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Sind die Menschen in der Schweiz schön genug?

Dennis Stock/Magnum Photos

Die Schönheitsindustrie boomt. Aber was ist Schönheit im Zeitalter von Botox-Spritze, Skalpell und digitaler Bildbearbeitung? Dieser Frage gehen zwei Ausstellungen in zwei Museen in Bern nach.

«Schönheit liegt im Auge des Betrachters», lautet eine alte Weisheit. Angesichts des Milliardenmarktes, den der Wirtschaftszweig zur Verschönerung des menschlichen Körpers darstellt, drängt sich eine Neuformulierung des Ausspruchs auf: «Schönheit liegt im Geldbeutel der Verschönerungs-Industrie» oder so ähnlich.

Von der Anti-Aging-Crème bis zum plastischen Eingriff: Die Branche profitiert vom zunehmenden Drang der Menschen, gut, sprich jünger auszusehen und so dem Tribut des fortschreitenden Alters ein Schnippchen zu schlagen.

Die Schweizer Bevölkerung kauft pro Jahr knapp 65 Tonnen Kosmetika für Haut und Haar. Allein für die Gesichtspflege gibt sie 400 Mio. Franken jährlich aus.

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Wer ist am Schönsten?

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht In der Ausstellung «Bin ich schön?», die im Kommunikations-Museum und im Naturhistorischen Museum in Bern zu sehen ist, sind keine Spiegel zu finden. Stattdessen werden die Besucher aufgefordert, die innere Schönheit zu finden. Eine Zusammenstellung von Fotos durch die Bildredaktion von swissinfo.ch zeigt, dass der Spiegel aus unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken ist.

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Provokation zum Nachdenken 

«Bin ich schön?» lautet der Titel einer Ausstellung, die zwei Museen in Bern zeigen. «Ursprünglich hatte der Titel ‹Was ist Schönheit?› gelautet. Aber wir haben ihn geändert, weil wir die Besucherinnen und Besucher mit einer persönlichen Frage direkt ansprechen wollten», sagt Kurt Stadelmann, Kurator im Museum für Kommunikation. Dieses beherbergt den Hauptteil der Ausstellung, während ein kleinerer Teil im benachbarten Naturhistorischen Museum gezeigt wird.

«Die Frage an die Zuschauer, ob sie gut aussehen, ist ein bisschen provokativ. Aber wir hoffen, dass diese in der Ausstellung Antworten finden werden», so Stadelmann weiter. Anstösse dazu soll aber nicht das aus dem Märchen bekannte Spieglein an der Wand liefern, sondern der Blick auf kulturelle Referenzen wie Tiere, Puppen oder Models, die auf Titelbildern von Magazinen strahlen. Zu sehen sind auch etwa eine Statue der Jungfrau Maria oder ein Propagandafilm der Nazis über den «perfekten» Körper des männlichen Athleten.

Die Ausstellung ist aber nicht auf die Vergangenheit fokussiert, sondern atmet den Zeitgeist ein. In der Schweiz hat die Zahl der plastischen Chirurgen, ob im Bereich Wiederherstellung nach einem Unfall oder Schönheit, in den letzten Jahren stetig zugenommen. 1980 gab es im Land erst 24 plastische Chirurgen. Im Jahr 1990 waren es schon deren 44, und heute sind 135 Spezialisten in dieser Domäne registriert, Tendenz weiter steigend.

Schönheits-Spezialist mit Skalpell 

Aus welchem Grund aber wollen Menschen in der Öffentlichkeit anders aussehen? «Sie wollen nicht in erster Linie ihr Aussehen ändern, sondern einfach besser und schöner aussehen», sagt Daniel Knutti, ein plastischer Chirurg aus Biel, der seit 1988 seine eigene Praxis betreibt. «Oder sie fühlen sich besser, wenn sie die schönen Partien ihres Körpers noch mehr betonen.»

In den letzten zehn Jahren sei vor allem die Zahl der Brustvergrösserungen angestiegen, so Knutti. «Ich mache auch eine ganze Reihe von Face-Liftings. Aber die Patienten, die dies machen lassen, liegen am anderen Ende der Altersskala.» Vor allem Frauen wünschten sich eine straffere Gesichtshaut, sie bilden auch die grosse Mehrheit seiner Kunden. Männer dagegen machen nur 10 bis 15% seiner Patienten aus.

«Frauen sind in Bezug auf das Aussehen der Männer toleranter als umgekehrt», sagt der Spezialist. Ein Mann könne auch dann noch das Interesse jüngerer Frauen wecken, wenn er graue Haare und Fältchen im Gesicht habe.

Aber gerade was die Straffung der so genannten Krähenfüsse um die Augenpartie betrifft, sind die Männer laut Knutti am Aufholen. «Sie sehen tatsächlich besser aus, vor allem jünger und dynamischer, ohne dass dadurch ihr persönliches Erscheinungsbild allzu stark verändert wird.»

Zur wachsenden Schar von schönheitsbewussten Männern zählt auch Knutti selbst. Er hat sich eine Straffung der oberen und unteren Augenlider sowie eine Haartransplantation gegönnt.

Was lockt, ist das Andere 

Der Bieler ist Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie sowie der International Society of Aesthetic Plastic Surgery. Aufgrund des Austausches mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt kennt Knutti die Schönheitsideale, die je nach Weltgegend verschieden sind.

«Asiaten wollen mehr Züge von uns Weissen wie etwa betontere Nasenbogen, Augenlider und, was die Frauen betrifft, grössere Brüste», sagt Knutti. Im Westen dagegen würden asiatische, leicht mandelförmige Augen gefallen. Arabische Menschen hätten oft Mühe mit ihrer stärker konturierten Nase.

Nach der Operation sagen ihm seine Patienten oft, dass der Eingriff der plastischen Chirurgie ihr Leben verändert habe.

«Auch wenn die physische Änderung nur eine Geringfügige war, kann sie im Leben des Patienten viel bewirken, weil er oder sie sich sicherer und selbstbewusster fühlt», erzählt Knutti. Dies wiederum wirke sich positiv auf Erfolg und Wohlbefinden aus.

Karrierechancen erhöhen

Solchermassen gewonnenes Selbstbewusstsein kann auch auf die beruflichen Chancen verbessern. Wer sich in der Schweiz für eine neue Stelle bewirbt, fügt dem Lebenslauf oft ein Foto bei, weil er oder sie davon ausgeht, dass dies heute ein Vorteil sei. Ein Foto helfe den Unternehmen tatsächlich, leichter einen ersten Eindruck einer Person zu erhalten, bestätigt José San José von Adecco Schweiz, dem Marktführer in der Vermittlung von Arbeitskräften. Eine generelle Empfehlung dieser Praxis gibt er aber nicht ab.

«Klar spielt auch die Berufsrichtung eine Rolle. Bei einer Bewerbung für eine Tätigkeit in der Produktion ist ein Foto nicht so wichtig. Geht es aber um einen Job im Dienstleistungsbereich, sind die Arbeitgeber froh um ein Foto», sagt San José. Befinden sich in einer engeren Auswahl Kandidaten mit ähnlichen professionellen Qualitäten, könne das Aussehen durchaus den Unterschied ausmachen, sagt San José.

Der schöne Schein 

Bei allen Tipps, welche die Branche der Personalberater und -rekrutierer über das Auftreten bis zu Kleidung und Frisur gibt: Nach wie vor geht nichts über eine gewinnende Persönlichkeit.

«Im Verkauf etwa ist persönliches Charisma wichtiger als das Aussehen», sagt der Adecco-Vertreter. «Jemand kann gross und schlank sein und einen eleganten Anzug tragen, aber immer noch unsympathisch wirken», sagt San José und betont, dass Schönheit eben etwas sehr subjektives sei.

Wichtiger für eine erfolgreiche Karriere seien eine service-orientierte Mentalität, Freundlichkeit und Motivation. Und wichtiger als eine modische Frisur sei es, dass die Haare gut gekämmt seien. «Mit Schönheit machst du nur als Model Karriere», lautet ein Ausspruch San Josés.

Eine der spannendsten Stationen der Ausstellung «Bin ich schön?» ist ein Video, das zeigt, wie aus einer äusserlich sehr durchschnittlichen Person jemand wird, der es mit einem Model aufnehmen kann. Möglich machen dies ein entsprechendes Styling sowie Techniken der digitalen Bildbearbeitung. Besucherinnen und Besuchern wird so vor Augen geführt, dass es kaum Sinn macht, sein eigenes, reales Äussere mit den virtuellen Schönheiten zu vergleichen, die ab einem Plakat oder in einem Hochglanzmagazin prangen.

«Ich bin zufrieden, wenn die Besucher mit der Haltung aus der Ausstellung gehen, ‹ich bin zwar nicht wirklich schön, aber ich bin attraktiv'», sagt Ausstellungsmacher Kurt Stadelmann. «Dies ist der bessere Weg, sich selbst zu sehen. Es ist kein Problem, mit 100 noch attraktiv zu sein. Aber mit 100 noch schön zu sein, ist viel schwieriger!»

Die Ausstellung in Bern ist eine Ko-Produktion des Museums für Kommunikation und des Naturhistorischen Museums.

Sie ist bis zum 7. Juli 2013 geöffnet.

Die beliebtesten Schönheitsoperationen 2010 gemäss International Society of Aesthetic Plastic Surgery:

1 Fettabsaugen: 2’174’803

2 Brustvergrösserungen: 1’506’475

3 Augenlider: 1’085’153

4 Nase: 985’325

5 Geschlechtsteile: 681’344

6 Brustverkleinerung: 549’994

7 Brust-Lifting: 543,848

8 Facelifting: 421’029

9 Ohrenstellung: 242’271

10 Brustverkleinerung Männer: 235’947

(Übertragen aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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