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Kriegsmaterialexporte als steter Skandalherd

RDB/ASL

Oerlikon-Bührle, Pilatus, Mowag: Die Namen der Schweizer Unternehmen aus der Rüstungsindustrie wurden in der Vergangenheit auch zu Synonymen für Skandale. Kein Wunder, taucht das Thema Waffenausfuhr regelmässig auf der politischen Agenda auf.

Zum dritten Mal seit 1972 stimmt die Schweizer Bevölkerung am 29. November über ein Verbot von Kriegsmaterialexporten ab.

1968 platzte die Affäre Oerlikon-Bührle, die sich zu einem der grössten Skandale der Geschichte der Schweizer Kriegsmaterialexporte auswuchs.

Mitten im Biafra-Krieg erfuhr die Weltöffentlichkeit, dass Flugzeuge des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) mit Kanonen beschossen wurden, die aus…der Schweiz stammten. Konkret: aus Zürich-Oerlikon. Angesichts der Bilder von verhungernden Kindern aus dem nigerianischen Kriegsgebiet löste die Nachricht in der Öffentlichkeit heftige Reaktionen aus.

Die Gesetzeslage ist klar: Waffenexporte in Länder, die Krieg führen, sind verboten. Um das Verbot zu umgehen, hatte Oerlikon-Bührle die Exports-Zertifikate gefälscht. Dafür wurde 1970 Dieter Bührle, Chef des Unternehmens, verurteilt.

Recherchen der Medien ergaben, dass Bührle Waffen auch an das damalige Apartheidregime in Südafrika geliefert hatte, und das ab 1963.

Es stellt sich die Frage nach der Verantwortung der Schweizer Regierung. Seit 1938 ist sie nämlich dafür verantwortlich, die Waffenausfuhren zu überwachen. Das schreibt ihr die Bundesverfassung vor.

Um den Schleier über die Beziehungen von Regierung und Rüstungsfirmen in der Schweiz zu lüften, lancierten pazifistische Kreise eine erste Initiative zum Verbot der Waffenausfuhr.

1972, voll unter dem Eindruck des Vietnamkrieges, stimmten überraschend 49,7% für das Verbot. Mit anderen Worten: der Status quo blieb nur dank einer hauchdünnen Mehrheit von 50,3% Nein-Stimmen bestehen.

“Verletzung der Neutralität”

Die Frage war aber alles andere als neu. Bereits in der Zwischenkriegszeit standen Rüstungsexporte auf der politischen Agenda. Damals hatte die Schweizer Regierung versucht, deutsche Rüstungshersteller anzulocken.

Diese waren aufgrund des Versailler Vertrages gezwungen, ihr Knowhow zu exportieren, in Deutschland war jegliche Waffenproduktion untersagt.

Im Bergier-Bericht zu den Verbindungen der Schweiz zu Hitler-Deutschland kamen die Historiker zum Schluss, dass die Schweiz wesentlich weniger zur Wiederaufrüstung Deutschlands beigetragen hatte als Schweden, Holland oder gar die Sowjetunion.

Hingegen wiesen sie nach, dass die hiesige Waffenindustrie die schweizerische Neutralität wiederholt verletzt, und dabei “exorbitante Gewinne” eingefahren hatte.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges musste sich die Schweiz deswegen massivste Kritik der allierten Siegermächte anhören. Als Folge der Standpauke verbot der Bundesrat die Waffenexporte wieder ausdrücklich.

Aber nicht für lange. Schon 1949 kehrte die Regierung, trotz Protesten der Linken und Pazifisten, zur alten Praxis zurück: Der Kalte Krieg liess die Nachfrage steigen, die Schweiz lieferte fleissig, grossmehrheitlich an nicht-kommunistische Länder.

Die Affären Pilatus

Damals flog auch die erste Pilatus-Affäre auf. Das Nidwaldner Unternehmen, zu dessen Gründern auch die Familie Bührle gehörte, ist spezialisiert auf einmotorige Propellerflugzeuge.

1978 wies ein kritisches Magazin nach, dass der PC-6, den Pilatus als Trainingsflugzeug verkaufte, sehr leicht umfunktioniert werden konnte: An vorhandenen Aufnahmepunkten unter den Tragflächen liessen sich problemlos Bomben anbringen, und fertig war das leichte Kampfflugzeug.

“Bern wies dies anfänglich zurück. Nach weiteren Enthüllungen stellte sich der Bundesrat dann auf den Standpunkt, dass dies kein Verstoss gegen schweizerisches Gesetz sei”, sagt Jean-Marie Pellaux, der an der Universität Freiburg eine Lizentiatsarbeit zum Thema schrieb.

Der Fall zeige einmal mehr die Widersprüchlichkeit, mit der die Schweizer Regierung das Problem der Waffenexporte handhabe. Die Pilatus-Flugzeuge zögen seit 30 Jahren sozusagen eine diabolische Spur an den Himmel.

Wegen des moderaten Kaufpreises erhielt der PC-6 rasch den Übernamen “Bomber der Armen”. Eine Kurzübersicht über die Einsätze: 1962 durch den US-Geheimdienst CIA in Laos. Danach Burma, Guatemala, Mexiko, Chile, Bolivien und Nigeria. Jüngst tauchten Pilatus-Trainingsflugzeuge am Himmel über dem Irak, Südafrika sowie Darfur (Sudan) auf.

“Die Diskussionen um die Pilatus-Affäre sind deshalb interessant, weil heute exakt dieselben Argumente wieder auftauchen”, so Pellaux. Etwa, dass der Rüstungsindustrie bei einem Ausfuhrverbot ein Knowhow-Verlust drohe. Oder dass die Schweizerische Autonomie der Waffenfähigkeit verschwinden würde. “Auch die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen taucht wieder auf”, sagt Jean-Marie Pellaux.

Grauzone

Die Pilatus-Skandale über alle die Jahre haben auf dem politischen Parkett zu zahlreichen Initiativen geführt. Aber noch im vergangenen Dezember wies die Mehrheit des Nationalrats (grosse Kammer) zurück, die Trainingsflugzeuge dem Kriegsmaterialgesetz zu unterstellen, um Exporte in Konfliktzonen zu verhindern.

Gemäss Presseberichten lieferte die Ruag, ein Unternehmen, an dem der Bund eine Mehrheitsbeteiligung besitzt, Handgranaten an Grossbritannien, die im Jahr 2000 in Irak eingesetzt wurden.

Oder Mowag-Schützenpanzer, die zwar 2004 an die Vereinigten Arabischen Emirate und 2007 nach Rumänien geliefert wurden, schliesslich aber in Marokko, Irak und Afghanistan zum Einsatz kamen. Ingesamt listen die Initianten auf ihrer Webseite rund 100 Skandale in Zusammenhang mit dem Kriegsmaterialgesetz auf.

Zwar müsse man definieren, was ein Skandal sei und was nicht, so Pellaux. Aber es gebe eine problematische Grauzone zwischen dem Gesetz und dessen Handhabung. Die Schweizer Stimmbevölkerung sah das 1997 bei der zweiten Abstimmung nicht so: Die Initiative der Sozialdemokratischen Partei für ein Verbot der Waffenausfuhr erlitt mit 77,5% Nein Schiffbruch.

Carole Wälti, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)

Beim Bundesbeschluss über die Volksinitiative “Für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten” handelt es sich um eine Verfassungsänderung.

Eine Annahme der Vorlage durch das Volk setzt deshalb am 29. November ein doppeltes Ja, also die Mehrheit von Volk und Ständen voraus.

Im 1. Halbjahr 2009 sind die Schweizer Kriegsmaterial-Exporte leicht zurückgegangen.

Sie hatten einen Umfang von 331,4 Mio. Franken. Das sind 16 Mio. Franken weniger als in der Vorjahresperiode, wie der Statistik der Eidgenössischen Zollverwaltung zu entnehmen ist.

Die Exporte hatten im Jahr 2008 mit Waffen im Wert von 722 Mio. Franken ein Allzeithoch erreicht.

Die Waffenexporte gingen in 72 verschiedene Länder. An der Spitze lag Pakistan mit 110 Mio. Franken.

Im 1. Halbjahr 2009 gehörten Deutschland (62 Mio.), Dänemark (56,5 Mio.) und Saudi-Arabien (34 Mio.) zu den grössten Abnehmern.

Das Begehren der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GsoA) von 2007 wurde von 109’000 Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnet.

Sie verlangt das Exportverbot von Schweizer Rüstungsgütern.

Konkret geht es um Kleinkaliberwaffen und Munition sowie militärische Trainingsflugzeuge, aber auch ausgemustertes Material der Schweizer Armee.

Jagd- und Sportwaffen und Entminungsgeräte sind vom Verbot ausgenommen.

Die öffentliche Hand ist dafür zuständig, allfällige ökonomische Einbussen in denjenigen Regionen auszugleichen, wo betroffene Waffenunternehmen ansässig sind. Das betrifft Nidwalden, Zürich, Thurgau, Bern und Luzern

Der Bundesrat empfiehlt, die Initiative abzulehnen.

Gleichzeitig präzisierte in der Kriegsmaterial-Verordnung die Kriterien erlaubte Waffenexporte.

Ist das Zielland in einen bewaffneten Konflikt involviert oder verletzt es das humanitäre Völkerrecht, sind Waffenexporte nicht erlaubt.

Die Waffenausfuhr ist auch dann verboten, wenn das Zielland zu den ärmsten Nehmerländern zählt, die Waffen gegen die eigene Bevölkerung einsetzen sowie an ein anderes Land weiterverkaufen könnten, in das Waffenexporte gemäss Schweizer Recht verboten sind.

Gemäss GsoA genügen diese Einschränkungen nicht, um zu verhindern, dass Schweizer Waffen in Kriegsgebieten eingesetzt werden.

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