dazu neigen, in der breiten Öffentlichkeit unbeliebt zu sein, während sie gleichzeitig bei aggressiveren Wählenden recht beliebt sind».

Gleichzeitig ist dieser Effekt nicht auf eine Seite des politischen Spektrums beschränkt: Weder finstere Persönlichkeiten noch die Polarisierung sind ausschliesslich linke oder rechte Phänomene.

Laut den Forschenden scheinen jedoch «finstere Züge bei Autokraten und Populisten besonders weit verbreitet zu sein, was auf eine potenziell schädliche Überschneidung zwischen kompromisslosen Führern, demokratischer Dekonsolidierung und affektiver Polarisierung hindeutet».

Wie Animositäten die Amerikanerinnen und Amerikaner beeinflussen, gilt auch für die Schweiz:

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Angebot und Nachfrage

Frederico Ferreira da Silva, der die im März 2025 erschienene Studie während seiner Zeit an der Universität Lausanne mitverfasst hat, sagt, dass die Ergebnisse nicht den genauen Mechanismus aufzeigen, durch den die Persönlichkeiten der Politikerinnen und Politiker die Haltung ihrer Anhängerschaft beeinflussen.

«Die Studie zeigt einen Zusammenhang auf, aber sie kann die Ursache nicht identifizieren», sagt Ferreira da Silva.

Daher könne die Studie auch nicht die Frage beantworten, ob die affektive Polarisierung ein Problem der Angebotsseite («Eliten treiben die Massen an») oder der Nachfrageseite («Füllen einer Marktlücke») sei, fügt Ferreira da Silva hinzu.

Ein Mann
Frederico Ferreira da Silva ist derzeit Forschungsstipendiat an der Universität Lissabon. Er hat am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, Italien, promoviert und war zuvor an der Universität Lausanne tätig. zVg

Insgesamt ist er der Meinung, dass die Dynamik eher von oben nach unten als von unten nach oben verläuft. Es gibt jedoch auch Elemente von beidem.

«Bei den jüngsten Wahlen weltweit ist eine zunehmende Zahl von Politikern zu beobachten, die diese Merkmale einer finsteren Dreifaltigkeit aufweisen», fügt er hinzu. Und diese seien eindeutig gefragt: «Finstere Charakterzüge sind sogar zu einem Wahlvorteil geworden.»

Probleme für die Demokratie

Gleichzeitig wird in der Forschung häufig davon gesprochen, dass sich Wählende von ihren bevorzugten Kandidierenden beeinflussen lassen. Dies kann bedeuten, dass sie ideologisch oder – wie in diesem Fall – emotional beeinflusst werden.

Und das kann sich direkt auf die Demokratie auswirken, zumal «viele Indikatoren zeigen, dass die am stärksten polarisierten Menschen auch die Aushöhlung der demokratischen Normen am stärksten unterstützen», so Ferreira da Silva.

Dieser «affektive» Einfluss kommt zu den direkteren Aktionen bestimmter Politikerinnen und Politiker hinzu, die in den letzten Jahren autokratische Wege eingeschlagen haben.

Wenn es um den Niedergang der Demokratie geht, streiten sich die Fachleute ähnlich über angebots- und nachfrageseitige Ursachen. Einige betonen, dass wirtschaftliche oder gesellschaftliche Probleme nicht alles erklären und dass «die Führungspersönlichkeiten immer noch eine Rolle spielen».

Thomas Carothers und Brendan Hartnett schrieben kürzlich im Journal of DemocracyExterner Link: «Es ist wichtig zu verstehen, warum und wie solche Führer sich nach ihrem Amtsantritt gegen demokratische Machtbeschränkungen wehren – und warum diese Beschränkungen sie nicht aufhalten konnten. Dieses Verständnis hilft, die besorgniserregende Ausbreitung von demokratischen Rückschritten weltweit zu erklären, in reichen wie armen Ländern.»

«Ideenleere»

Laut Ferreira da Silva ist der Aufstieg «finsterer» Persönlichkeiten symptomatisch für ein grösseres Problem: eine «Leere an politischen Ideen oder Projekten in den heutigen Gesellschaften».

Der Mangel an Substanz führe zu einer Politik, die sich mehr auf die Persönlichkeit konzentriere, sowie zu Debatten, die eher darauf abzielten, «die andere Seite zu Fall zu bringen».

Einen schnellen Vorschlag, wie man die Dinge ändern könnte, hat er allerdings nicht. Man könne nicht viel tun, um die Personen, die für ein Amt kandidieren, zu beeinflussen, betont er. Angesichts des derzeitigen Erfolgs solcher Figuren hätten die Parteien wenig Anreiz, gemässigtere Kandidierende aufzustellen.

Ferreira da Silva bezeichnet die Medien jedoch als besonders wichtig, da ein Grossteil der Ursachen für die affektive Polarisierung auf Kommunikationsprobleme zurückzuführen sei.

«Vor allem die USA haben ein grosses Problem mit parteiischen Medien», sagt er und fügt hinzu: «In Europa, wo die Dinge nicht so radikalisiert sind, liegt das vor allem daran, dass die Medien im Allgemeinen unabhängig bleiben.»

In der Schweiz, die nicht in die Studie einbezogen wurde, richtet sich die affektive Polarisierung laut Ferreira da Silva eher gegen politische Parteien als gegen abstrakte kollektive Identitäten.

Einzelne Politikerinnen und Politiker sind nicht direkt betroffen, was darauf hindeuten würde, dass das Phänomen spaltender Führungspersönlichkeiten, welche die Polarisierung vorantreiben, hierzulande weniger zum Tragen kommt.

Auch wenn die affektive Polarisierung in der Schweiz nicht als so gravierend eingeschätzt wird wie anderswo, gibt es doch Spaltungen und Spannungen:

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Editiert von Benjamin von Wyl/ts, Übertragung aus dem Englischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub

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