
Swiss-Lady – ganz trocken

Was hat Wäschetrocknen mit Demokratie zu tun? Ein Schweizer Designprodukt ändert sich im Lauf der Zeit - und bleibt gleich.
Der Stewi ist nichts als ein Schirm und der erste Frauenversteher der Schweiz.
Wie viel Freilauf und frische Luft brauchen Socken, Hemden, Windeln, Leintücher und anderes Waschgut, das Herr und Frau Schweizer in guten wie in schlechten Tagen vom Aggregatszustand der Nässe in glättbare Trockenheit überführen?
Auf diese Frage gab der Unternehmer und Erfinder Walter Steiner im Jahr 1947 eine geniale Antwort: Herr und Frau Schweizer brauchen den Stewi. Der Stewi ist eine klappbare, um seine eigene Achse rotierbare Wäschespinne, auf gut Deutsch: ein Wäscheschirm.
Es war Nachkriegszeit, als das inzwischen zum Design-Klassiker gewordene Artefakt auf den Markt kam. Der Vorteil und das Geniale des Stewi waren offensichtlich. Bis zur Entwicklung des Stewi war die Hausfrau mit dem Waschgut der Wäscheleine gefolgt, die traditionell zwischen zwei Jochbögen von A nach B festgezurrt war.
Neu blieb die Waschfrau mit dem Waschkorb stehen, drehte die Spinne bequem zu einem freien Stück Leine zu sich. Das Wäschetrocknen wurde zum haustechnischen Harfenspiel.
Wäsche: Flaggen der Sauberkeit
Der Stewi kam vor 58 Jahren auf den Markt, als der Waschküchen-Schlüssel in der Schweiz nicht einfach Zugang zu jenem Raum gab, der einmal Waschküche hiess. «Der Waschküchen-Schlüssel erschloss den Zugang zu Tieferem», schreibt der Schriftsteller Hugo Lötscher.
Das Produkt von Walter Steiner drehte sich in der Gründerzeit in einer Brise, als Waschen und Trocknen «einen hohen Stellenwert im Ritualleben der schweizerischen Hausfrau einnahm», hebt Hugo Lötscher in seiner Glosse zur Kultur der Schweizer Reinlichkeit hervor. Hemden und Blusen, Socken und Unterhosen wurden einst wie Flaggen der Sauberkeit im Freien gehisst.
Der Waschküchen-Schlüssel öffnete damals nicht nur Türen zur helvetischen Sauberkeit, er war in den Worten von Hugo Lötscher ein eigentlicher Schlüssel für «demokratisches Verhalten und ordnungsgerechte Gesinnung». Dazu gehörte auch der Stewi. Er legte den Blick auf etwas Intimes der Schweizer Haushalte frei: die Wäsche.
Der Stewi sucht und findet neue Standorte
Heute haben haben die Menschen in der Schweiz die pflegeleichte Möglichkeit, ihr Demokratie-Verständnis via Waschküche und Stewi zu zeigen, weitgehend eingebüsst. Schon fast jede Partei in modernen Mehrfamilienblocks, in Loftbauten und Hochhäusern wäscht im eigenen, privaten Waschturm, bestehend aus Waschmaschine und Tumbler.
Trotz des Wandels in Ästhetik und Waschkultur vermag sich der Stewi von Walter Steiner, fast gegen die Logik des Zeitgeistes, am Markt zu halten. Mehr noch. Er wird immer perfekter, wird neu entdeckt von Singles, Junggesellen und Villenbesitzern, die den neu gestylten Stewi wie ein Kultobjekt auf dem Rasen des Hintergartens stehen haben.
Im schlaffen Zustand wirkt der Stewi mit den wettergeschützten Leinen wie eine minimalistische Plastik. Gespannt gibt der Aluschirm bis zu 60 Meter reissfeste Wäscheleine frei; es gibt kein Bücken mehr, das Aufzugsseil ist bequem auf Handhöhe.
Wo der Stewi auf kulturelle Grenzen stösst
Der Stewi bleibt, fast 60 Jahre nach seiner Einführung, der erste Frauenversteher der Schweiz und über die Grenzen hinaus. Heute wird die Spindel kopiert, die Schutzpatente auf die erste urbane Freilufttrocknerei sind abgelaufen. «Unser wichtigster Markt neben der Schweiz ist Deutschland», erklärt Peter Felix vom Stewi-Verkauf.
«Im Norden geht der Stewi weniger», sagt Felix. Auch den transatlantischen Sprung in die USA hat der Freiluft-Wäschetrockner aus Winterthur nicht geschafft: «In Amerika hat ein Freilufttrockner das Image eines ‹poor-people-products›. Und zudem ist es bestimmten Gegenden verboten, im Freien die familiäre Wäsche zu trocknen», erklärt Peter Felix.
Im Süden Europas konnte sich der Wäscheschirm vermutlich aus Preisgründen nicht durchsetzen, spekuliert Felix.
Der Stewi lebt. Rund 40’000 Mal wird er pro Jahr verkauft. Die jährlichen Schwankungen sind enorm vom Wetter abhängig. Stewi zählt rund 40 Mitarbeiter, die am Produkt tüfteln, verbessern und neue Varianten des Wäschetrocknens auf dem Markt bringen.
swissinfo, Erwin Dettling
Stewi:
60 m Wäscheleine
8 m Zusatzleine im Hut für die kleine Wäsche zwischendurch
Schmutz- und wettergeschützte Leinen
Aufzugseil auf Handhöhe, kein Bücken
Wäscheleine auswechselbar
Inkl. Alubodenhülse zum Einbetonieren

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