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Daten zu Leben und Werk Elias Canettis

Der Schriftsteller Elias Canetti blieb lange Zeit ein Geheimtipp. Bekannt wurde er erst in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts.

Canetti verbrachte die meiste Zeit seines Lebens im Exil: In England, Österreich, Deutschland und der Schweiz.

1905 25. Juli: Elias Jacques Canetti wird in Rustschuk (Ruse) an der bulgarischen Donaumündung geboren. Ältester Sohn des Kaufmanns Jacques Elias (Elieser) Canetti und von Mathilde, geborene Arditti, die gleichfalls aus einer Kaufmannsdynastie stammt. Die Sprache seiner Kindheit ist das alte Spanisch der Sepharden, Ladino. Canetti bleibt auch nach der bulgarischen Unabhängigkeit vom osmanischen Reich 1908 tür-kischer Staatsbürger.

1911 Umzug der Familie nach Manchester. Canettis zweite Sprache ist das Englische, er wird eingeschult und lernt lesen.

1912 8. Oktober: Plötzlicher Tod des Vaters.

1913 Übersiedlung nach Wien. Auf dem Weg dorthin verbringen sie die drei Sommermonate in Lausanne. Canetti lernt hier von der Mutter Deutsch.

1916 Aufgrund der immer schlechter werdenden Versorgungslage in Wien Zusammenbruch und Sanatoriumsaufenthalt Mathilde Canettis. Die Familie zieht nach Zürich.

1919 Mathilde Canetti kehrt nach Wien zurück, ihre jüngeren Söhne kommen in ein Pensionat in Lausanne. Elias Canetti bleibt allein in Zürich in der Villa Yalta, einem Mädchenpensionat, um weiterhin das Gymnasium besuchen zu können.

1921 Seine Mutter zwingt ihn, die Kantonsschule verlassen. Er soll seine letzten Schuljahre in Frankfurt am Main verbringen, im inflationsgeschüttelten Nachkriegsdeutschland.

1924 Abitur. Canetti geht nach Wien, nimmt das Studium der Chemie auf und betreibt ein umfassendes autodidaktisches Bildungsprogramm. 17. April: Besucht zum ersten Mal eine Vorlesung Karl Kraus’, unter dessen Einfluss er in den nächsten Jahren als verehrungsvoller Jünger steht. Auf dieser Veranstaltung lernt er Venetiana Taubner-Calderon kennen.

1927 6. Mai: Canetti bezieht ein Zimmer in der Hagenberggasse 47 in Hacking (XIII. Bezirk). Hier beendet er sein Studium, schreibt Die Blendung, Hochzeit und beginnt die Komödie der Eitelkeit. 15. Juli: Der Wiener ‚blutige Freitag’, «vielleicht seit dem Tode meines Vaters» der «einschneidendste» Tag in Canettis Leben: Auf einer Massendemonstration gegen ein skandalöses Gerichtsurteil – an der er teilnahm – wird der Justizpalast in Brand gesetzt; die Polizei schlägt die Demonstration blutig nieder.

1928 Juli – Sept.: Er verbringt den Sommer in Berlin. Mitarbeiter des Malik-Verlegers Wieland Herzfelde; er übersetzt drei Bände von Upton Sinclair und wird damit zum professionellen Literaten.

1929 14. Juni: Abschluss des Chemiestudiums, Promotion.

1930 Konzeption eines achtbändigen Zyklus von Romanen einer «Comédie humaine an Irren». Canetti beginnt mit der Ausarbeitung des ersten Bandes, Die Blendung.

1931 Sept.: Canetti beendet Die Blendung. Unter dem Eindruck von Büchners Woyzeck beginnt er um die Jahreswende mit der Niederschrift des Theaterstücks Hochzeit.

1932 Hochzeit erscheint als Bühnenmanuskript bei S. Fischer in Berlin.

1934 Canetti beendet die Komödie der Eitelkeit. Drama in drei Teilen. Heirat mit Veza Taubner. Canetti gilt als staatenlos, Vezas jugoslawische Staatsangehörigkeit erlischt durch die Heirat.

1935 Veza und Elias Canetti ziehen in die Himmelstraße 30 nach Grinzing. 17. Okt.: Die Blendung erscheint im Reichner Verlag, auf 1936 vordatiert.

1937 15. Juni: Mathilde Canetti stirbt in Paris. Schwere psychische Krise Elias Canettis.

1938 12. März: Einmarsch deutscher Truppen in Österreich. Hitler proklamiert am 15. März auf dem Heldenplatz den «Anschluss» mit einer triumphalen, bejubelten Rede. 2. Sept.: Veza und Elias Canetti müssen ihre Wohnung verlassen und werden in einer Pension einquartiert. 19. Nov.: Nach der «Reichskristallnacht» (9./10.11.) fliehen die Canettis zu Verwandten nach Paris, von dort aus weiter nach London.

1941 Umzug nach Chesham Bois und Amersham; eine Park-Idylle, eine knappe Stunde von der Londoner Innenstadt entfernt.

1942 Canetti schreibt bis zu seinem Tod fast täglich «Aufzeichnungen»; Vorformen reichen bis in die Mitte der zwanziger Jahre zurück. Er beteiligt sich an einigen politisch-literarischen Vereinigungen von Emigranten.

1946 Die Blendung erscheint in London unter dem Titel Auto da Fé und wird ein großer Erfolg; amerikanische (1947) und französische (1949) Ausgaben folgen. Britische Staatsbürgerschaft.

1948 Zweite Ausgabe der Blendung im deutschen Sprachraum, bei Willi Weismann in München; das literaturkritische Echo bleibt zwiespältig.

1949 Auf Vermittlung Raymond Queneaus: «Grand Prix International du Club Français du Livre».

1950 Die Erstausgabe der Komödie der Eitelkeit wird gedruckt, wegen des Bankrotts des Weismann Verlages aber nicht mehr ausgeliefert.

1952 Ausarbeitung des Dramas Die Befristeten.

1954 Dreiwöchige Reise nach Marrakesch als Begleiter eines Filmteams. In London schreibt Canetti «Aufzeichnungen nach einer Reise» nieder, später als Die Stimmen von Marrakesch veröffentlicht. Canettis ziehen in die Thurlow Road 8 in Hampstead.

1956 5. Nov.: Uraufführung Die Befristeten durch die Oxford Playhouse Company unter dem Titel The Numbered.

1960 Canettis anthropologisches Hauptwerk Masse und Macht erscheint im Hamburger Claassen Verlag. Das öffentliche Echo ist bescheiden. Erst durch die englische Übersetzung Crowds and Power (1962) kommt es allmählich zur weltweiten Wirkung.

1963 1. Mai: Veza Canetti stirbt in einer Londoner Klinik. Okt.: Die dritte deutsche Ausgabe der Blendung erscheint im Hanser Verlag, seitdem Canettis Verlag. Zum ersten Mal ist der Roman im deutschen Sprachraum ein Erfolg. Dez.: Die Restauratorin Hera Buschor, die er Mitte der fünfziger Jahre in London kennengelernt hat, rettet Canetti aus einer Depression. Seit 1960 arbeitet sie im Kunsthaus Zürich; in den nächsten Jahren pendelt er zwischen der Thurlow Road und Buschors Wohnung in der Zürcher Englischviertelstrasse 71.

1964 Die Dramen Canettis erscheinen parallel in Einzelausgaben und in einem Band, Die Befristeten zum ersten Mal.

1965 Canetti publiziert erstmals einen Band Aufzeichnungen: Aufzeichnungen 1942-1948. 6. Febr.: Uraufführung der Komödie der Eitelkeit am Staatstheater Braunschweig. 3. Nov.: Uraufführung von Hochzeit am Staatstheater Braunschweig. Premieren-Skandal und anonyme Anzeige wegen «Erregung öffentlichen Ärgernisses».

1966 Erste österreichische Ehrung: Literaturpreis der Stadt Wien.

1967 10. Nov.: Deutschsprachige Uraufführung der Befristeten im Wiener Theater in der Josefstadt.

1968 Die Stimmen von Marrakesch erscheint. Im Mai erlebt Canetti die protestierenden Studenten in Paris. Großer österreichischer Staatspreis.

1969 Essay: Der andere Prozeß. Kafkas Briefe an Felice.

1970 Korrespondierendes Mitglied der Berliner Akademie und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

1971 Heirat mit Hera Buschor in London.

1972 Geburt der Tochter Hera und Elias Canettis. Die Familie zieht in die Klosbachstrasse 88 in Zürich. Verleihung des Georg Büchner-Preises. Die gespaltene Zukunft. Aufsätze und Gespräche erscheint.

1973 Sammlung der bisher erschienenen Aufzeichnungen: Die Provinz des Menschen. Aufzeichnungen 1942-1972.

1974 Der Ohrenzeuge. Fünfzig Charaktere.

1975 Herausgabe der gesammelten Essays, Das Gewissen der Worte. Die Universität Manchester verleiht ihm den ersten Dr. h.c., für eine Lesung des Ohrenzeugen auf Schallplatte erhält er den Deutschen Schallplattenpreis. In den Siebzigern große Lesereisen durch ganz Europa.

1976 27. Jan.: Ehrendoktor der Ludwig Maximilians-Universität München; Dankrede: Der Beruf des Dichters.

1977 Im Frühjahr erscheint der erste Band von Canettis Autobiographie, die sofort zum Bestseller wird: Die gerettete Zunge. Geschichte einer Jugend. 19. Dez.: Erster schweizerischer Literaturpreis: Gottfried Keller-Preis.

1979 Verleihung des Ordens «Pour le Mérite (Friedensklasse)».

1980 Zweiter Band der Autobiographie: Die Fackel im Ohr. Lebensgeschichte 1921 – 1931.

1981 Canetti nimmt seinen letzten ‚normalen’ Literaturpreis an, den Kafka-Preis. 10. Dez.: Verleihung des Nobelpreises für Literatur, «für ein schriftstellerisches Werk geprägt von Weitblick, Ideenreichtum und künstlerischer Kraft». Die kommenden Jahre lebt Canetti zurückgezogen, er verweigert Interviews und Autorenlesungen.

1985 Dritter Band der Autobiographie: Das Augenspiel. Lebensgeschichte 1931 – 1937.

1987 Das Geheimherz der Uhr. Aufzeichnungen 1973-1985.

1988 29. April: Tod Hera Canettis. Elias Canetti löst seine Wohnung in London auf, um ganz bei seiner knapp sechzehnjährigen Tochter zu sein; er behält die englische Staatsbürgerschaft.

1992 Die Fliegenpein erscheint, der einzige frei komponierte Aufzeichnungsband ohne Nachweis der Entstehungsjahre. Als erster Band der zehnbändigen Gesamtausgabe erscheint Die Blendung, der letzte Band wird 2005 veröffentlicht.

1994 14. August: Elias Canetti stirbt in Zürich; er wird in einem Ehrengrab neben dem Grab von James Joyce bestattet. Nach seinem Tod erscheinen weitere Aufzeichnungsbände, die er noch selbst zusammengestellt hat: Nachträge aus Hampstead (1994), Aufzeichnungen 1992-1993 (1996), Aufzeichnungen 1973-1984 (1999).

Quelle: Strauhof Zürich, Ausstellung «Das Jahrhundert an der Gurgel packen»

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