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“Im Alter nimmt das Lampenfieber zu”

Walo Lüönd, der Ehrengast der 43. Solothurner Filmtage, will mit 80 Jahren etwas ruhiger treten. swissinfo.ch

Die 43. Solothurner Filmtage widmen Walo Lüönd eine Retrospektive. Der Schweizer Schauspieler hat in über 200 deutschen und Schweizer Theater- und Filmproduktionen mitgespielt.

60 Jahre Schauspielerkarriere sind für den 80-jährigen Lüönd kein Grund sich auf den Lorbeeren auszuruhen, auch wenn er in Zukunft etwas ruhiger treten will.

Walo Lüönd ist einer der bekanntesten Schweizer Schauspieler. Trotzdem wirkt er bescheiden, fast so alles ginge ihn der ganze Rummel um seine Person nichts an.

Sein Gesicht ist von einem weissen Bart und Koteletten umrahmt, die Augen hinter der grossen Brille blicken ruhig. Der Mann mit der violetten Strickjacke, dem schwarzen Hut auf dem Kopf und dem Stock in der Hand verkörpert den Volksschauspieler par excellence.

swissinfo: Die 43. Solothurner Filmtage widmen Ihnen eine Retrospektive. Was bedeutet Ihnen diese Hommage?

Walo Lüönd: Ich habe mich natürlich sehr gefreut, dass man mich angefragt hat. Ich weiss nicht, wer auf die Idee gekommen ist. Es ist jedenfalls eine grosse Ehre für mich.

swissinfo: Sie können auf 60 Jahre Schauspielerfahrung zurückblicken. Wird man da kritischer mit sich selbst?

W.L.: Ja, der Druck wird immer grösser. Das Lampenfieber geht nicht weg. Im Gegenteil, die Leute denken: Mensch, der muss es doch in seinem Alter langsam können, der hat schon so viel gemacht, das ist doch kein Problem für den. Es ist aber immer noch ein Problem.

Das Lampenfieber gehört einfach dazu. Jeder Schauspieler leidet darunter – selbst die, die so tun, als ob es sie kalt liesse.

swissinfo: Sie haben vor ein paar Jahren Tabletten genommen, um dieses Lampenfieber zu bekämpfen.

W.L.: Mit den Tabletten, das war bei den “Wilhelm-Tell”-Vorstellungen auf dem Rütli. Ich spielte den Freiherrn von Attinghausen, das war eine grosse Rolle. Und ich war innerlich sehr nervös. Da hat mir der Arzt eine Hunderterpackung Tabletten gegeben und gesagt, ich könne davon nehmen, so viel ich wolle.

Die Tabletten haben mir denn auch gut getan. Ich habe immer mehr genommen, bis ich plötzlich ohne die Tabletten nicht mehr sein konnte. Und dann machte ich einen Entzug. Es war grauenvoll.

swissinfo: Vor was hatten Sie als Schauspieler am meisten Angst?

W.L.: Dass man hängen bleibt, dass man den Text nicht mehr kann. Wie ein Sänger, der denkt, jetzt geht die Stimme weg.

swissinfo: Wie Bruno Ganz und Maximilian Schell sind auch Sie nach ersten Bühnenerfahrungen in der Schweiz nach Deutschland gegangen. Was war für Sie als junger Schauspieler die Motivation, ihre Schauspielerkarriere im Ausland weiterzuverfolgen?

W.L.: Als ich am Stadttheater Basel engagiert war, hat mich der Intendant zu sich gerufen und gesagt, er könnte mich brauchen. Ich fragte ihn, wie es mit der Gage sei und er nannte eine Summe. Ne, dafür mache ich das nicht, habe ich gesagt.

Als er mir erklärte, er könne mir leider nicht mehr geben, erwiderte ich: Lieber verrecke ich, als dass ich bei Ihnen für das Geld Theater spiele. Ich dachte, so nun habe ich genug von der Schweiz, jetzt gehe ich nach Deutschland.

swissinfo: Was Sie ja dann auch gemacht haben. Wie haben Sie Deutschland in der Nachkriegszeit erlebt?

W.L.: Als ich 1952 nach München kam, lagen noch viele Gebäude in Schutt und Asche. Das Residenztheater war eine Ruine, das war noch nicht aufgebaut. Die Leute waren sehr engagiert. Da gab es auch die Trümmerfrauen, die die Städte von den Trümmern der zerbombten Gebäude befreiten. Das ist bewundernswert.

swissinfo: Wie wurden Sie damals als Schweizer Schauspieler aufgenommen?

W.L.: Ich war sehr gern mit meinen deutschen Kollegen zusammen. Ich mochte die deutsche Mentalität sehr gern.

Es kommt immer auf den Menschen an. Ich habe mich mit den Leuten getroffen, die auf meiner Wellenlänge waren. Es gab damals sehr viele, die gegen die Nazi-Zeit waren.

swissinfo: Was war für Sie damals am schwierigsten?

W.L.: Am Anfang, bis ich das erste Engagement erhielt, ernährte ich mich nur von Milch und trockenen Brötchen. Ich hatte kein Geld und übernachtete bei einem Kollegen. Das war eine harte Zeit.

swissinfo: Sie haben als Bühnenschauspieler sowohl vor deutschem als auch vor Schweizer Publikum gespielt. Gibt es da irgendwelche Unterschiede?

W.L.: Ja, das kann ick wohl sagen (fällt in den Berliner Dialekt). Die Berliner sind das beste Publikum. Die lachen schon, bevor die Pointe fertig gesprochen ist. Die spüren das genau. Das Berliner Publikum ist einmalig.

swissinfo: Sie haben über zehn Jahre in Deutschland gelebt. Was halten Sie von der aktuellen Diskussion, es gebe zu viele Deutsche in der Schweiz?

W.L.: Da habe ich gar nichts dafür übrig, denn wir brauchen die Deutschen. So lange sie friedlich sind und sich ein wenig assimilieren, ist dagegen nichts einzuwenden – im Gegenteil. Ich habe kein Problem mit ihnen.

swissinfo: Im Film “Die Schweizermacher” spielen Sie den pedantischen Beamten Max Bodmer. Die Parodie auf die absurde Einbürgerungspraxis ist bis heute der erfolgreichste Schweizer Film aller Zeiten. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

W.L.: Der Film muss einen Nerv getroffen haben. Ich wurde nach dem Film oft von Leuten eingeladen, die Schweizer werden wollten. Sie haben mich mit der Rolle identifiziert.

Sogar eine Tante von mir, die ein Restaurant hatte, dachte, ich könne irgendwie Einfluss auf die Einbürgerung ihrer Angestellten nehmen.

swissinfo: Letztes Jahr hatten Sie eine Herzattacke und eine schwere Rückenoperation. Sind Sie in Zukunft wählerischer und treten etwas ruhiger?

W.L.: Ich war immer wählerisch, aber ruhiger will ich es schon haben, ja.

Im Moment habe ich gar nichts geplant. Irgend etwas machen möchte ich schon noch. Da kommt auch noch was, da bin ich überzeugt.

Ich hatte auch jetzt wieder Anfragen, doch das waren zu grosse Rollen. Das war mir zu viel.

swissinfo-Interview, Corinne Buchser

Walter-Josef Lüönd wurde am 13. April 1927 in Zug geboren. Auf Wunsch seines Vaters schloss er zuerst eine Schneiderlehre ab, bevor er sich am Bühnenstudio in Zürich zum Schauspieler ausbilden liess.

Nach ersten Bühnenerfahrungen in der Schweiz zog es Lüönd anfangs der 50-er Jahre nach Deutschland, wo er über zehn Jahre vorwiegend in München, Essen und Berlin arbeitete. Neben seiner Bühnenkarriere begann er in Deutschland für Film und Fernseh zu spielen.

In den 70-er Jahren wurde er auch vom Schweizer Film entdeckt. Seine unvergessliche Interpretation in der Rolle als Dällebach Kari im gleichnamigen Film von Kurt Früh machten ihn bekannt.

Mit seinen eher ernsten, tragischen und melancholischen Rollen wurde Walo Lüönd ein bedeutender Charakterdarsteller. 1973 erhielt er den Zürcher Filmpreis.

2007 BRIEFE UND ANDERE GEHEIMNISSE (TV-Film, Judith Kennel)
2004 STERNENBERG (Kino, Christoph Schaub)
2000 KOMIKER (Kino, Markus Imboden)
1992 JEANMAIRE – EIN STÜCK SCHWEIZ (Theaterinszenierung, Urs Widmer)
1988 DIE DOLLARFALLE (Kino, Thomas Koerfer)
1985 GAUNER IM PARADIES (Kino, Thomas Fantl)
1980 DER ERFINDER (Kino, Kurt Gloor)
1978 DIE SCHWEIZERMACHER (Kino, Rolf Lyssy)
1970 DÄLLEBACH KARI (Kino, Kurt Früh)

Die Solothurner Filmtage finden vom 21. bis 27. Januar 2008 statt. Sie widmen dem Schweizer Schauspieler Walo Lüönd eine Retrospektive. Gezeigt werden 13 Filme, darunter “Dällebach Kari”, “Die Schweizermacher” und “Sternenberg”.

Eröffnet werden die Filmtage vom Animationsfilm “Max & Co.” der Brüder Frédéric und Samuel Guillaume. Es ist die bisher teuerste Schweizer Filmproduktion aller Zeiten. Sie ist auch für den Filmpreis 2008 nominiert.

Insgesamt werden fast 300 Spiel-, Dokumentar-, Experimental- und Animationsfilme sowie Musikclips gezeigt.

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