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Der den Tod nicht fürchtet

Maurice Béjart ist 75 geworden. Keystone

Er ist einer der ganz grossen Choreografen des 20. Jahrhunderts. Am 1. Januar wird der in Lausanne arbeitende Franzose Maurice Béjart 75 Jahre alt.

Ein Meister, ein Guru, und manchmal ein intriganter König. Das sei Béjart, sagen Mitglieder seiner 1987 gegründeten Kompanie in Lausanne. Ein wandelndes Lexikon sei er, der mit einem immensen Allgemeinwissen sowie mit Kultur- und Sprachkenntnissen besteche. Dies alles und noch viel mehr fliesst in sein Schaffen ein: Gesang, japanischer Kampfsport, atonale Musik, Theater, Modern Dance.

Dass der gebürtige Franzose aus Marseille dazwischen als alleinherrschender König auftritt, dessen Fussvolk nach seiner Pfeife zu tanzen hat, wird ihm grosszügig verziehen. Zu schwer wiegt, was die Tänzer und Tänzerinnen ihm verdanken – und nicht nur sie. Auch dem Publikum hat er nichts weniger als eine Revolution des Tanzes geschenkt.

Eine neue Ästhetik

Die Revolution war zweierlei: Eine neue Technik und eine neue Ästhetik. Bereits in den sechziger Jahren verzichtete Béjart auf traditionelle Ballett-Kleidung. Er steckte seine Tänzer frech in Strumpfhosen und Jeans. Damit schockierte er das Bildungsbürgertum, und bewies zugleich seine geistige Nähe zur Popkultur.

Mit seinem Ensemble «Ballet du XXe siècle» sprengte er die Formeln des (neo-) klassischen Balletts aber auch technisch auf, und erweiterte sie um Sinnlichkeit, Leidenschaft, Körperlichkeit.

Auf die Bühne kamen grosse Gesten, spektakuläre und manchmal auch kitschige Inszenierungen. Béjart arbeitete mit atonaler und konzeptueller Musik eines Iannis Xenakis und eines Pierre Boulez, hatte aber auch keine Mühe, zu Songs des Popstars Freddy Mercury zu choreografieren.

Die Welt als Collage

In seinen inzwischen weit über 100 Choreografien belebte Béjart Gestalten aus Literatur und Kino, aber auch historische Persönlichkeiten, darunter Nietzsche, Evita Perón und Mozart.

Themen wie Liebe, Erotik, Tod und Einsamkeit inspirierten ihn ebenso wie japanische Kampfkunst, Zen-Buddhismus und der Islam. Dabei ging der Choreograf oft eklektisch und collage-ähnlich vor.

«Boléro» (1960) und «Sacre du printemps» (1959) sind frühe Meilensteine der Tanzgeschichte, zu den späteren gehören «Notre Faust» (1975) und «Le presbytère n’a rien perdu de son charme ni le jardin de son éclat» (1997).

In der Schweiz

1960 holte ihn das Théâtre de la Monnaie als künstlerischen Direktor nach Brüssel. 1987 verliess Béjart die Stadt, ging nach Lausanne und taufte sein «Ballet du XXe siècle» in «Béjart Ballet Lausanne» um.

Die Schweiz erhielt mit der «Rudra» zudem eine Tanzschule, in der auf der Basis des klassischen Tanzes auch Musik, Gesang und die japanische Kampfsportart Kendo gelehrt werden.

Wie immer lud der unbändige Béjart auch kurz vor Weihnachten 2001 zu einer weiteren Uraufführung. Die stehende Ovation für die Choreografie «Le même et un autre» war einmal mehr überwältigend. Das Lausanner Publikum konnte sich überzeugen, dass der wie immer schwarz gekleidete Künstler auch mit 75 Jahren noch etwas zu sagen hat.

Doch eines weiss Béjart jetzt schon: Seine Choreografien sollen nach seinem Tod nicht mehr aufgeführt werden. Einen Tod, den er nicht fürchtet, weil er bestimmt zum richtigen Zeitpunkt kommen werde, wie der Künstler wiederholt beteuert hat.

swissinfo und Karina Rierola, sda

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