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Schweizer Projekte in Chile nach Beben beschädigt

Lehrerhaus in Paso del Soldado, Chile. Regula Ochsenbein

Nach ersten Räumungsarbeiten gleichen viele chilenische Dörfer nahe des Epizentrums einer Mondlandschaft. In der Katastrophen-Zone liegen auch jene Dörfer, in denen die Schweiz nach dem schweren Beben von 1985 Hilfe zum Wiederaufbau leistete. Ein Augenschein.

Nach dem vorletzten schweren Erdbeben vom März 1985 war die Schweiz eines der ersten Länder, das Nothilfe leistete, und eines der ersten, das Aufbauprojekte in Angriff nahm.

In den Dörfern San Pedro, Litueche, La Estrella, Alhué und Navidad hatte das Schweizerische Katastrophenhilfskorps (SKH) Notunterkünfte, Schulhäuser, Internate und Sanitätsposten errichtet.

Die Dörfer liegen rund 100 bis 150 km südlich von Santiago. Mit öffentlichen Bussen allein sind sie schwierig zu erreichen. Doch mit Glück kommt man per Autostopp weiter oder wird sogar von Fahrzeugen der Gemeinden mitgenommen.

Fünf Wochen nach dem starken Beben zeigt sich vielerorts ein Bild der Zerstörung. Auch viele Häuser, Kirchen und öffentliche Gebäude, die dem Beben von 1985 noch zu trotzen vermochten, brachen nach den Erschütterungen vom Februar in sich zusammen.

Projekte des SKH 1985

Im Dorf Alhué, das unter Heimatschutz steht, hatte das Schweizerische Katastrophenhilfskorps nach 1985 den Bau von Notunterkünften unterstützt. Unter dem Motto “Hilfe zur Selbsthilfe” hatte sich auch die Bevölkerung unter Anleitung lokaler Handwerker an den Projekten beteiligt.

In einer weiteren Etappe wurden unter der Leitung eines SKH-Freiwilligenteams mit einheimischen Handwerkern fünf Schulen, zwei Internate sowie Häuser für Lehrer mit angeschlossenem Sanitätsposten errichtet.

Die Schulen und Internate entsprachen den Normen des Erziehungsministeriums: Betongerüst mit Ziegelsteinen und Satteldach mit Ziegeln oder Wellblech.

Für die Lehrerhäuser und Sanitätsposten wurden luftgetrocknete Lehmziegel mit Strohhalmen (Adobe) verwendet. Die Verstärkung mit Adobe-Pfeilern sollte die Gebäude erdbebensicher machen.

Die damalige Hilfe hatte zwar das Ausmass eines Tropfens auf einem heissen Stein, doch sie hinterliess bleibende Wirkung. Viele Chilenen erinnern sich noch an den für die chilenische Mentalität etwas sturen Schweizer Einsatzleiter. In Litueche hatte der Arzt sein Operationszentrum eingerichtet.

Schäden an Schweizer Projekten

Das Dorfzentrum von La Estrella liegt ein paar Wochen nach dem Beben noch in Trümmern und man wartet auf die Lieferung vorfabrizierter Notunterkünfte. Immerhin, die l985 vom SKH aus Adobe gebaute “Casa del Doctor” ist unversehrt.

In San Pedro und Litueche hingegen herrscht Betriebsamkeit. Ein Grossteil des Schutts ist mit Baggern und der Hilfe von Soldaten bereits weggeräumt worden. Weil die Nachfrage nach vorfabrizierten Notunterkünften kaum zu befriedigen ist, ergriffen die Gemeindeverwaltungen die Initiative.

Nach dem Konzept des SKH kauften sie in der Gegend Baumaterial ein, um zusammen mit den Obdachlosen und von der Gemeinde bezahlten Handwerkern Notunterkünfte zu bauen. Das Material kann später für den endgültigen Aufbau wieder verwendet werden.

Gegenüber dem Gemeindehaus befinden sich die vom SKH damals finanzierte Schule und das Internat. Beide Gebäude haben die Katastrophe vom Februar gut überstanden – im Unterschied zu einer kürzlich eingeweihten Schule und einer Bibliothek, die nun abbruchreif sind.

Arbeiter reparieren im Eiltempo beschädigte Schlaf- und Klassenzimmer. Laut Vorarbeiter José Herrera sind die Schäden auf Konstruktionsfehler zurückzuführen. Nur mit Zement an die Betongerüste befestigte Ziegelsteinwände müssen herausgebrochen und sollen durch Holz ersetzt werden. Die Kosten übernimmt die Versicherung der Gemeinde.

Neben dem Gemeindehaus von Litueche stappeln sich Baumaterial und PVC-Rohre für die neue Wasserversorgung. Die junge Architektin der Gemeindeverwaltung gibt Anweisungen für ihr Pilotprojekt: eine verhältnismässig luxuriöse Notunterkunft von 3 auf 6 Meter aus Holz, die aussen mit Eternit isoliert wird.

Grosse Schäden in Paso del Soldado

Im dem 18 km von Litueche entfernten Paso del Soldado – es liegt nur 2 km von der Küste entfernt – sind Arbeiter daran, die von der Schweiz finanzierte Schule zu reparieren. Für die 16 Schüler der 1. bis 6. Primarklasse mit einem einzigen Lehrer begann das Schuljahr in einem Gemeindelokal neben der einsturzgefährdeten Kapelle.

Viele Fensterscheiben fehlen. Das ganze Dach ist abgedeckt. Nach der Verstärkung des Dachgerüsts werden die Kolonialziegel durch Wellblech ersetzt. Die Reparatur bezahlt der Besitzer einer naheliegenden Hacienda.

Doch das Lehrerhaus aus Adobe ist unbewohnbar. Das schwere Ziegeldach stürzte in der Mitte ein und brach die Hausstruktur auseinander. Zudem wurde das Haus aus den Angeln gerissen. Schon bei einem leichten Nachbeben, die sich fast täglich ereignen, bewegen sich alle Innenwände, und auf dem Holzboden geht man wie auf Watte.

Jede Nacht gesellen sich zu den Bewohnern einer neuen Siedlung auch Familien, die nicht mehr in ihren prekären Unterkünften an der Küste schlafen wollen. Sie verdienen sich den Unterhalt mit dem Sammeln von Algen.

Mit dem Erdbeben hat sich die Küste in der Gegend mindestens zwei Meter angehoben und ein Teil des Strandes ist im Meer verschwunden.

Bei der abseits des Dorfes La Estrella gelegenen Schule von San Miguel zeigen sich dieselben Probleme: Abgesehen vom Dach erlitt das Schulhaus keinen Schaden. An dieser Schule wird mangels Schülern seit 8 Jahren nicht mehr unterrichtet. Das Schulhaus wurde bis vor kurzem an eine Strassenbaufirma vermietet. Heute beherbergen die Klassenräume eine obdachlose Familie.

Vor dem Erdbeben wohnte die Familie im nunmehr unbewohnbaren Lehrerhaus, das einmal pro Monat auch die Funktion eines Sanitätspostens hatte. Zwar stürzte das Dach nicht ein, aber es wurde wie dasjenige in Paso del Soldado aus der Grundfestung gerissen.

Fazit der Gemeinden

Keine der Gemeinden macht die Schweiz für die Erdbebenschäden an den Bauten von 1985 verantwortlich. Für eine Generation leisteten die Gebäude ihren Dienst. Nur Pressesprecher Víctor Gaete von Litueche meint, dass es nicht die beste Idee war, mit Adobe zu experimentieren. Nach dem Mega-Erdbeben müssten die Bauvorschriften für öffentliche Gebäude neu überdacht werden.

Die Schweizer Botschaft hat nach dem Beben vom Februar zahlreiche Hilfsgesuche von Gemeinden erhalten. Die Gemeindepräsidenten jener Dörfer, die 1985 von der Schweiz unterstützt wurden, haben sich bisher nicht gemeldet.

Nur ein Handwerker aus La Estrella erinnerte sich noch an die enge Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Schweizer Einsatzleiter und griff aus eigener Initiative zum Telefon.

Das SKH konzentriert sich im Moment ausschliesslich auf die Soforthilfe.

Regula Ochsenbein, Santiago de Chile, swissinfo.ch

Das Erdbeben vom Februar 2010 ist das schwerste seit 50 Jahren.

Es richtete in sechs Landesregionen grossen Schaden an. Drei Regionen wurden zum Katastrophen-Gebiet erklärt.

Die Schweizer Botschaft in einem modernen Hochhaus erlitt ebenfalls Schäden.

Die Schweiz schickte ein Sofort-Einsatzteam zur Abklärung und Einleitung von Sofortmassnahmen.

Auf Wunsch der Regierung arbeiten vier Experten im Bereich Gebäudesicherheit an der Schadenabklärung öffentlicher Infrastruktur.

Für 400 obdachlose Familien (ca. 2000 Personen) werden grosse Notunterkünfte (Albergues) mit Trinkwasser-Versorgung und sanitären Einrichtungen in der VIII. Region erstellt.

15 Grosszelte stehen als Provisorium für zerstörte öffentliche Gebäude zur Verfügung.

Die bisherige Soforthilfe der Schweiz beträgt ca. 1 Mio Franken.

Nach dem schweren Nachbeben vom 11. März soll ein stärkeres noch bevorstehen.

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