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Die Alpengletscher schmelzen auch an den höchsten Gipfeln

Ein Gletscher an einem Berg
Der Gletscher am Clariden in den Schweizer Zentralalpen im September 2025. Matthias Huss

Die Schweizer Gletscher haben in den letzten zehn Jahren einen Viertel ihres Volumens verloren. Die Zunahme der Hitzewellen und der Rückgang der Schneefälle in den Bergen könnten dazu führen, dass bis Ende des Jahrhunderts fast alle Gletscher der Alpen verschwunden sind.

Der Klimawandel lässt den Schweizer Gletschern keine Verschnaufpause: 2025 ist ihr Volumen um 3% gegenüber dem Vorjahr geschrumpft, so die neuste Bewertung des Schweizer Gletscherbeobachtungsnetzes (Glamos)Externer Link und der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften. Es ist der stärkste Rückgang nach denjenigen in den Jahren 2003, 2022 und 2023.

«Dieses Jahr erwies sich als etwas weniger extrem als wir befürchtet hatten», sagt Matthias Huss, Direktor von Glamos, gegenüber Swissinfo.

«Was mich jedoch trifft und beunruhigt, ist, dass wir uns an diese sehr negativen Jahre ‚gewöhnen‘. Es ist eine neue Normalität, die es aber nicht geben sollte.»

Die Alpen erwärmen sich schneller als der weltweite Durchschnitt, und die Schweizer Gletscher haben seit 2015 ein Viertel ihres Volumens verloren, betont Glamos. Zwischen 2016 und 2022 sind hundert von insgesamt etwa 1400 Gletschern in der Schweiz vollständig verschwunden.

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Temperaturen über 0°C auch auf 5000 Metern Höhe

Der Schneemangel während des letzten Winters hat die diesjährige Schmelze begünstigt. Die Schneeschicht, die Gletscher normalerweise vor der Sommerhitze schützt, war unzureichend. In einigen Regionen Graubündens gehörten die Neuschneemengen laut Glamos zu den niedrigsten, die je beobachtet wurden.

Auch die Hitzewellen im Juni – dem zweitwärmsten seit Messbeginn 1864 – und im August trugen zum Gletscherrückgang bei. «Im Juni war ich mehrmals auf demselben Gletscher: Es ist unglaublich, wenn man sieht, dass die Dicke in etwas mehr als einer Woche um einen Meter abnehmen kann», sagt Huss.

Am stärksten betroffen sind die Gletscher unterhalb von 3000 Metern Höhe. Die Dicke der Gletscher der Plaine Morte im Berner Oberland und der Silvretta in Graubünden ist im Durchschnitt um zwei Meter gegenüber 2024 zurückgegangen.

Auf dem Aletschgletscher, dem grössten der Schweizer Alpen, betrug die Gletscherschmelze in einigen Gebieten sogar mehr als vier Meter.

Jedoch bleiben auch die höher gelegenen Gletscher nicht verschont. Diesen Sommer überstieg die Nullgradgrenze mehrmals die 5000 Meter Höhe.

«Das ist ein neues Phänomen, das wir erst in den letzten Jahren beobachten. Die Gletscherschmelze betrifft auch die höchsten Gipfel», sagt Huss. Nur ein relativ kühler und feuchter Juli, fügt er hinzu, habe ermöglicht, «das Schlimmste zu vermeiden».

Entwicklung der Länge eines Gletschers zwischen 2008 und 2025
Entwicklung der Länge des Rhonegletschers in der Schweiz zwischen 2008 und 2025. Matthias Hus

Gletscher ziehen sich in allen Alpenländern zurück

Der Gletscherrückgang beschränkt sich nicht auf die Schweiz. «Alle Alpengletscher teilen dasselbe Schicksal: einen Rückzug der Gletscherzunge und eine Verringerung von Fläche und Dicke, auch an den nach Norden exponierten Hängen», sagt Vanda Bonardo, Verantwortliche der «Carovana dei ghiacciai», gegenüber Swissinfo.

Diese in Italien entstandene Wanderkampagne hat zum Ziel, die Alpengletscher zu überwachen und für die Auswirkungen des Klimawandels zu sensibilisieren. Die «Gletscherkarawane» besuchte im Sommer 2025 acht Gletscher in Italien, der Schweiz und Deutschland.

Die Entwicklung des Adamello-Gletschers in der Lombardei, des grössten Italiens, ist besonders bedeutsam, so Bonardo. «Verglichen mit dem Besuch vor zwei Jahren hat er sich vollständig verändert: Die Gletscherzunge ist gebrochen und die Länge hat um einige hundert Meter abgenommen.»

In den letzten 60 Jahren haben die italienischen Alpen eine Eisfläche von über 170 km2 verloren, was der Oberfläche des Comersees entspricht, gibt die «Carovana» in ihrer letzten Bilanz anExterner Link.

Aufgrund der Klimaerwärmung scheint auch das Schicksal der 93 Gletscher in Österreich besiegelt. «In 40 bis 45 Jahren wird ganz Österreich praktisch eisfrei sein», sagte letztes Jahr der Verantwortliche des nationalen Gletschermessdiensts, Andreas Kellerer-Pirklbauer.

Die Mer de Glace, der grösste Gletscher in Frankreich, oberhalb von Chamonix gelegen, zieht sich seit 2003 durchschnittlich um 30 Meter pro Jahr zurück.

Wenn die globalen Temperaturen weiterhin nach den aktuellen Kurven steigen, wird sich das Gletschervolumen bis 2100 um 80% reduzieren, prognostiziert die Universität Grenoble-Alpes.

In Deutschland bereitet vor allem der Permafrost, die permanent gefrorene Bodenschicht, Sorgen. Sie könnte innerhalb von fünfzig Jahren vollständig verschwinden und die Instabilität der Berghänge verstärken.

Berge instabiler ohne Gletscher

Der Rückzug der Gletscher verändert nicht nur die alpine Landschaft tiefgreifend, mit Auswirkungen auf den Tourismus, sondern hat auch Folgen für den Wasserkraftsektor.

In Zukunft werden Anpassungsmassnahmen notwendig sein, da der Wasserfluss, der die künstlichen Stauseen in den Bergen füllt, immer mehr von direkten Niederschlägen und der Schneeschmelze abhängen wird, und nicht mehr von der Gletscherschmelze.

Was Expertinnen und Experten beunruhigt, ist nicht nur die Abnahme der Gletschermenge, es sind auch die damit verbundenen Risiken. «Der fortschreitende Rückzug der Gletscher destabilisiert den Berg, was Ereignisse wie den Einsturz von Felswänden und Eismassen verursachen kann. Das hat die Zerstörung des Dorfs Blatten verursacht», sagt Huss von Glamos.

Im Mai 2025 hat der Einsturz des Birch-Gletschers einen grossen Teil des Bergdorfs Blatten im Kanton Wallis begraben:

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Blatten, ein Modell für das Management von Naturgefahren

Blatten ist jedoch nicht nur ein Sinnbild für die verheerenden Auswirkungen, die das Schmelzen der Gletscher und des Permafrosts in den Alpen verursachen kann.

Für Vanda Bonardo ist es auch ein Modell im Bereich des Naturgefahrenmanagements. Es sei der Beweis dafür, dass Forschung und Überwachung dazu beitragen, das Risiko zu vermindern, sagt sie.

In Blatten ermöglichten die Technologien zur Beobachtung von Naturgefahren – zum Beispiel Kameras und Radargeräte – den Behörden, die Bevölkerung vor dem Gletscherabbruch in Sicherheit zu bringen.

Die «Gletscherkarawane» und andere Organisationen, darunter Pro Natura in der Schweiz, fordern eine Verbesserung der Gletscherüberwachung in Europa und die Entwicklung einer Governance für die Verwaltung der alpinen Umwelt.

Um die Gletscher zu erhalten, gibt es jedoch nur ein Rezept, sagt Bonardo: «Wir müssen die Treibhausgasemissionen reduzieren. Alles andere sind nur palliative Massnahmen.»

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Editiert von Balz Rigendinger, Übertragung aus dem Italienischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub

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