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Zwei Bahnspurbreiten, ein Zug, kein Umsteigen

Ein über 100-jähriger Traum soll in Erfüllung gehen: Die TransGoldenPass-Linie wird dem Fahrgast direkte Züge ohne Umsteigen von Montreux nach Interlaken anbieten. MOB

Schmalspur und Normalspur: Das war bisher ein unüberwindbares Hindernis, um mit der Bahn ohne Umsteigen von Montreux bis Interlaken zu fahren. Eine technologische Innovation wird dies schon bald ändern. Gewinner dabei soll der Tourismus sein.

Ausländische Touristen lieben es nach wie vor, mit der Bahn durch die Schweizer Alpen zu reisen. Zu vieles Umsteigen mindert aber das Interesse von Reisegruppen. Das hat sich die Montreux-Berner Oberland-Bahn (MOB) mit ihrer Golden-Pass-Linie zwischen Montreux und Luzern zu Herzen genommen.

Auf der touristischen Paradelinie zwischen dem Genfersee und dem Vierwaldstättersee muss gleich zweimal umgestiegen werden: Zwischen den Schmal-Meterspurstrecken Montreux-Zweisimmen und Interlaken-Luzern fährt die Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn (BLS) auf Normalspur (1,435 Meter). Das heisst: Bitte umsteigen! Und das tun Reisegruppen nur ungern.

Zu teure dritte Schiene

Um die ungeliebten Umsteigepausen auszumerzen, wurde zuerst die Lösung mit einer dritten Schiene zwischen Zweisimmen und Interlaken gesucht. Damit hätten auf dieser Strecke Fahrzeuge beider Spurweiten verkehren können.

“Die Idee der durchgehenden Verbindung von Montreux bis ins Berner Oberland ist eigentlich so alt wie die MOB selbst”, sagt Hans-Jürg Spirgi, Marketingleiter GoldenPass (MOB), gegenüber swissinfo.ch. “Ursprünglich hatte die MOB auch eine Konzession des Bundesamtes für Verkehr (BAV) für die dritte Schiene bis Spiez.”

Das Projekt der dritten Schiene wurde aber im Herbst 2009 wegen der hohen Investitionskosten fallen gelassen. Man habe damals von 150 bis 180 Millionen Franken Investitionen in die Infrastruktur gesprochen, “und das war dann der Todesstoss für die dritte Schiene”, so Spirgi.

Eine Weltneuheit

Nun musste für das alte Problem eine neue Lösung gefunden werden: Rollmaterial, das sowohl auf der Schmalspur wie auch der Normalspur fahren, also “umgespurt” werden kann. Und eine billigere Lösung: Das TransGoldenPass-Projekt mit den umspurbaren Drehgestellen soll “nur” 80 Millionen Franken kosten.

“Es ist tatsächlich eine Weltpremiere, eine neue technische Lösung, die es noch nirgends gibt in dieser Form”, betont Spirgi stolz. “Umgespurt” wird zwar seit geraumer Zeit zwischen Spanien und Frankreich oder in Japan und Russland. “Alle diese Lösungen sind aber für die Bedürfnisse, die wir in den Bergen haben, nicht tauglich. Deshalb waren wir gezwungen, eine komplett neue Lösung selber zu erfinden.”

Das TransGoldenPass-Projekt mit den umspurbaren Drehgestellen ist ein gemeinsames Projekt der MOB und der BLS. “Die Idee kam von der MOB, weil die Golden-Pass-Linie unser Rückgrat ist”, sagt der MOB-Marketingchef. “Wenn wir diese Verbindung zwischen Montreux und dem Berner Oberland langfristig nicht schaffen, kann sich unser Unternehmen nicht mehr weiter entwickeln. Wir waren so zu sagen zum Erfolg verdammt, und deshalb war es eigentlich fast logisch, dass diese Idee von unserer Seite kam.”

Hoffnungen auf mehr Tourismus-Potenzial

Spirgi weiss, dass im öffentlichen Verkehr seit mehreren Jahren vor allem der Freizeitverkehr grosses Potenzial birgt und auch überproportional anwächst. “Für die Nachhaltigkeit unserer Linie sind wir deshalb bemüht, diesen Freizeitverkehr zu fördern. Da gehören natürlich Touristen, einzeln wie auch in Gruppen, dazu, aus dem Inland und dem Ausland.”

MOB und BLS erhoffen sich durch das TransGoldenPass-Projekt eine markante Zunahme der Reisenden auf ihren Linien: “Wir sprechen hier von bis zu 50%, die in relativ kurzer Zeit möglich sein sollten”, so Spirgi.

Das Projekt hätte aber auch positive Auswirkungen auf die Zubringerstrecken, zum Beispiel für jene der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). “Und auch auf die touristische Wirtschaft der Regionen, das heisst Berner Oberland, Region Interlaken sowie Gstaad und Montreux. Eigentlich sollten alle davon profitieren.”

“Nachhaltige Tourismus-Entwicklung”

Die MOB spricht im Zusammenhang mit dem TransGoldenPass-Projekt von einer “nachhaltigen Tourismus-Entwicklung”. Marketingchef Spirgi präzisiert: “Wir sind ein Unternehmen des öffentlichen Verkehrs, das sich darum bemüht, die Natur zu bewahren.” Als Bahnunternehmen lebe die MOB natürlich auch von dieser Natur.

“Nachhaltigkeit bedeutet für uns dann eben, dass man den Tourismus fördern und die Natur möglichst gleichzeitig bewahren und noch etwas mehr schützen sollte. Wir wollen die Leute darauf aufmerksam machen, wie schön diese Natur ist”, so Spirgi.

Aus der Traum Luzern-Montreux direkt?

Ihren ursprünglichen Traum von einer Direktverbindung Montreux-Luzern ohne Umsteigen kann die MOB trotz TransGoldenPass-Projekt vorerst nicht verwirklichen. Die Zentralbahn (ZB), welche die meterspurige Brünigbahn Interlaken-Luzern betreibt, beobachtet das Projekt zwar mit Interesse. Doch sei ein Einsatz von Zugskompositionen mit den neuen Drehgestellen über die Zahnstangen-Strecke am Brünig aus technischen Gründen vorläufig nicht vorgesehen, heisst es bei der ZB.

Dennoch ist für den MOB-Marketingchef Spirgi das Projekt “auf jeden Fall sinnvoll”. Die Zentralbahn werde 2013 neue Panorama-Züge erhalten. “Da wird die Linie Luzern-Interlaken bereits massiv aufgewertet. Es ist auch so, dass die meisten Leute, die in Interlaken aussteigen, noch einen Ausflug auf das Jungfraujoch machen.”

Deshalb sei es überhaupt nicht schlimm, wenn man nicht direkt durchfahren könne zwischen Luzern und Montreux. “Man kann sich durchaus vorstellen, auch mit diesem Umsteigezwang in Interlaken die Linie gesamthaft vermarkten zu können. Das ist auch unsere Absicht zusammen mit der Zentralbahn.”

Und ab dem Fahrplanwechsel im Winter 2015 sollen sie fahren: die ersten TransGoldenPass-Züge mit den umspurbaren Drehgestellen, von Montreux direkt bis nach Interlaken – in Zweisimmen bitte nicht umsteigen!

Die technischen Pläne für die umspurbaren Drehgestelle wurden von der MOB in Zusammenarbeit mit der Firma Prose AG Winterthur realisiert.

Die wichtigsten Teile des Prototyps produzierte die Firma Alstom AG in Neuhausen.

Die weltweit neue Technologie dieses Drehgestells wurde von der MOB Golden Pass patentiert.

Der Prototyp des Fahrgestells wurde in den technischen Werkstätten Golden Pass in Chernex VD montiert und unter einen existierenden Panoramawagen eingebaut.

Die ersten Testfahrten waren erfolgreich und wurden im Mai 2010 den Bundes- und Kantonsbehörden vorgestellt.

80 Millionen Franken soll das gesamte TransGoldenPass-Projekt kosten.

Rund 20 Mio. Franken sind für die Infrastruktur-Anpassungen in Zweisimmen notwendig. Diese können grundsätzlich durch den Fonds der Infrastruktur von Bund und Kantonen finanziert werden.

Der Rest, das Rollmaterial, muss privat finanziert werden. Diese Mittel können dann über die Amortisierungs-Abgeltungen mit dem Regionalverkehr wieder geltend gemacht werden.

Die öffentliche Hand muss ihr Einverständnis geben, damit man diese Mittel beschaffen darf. Bund und Kantone (die drei Kantone Waadt, Bern und Freiburg, welche die Golden-Pass-Linie durchquert) sowie die Privaten für das Rollmaterial finanzieren also das Projekt.

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