
Schweizer Bildhauer im Lande der Kängurus

Der aus dem Kanton Bern stammende Ulrich Steiner hat zwei Leidenschaften: Reisen und Bildhauerei.
Die erste führte ihn nach Australien, wo er seit vielen Jahren die zweite auslebt.
Ulrich Steiner, Bürger von Cormoret, einem kleinen Dorf im Kanton Bern, lebt seit 27 Jahren in Galston, einem Vorort von Sydney.
Er beschreibt Australien gern als tolerantes Land, das, laut seinen Worten, «allen eine Chance gibt.»
«Fast 70 Nationalitäten leben in Sydney zusammen», erklärt er, «das ist schon etwas anderes als die Schweizer Monokultur.»
Allerdings räumt Steiner ein, dass seit seiner Ankunft in Australien 1976 die Einwanderungsgesetze verschärft wurden.
Weiter rät er Schweizerinnen und Schweizern, die hier leben möchten, «sich ihr Vorhaben gut zu überlegen», und vor allem «etwas Geld auf die Seite zu legen».
Hinaus aufs Meer
Der Uhreningenieur war schon immer ein unruhiger Geist. Mit 22 beschliesst er, dass die Schweiz für ihn zu klein ist. Er will aufs Meer.
Er mietet ein Grundstück, auf dem er sich eine behelfsmässige Unterkunft baut. Und in einem Hangar aus Blech und Holz verbringt er fünf Jahre damit, das Segelboot «l’Epervier» («der Falke») zu bauen, einen 15-Tönner.
Tagsüber arbeitet er als Uhrmacher, um sein Projekt zu finanzieren.
Am Abend und an den Wochenenden verbringt er seine Zeit vorwiegend damit, die Einzelteile seines Boots zuzusägen, zusammenzufügen und zu schweissen.
«Die Leute des Vallon dachten, ich sei verrückt», erinnert er sich lachend. «Aber sie machten mir Mut. Ausserdem hatte ich eine Kasse eingerichtet: Bei meiner Abreise stellte ich überrascht fest, dass 2000 Franken darin waren.»
Wasserung
Nach fünf Jahren verlässt «l’Epervier» endlich das Nest. Am 2. April 1973 kommt Steiners Boot im Hafen von Mülhausen zum ersten Mal ins Wasser.
Mit einem Freund befährt er die Kanäle von Rhein, Somme und Rhone bis ins Mittelmeer.
Ulrich und sein Freund haben keine Erfahrung in der Seefahrt, deshalb beschliessen die beiden, nach Korsika zu segeln. Fehlanzeige!
Nach einem fünftägigen Sturm legen sie endlich in Italien an. Ohne einen Rappen in der Tasche.
Die beiden Freunde kehren in die Schweiz zurück. Ulrich verdient sich etwas Geld, kauft sich einen Navigationssextanten und einen automatischen Piloten, und sticht wieder ins Meer.
«In diesem Moment», erinnert er sich, «stellte ich mir wirklich viele Fragen. Ich sagte mir, dass ich niemals gehen würde, wenn ich jetzt nicht die Segel setzte. Schliesslich fuhr ich mit 600 Franken in der Tasche los.»
Kurs auf Sydney
1974 durchquert er also zum ersten Mal den Atlantik, Richtung Martinique.
Dann geht’s weiter gegen Süden, Richtung Grenada, Panama und dann zu den Marquesas-Inseln.
Noch immer hat er nicht genug vom Abenteuer, also unternimmt er eine Solofahrt in den Pazifik. Es wird seine letzte grosse Reise, denn es geht in Richtung Australien, seine künftige Heimat.
Anfang Oktober 1976 ist nach einer ermüdenden Reise von 75 Tagen endlich Land in Sicht: Sydney!
Der Motor seines Schiffes hat eine Panne. Die Seepolizei von Sydney schleppt ihn in die Bucht.
Die ersten Kontakte mit den Menschen in Australien sind herzlich: Er bekommt zu trinken und zu essen.
Sofort fühlt er sich wohl in dieser Gesellschaft, die er als «easy-going» beschreibt.
Zu jener Zeit ist das Einwanderungsverfahren eine reine Formalität. Er hat keinen Rappen in der Tasche, aber schon macht seine Geschichte dank den Medien die Runde in der Stadt.
Die Einwanderungsbeamten stempeln seinen Visumsantrag ab, ohne mit den Wimpern zu zucken.
Ein Job und eine Frau
«Ich hatte meine Werkzeuge bei mir», erzählt Steiner. «Ich erklärte ihnen, dass ich auf den Werften schnell Arbeit finden könne.»
Und wirklich findet er rasch einen Job. Besser noch, er lernt Anne kennen, eine Australierin, die seine Frau und die Mutter seiner beiden Töchter Jessica und Claudia wird.
Nun fahren sie zusammen zur See und besuchen die Inseln im Pazifik. Danach wollen sie nach Europa reisen. Aber wegen der Geburt von Jessica ändern sie ihre Pläne.
Heute wohnt der Schweizer mit seiner Familie in einem Vorort im Nordosten von Sydney. Ihr Haus steht über einem Eukalyptuswald. Und von ihrer Terrasse aus können sie die Kängurus und die farbenfreudigen Wellensittiche bewundern.
Die Vögel kommen übrigens in Ulrichs Werken viel vor. Denn seit 14 Jahren arbeitet der Abenteurer von Cormoret als Bildhauer.
Ob abstrakt oder gegenständlich, der Eisenplastiker lebt gut von seinen Werken. Er stellt in mehreren Galerien in Sydney aus und erhält Aufträge von Privatleuten und verschiedenen öffentlichen und privaten Organisationen.
Schweiz höchstens in den Ferien
Heute, 27 Jahre nach seiner Abreise aus der Schweiz, bedauert er nichts. Er hat nicht die Absicht, eines Tages in seinen Heimatkanton Bern zurückzukehren, ausser vielleicht in den Ferien.
«So ist das Leben», fasst Ulrich zusammen. «Wenn man sich etwas in den Kopf gesetzt hat und sich die Mittel beschafft, um die Idee zu realisieren, kann einen nichts bremsen.»
swissinfo, Stephane Hiscock, Sydney
(Übersetzung: Charlotte Egger)
600’000 Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland.
Seit 1990 ist die so genannte Fünfte Schweiz um 150’000 Personen gewachsen.
Im Jahre 2002 lebten 19’000 Schweizerinnen und Schweizer in Australien.
– 9. Mai 1946: Geburt im bernischen Cormoret.
– April 1973: Wasserung seiner Eigenbau-Jacht «l’Epervier».
– Februar 1974: Atlantiküberquerung
– Oktober 1976: Ankunft in Sydney.
– Juli 1979: Geburt seiner Tochter Jessica.
– April 1982: Geburt seiner Tochter Claudia.

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