
Ozzy Osbourne: In Zürich feilte Black Sabbath am Urknall des Hardrock

Mit dem Tod von Ozzy Osbourne entdeckt die Schweiz den verkannten Einfluss einer Zürcher Bar auf die Geschichte des Heavy Metal. Im verruchten Hirschen-Club stiess Black Sabbath zum Kern einer neuen Musik vor.
Am elften November 1969 nehmen Black Sabbath innert zwölf Stunden ihr erstes Album auf. Es heisst «Black Sabbath» und ist praktisch live eingespielt. Schon tags darauf sind die vier jungen Musiker auf der Fähre über den Kanal. Ihre Reise geht in die Schweiz, wo sie in Zürich ein Engagement antreten sollen.
Es ist November, der Herbstwind bläst Blätter durch die Gassen. In der Zürcher Altstadt werden die Mantelkrägen hochgestellt, die Hüte ins mürrische Gesicht gezogen, und der Geruch von Maroniständen kündet den bevorstehenden Winter an.
Verruchte Insel im bürgerlichen Zürich
Das Hotel Hirschen im Niederdorf ist in dieser Zeit ein buntes Treibhaus, gefüllt mit verheissungsvoller Aufbruchstimmung, trunken vor Lust auf Veränderung.
Gleichzeitig ist es eine verruchte Insel mitten im sonst biederen, bürgerlichen Zürich dieser Zeit, bevölkert von verkaterten Sexarbeiterinnen und ihren Freiern, mit finsteren Zuhältern – und der revoltierenden Zürcher 69er-Jugend.
Hier pulsiert das Nachtleben.
Noch herrscht in der Stadt die vermeintlich heile Welt des schweizerischen Spiessbürgertums, doch die Studentenunruhen brodeln. Das Verlangen nach einem Ventil bildet einen idealen Nährboden für den sechswöchigen Aufenthalt der jungen britischen Rockformation.
Der Hirschen-Club befindet sich im Erdgeschoss des Hotels, ist auch als «Beat Club» bekannt. Bei Bands aus Birmingham ist er eine beliebte Anlaufstation für einen ersten Auslandstrip. Einige dieser Bands stehen Schlange, fahren unangemeldet vor, in der Hoffnung, sie könnten eine dieser Auftrittsreihen ergattern.
Knüppelharte Arbeitsbedingungen
Der Hirschen hatte sich auf vornehmlich englische Bands spezialisiert. Wie damals üblich, mussten sie als Hotelgäste die Pässe deponieren. Es gibt Kost und Logis, man wohnt gleich über dem Lokal. Die Arbeitsbedingungen sind hart, aber es bietet sich eine Möglichkeit, auf dem Festland Fuss zu fassen.
Das Engagement umfasst sechs Wochen mit täglich 7 Blöcken à 45 Minuten, beginnend um drei Uhr nachmittags. Das ergibt pro Engagement rund 200 Stunden Bühnenpräsenz – wie ein Konzert, das eine Woche lang dauert, ohne nennenswerten Unterbruch.
Black Sabbath hatten danach jahrelang nie mehr diese Zeit, um so konstant an neuen Ideen zu feilen und Songstrukturen auszubauen. Es gab dabei auch nicht den Druck eines Labels, das ein neues Album erwarten würde.
Ihr Konzept, das in Birmingham Gestalt angenommen hat, wird in diesem harten Rahmen zum Meisterstück, zum Ereignis vollendet. Die losen Ideen, die sie nach Zürich mitgebracht hatten, führen sie im Hirschen zum fixen Konstrukt zusammen.
Ozzy Osbourne: «Es war verdammt hart»
Ozzy Osbourne sagte 2011 in einem Interview mit SRF: «Isn’t the Hirschen-Club there anymore?» – und ergänzt: «We used it to rehearse!» Später erzählt er in der Sonntagszeitung: «Es war verdammt hart. Wir waren eine junge Band, hatten wenig Material. So spielten wir pro Set nur einen Song, 45 Minuten lang.»

Das bunt gemischte Publikum im Hirschen erweist sich als perfektes Sounding Board. Die Pausen zwischen den Blöcken eignen sich für unmittelbares Feedback. Die Band zieht Schlüsse daraus und verarbeitet die Manöverkritik direkt im nächsten Auftritt.
Aufgrund des kleinen Repertoires versucht Black Sabbath, sich mit Solo-Einlagen der einzelnen Musiker durch die sieben täglichen Musikblöcke zu mogeln. Laut verschiedenen Quellen wird dies vom patriarchalischen Hirschen-Besitzer jedoch strikt unterbunden. Durchgesetzt und überwacht wird es von dessen Tochter, Bardame im Hirschen-Club. Von ihrer Wirkungsstätte aus keift sie regelmässig Richtung Bühne: «No Drum-Solos!»
So versteckt Black Sabbath die Schlagzeugsoli in Jam-Sessions. Sie spielen drauflos und retten sich so über die Runden. Diese Jam-Sessions bieten eine fantastische Möglichkeit, an Songs zu feilen.

So entstand ohne grosses Brimborium nach und nach eines der grössten Monster der Rockgeschichte, der bahnbrechende Song «War Pigs».
Die Geschichte von «War Pigs»
Bis kurz vor den Aufnahmen zu ihrem zweiten Album «Paranoid» hiess der Song noch «Walpurgis» und drehte sich um Hexenkulte. Empört über den Vietnamkrieg schreibt der für die Songtexte zuständige Bassist Geezer Butler das Stück aber um und verwandelte ihn in einen der musikalisch betrachtet deutlichsten Anti-Kriegssongs der Rockgeschichte.
Textlich erinnert die zweite Zeile der ersten Strophe an den ursprünglich geplanten Song über die Walpurgisnacht: «Just like witches at black masses» – «ganz wie Hexen an schwarzen Messen».
Der Song ist ein Schlachtfeld. Im Intro ziehen unheilvolle Nebelschwaden tief über den Morast. Das Schlagzeug klickt wie eine Zeitbombe. Kurze Detonationen, dann setzt die Stimme von Ozzy Osbourne ein. Das Lied erscheint in einer Zeit, da gerade die letzten Takte der Flower-Power-Songs ausklingen.
Wäre so ein Stück auch entstanden ohne diese 200 Stunden Knochenarbeit? Von einer Band im Exil, eingekerkert in einem Proberaum mit Publikum und täglich gezwungen, das Letzte aus dem vorhandenen Potenzial herauszupressen?
Es gibt kaum ein Album wie «Paranoid» von Black Sabbath, das in der Rockgeschichte so für Furore sorgte – es war ein Urknall.
Ursprünglich sollte es sogar auf den Namen des in Zürich entstandenen Songs «War Pigs» getauft werden. Das Albumcover zeigt einen in grell kostümierten Samurai-Krieger, der aus einem Wald heraus preschend angreift – was dem Namen durchaus entspricht.
Wegen dem sehr kontrovers diskutierten Vietnamkrieg entschied sich die Plattenfirma jedoch kurz vor Veröffentlichung, das Album «Paranoid» zu nennen.
Black Sabbath interessierte Zürich bisher nicht
Spricht es für die Schweizer Bescheidenheit, dass diese Geschichte nie richtig erzählt wurde? Sie fehlt auf der Homepage von Zürich Tourismus. Oder ist es für Zürich etwa noch heute beschämend?
Solange man ausblendet, dass 1969 vier 20-jährige Jungs aus Birmingham – Tony Iommi, Ozzy Osbourne, Bill Ward und Geezer Butler – auf dem Hirschenplatz gestanden haben, um den bedeutendsten Urknall der Rockgeschichte zur Detonation zu bringen, solange bleibt die Kulturgeschichte Zürichs wohl ein Entwurf.
Nach der Rückkehr aus der Schweiz vergehen nur noch wenige Tage, bis ihr Erstlingswerk «Black Sabbath» am Freitag, den 13. Februar 1970 veröffentlicht wird.
Damit entfachen sie den Countdown in ein neues Zeitalter der Rockmusik.
Ozzy: «Die meisten Songs entstanden in Zürich»
Ein halbes Jahr später, nach einer einzigen rastlosen Tour, werden sie das Zweitlingswerk «Paranoid» aufnehmen – gespickt mit Songstrukturen, die im Hirschen Gestalt angenommen haben und nun in wegweisenden Songs verewigt werden, mit einem der charakteristischsten und grundlegendsten Rocksongs der Geschichte: «War Pigs». «Die meisten Songs des Albums ‚Paranoid‘ entstanden in dieser Bar in Zürich», erzählt Ozzy Osbourne später der Sonntagszeitung.
Die Folge ist ein Musikgenre, das Abermillionen Jugendlichen Seelenbalsam bietet – in einer Form, die schneller einwirkt als intravenös verabreichte Schmerzmittel. Es ist ein befreiendes Ventil, das für sie verstörend erleichternd wirkt. Nicht umsonst ist die Liebe zum Heavy Metal keine Sommerliebe.
Das Ende vom Hirschen
Während der Nordstern Black Sabbath am Musikhimmel aufging, verkam das Hotel Hirschen in den 1970ern immer mehr zu einer Räuberhöhle.
Razzien waren an der Tagesordnung und aus Polizeikreisen hiess es gar, dass das Hotel Hirschen immer dann gut für eine Kontrolle war, wenn sonst nichts anstand. Dann konnte die Polizei im Hirschen einen Dealer hochgehen lassen oder ein krummes Ding abwürgen, das vielleicht gerade am Entstehen war.
Mitte der 1980er-Jahre gab es einen Besitzerwechsel.*
Nur der Name ist geblieben. Das Hotel Hirschen steht immer noch am Hirschenplatz. Nach etlichen Besitzerwechseln scheint es heute seine Mitte gefunden zu haben. Dieselben Mauern, nur Musik wird keine mehr gespielt im Gebärsaal des Heavy Metal.
Editiert von Balz Rigendinger
*In einer früheren Version dieses Textes war die Rede von einem Konkurs des Hirschens mitte der 1980er Jahre. Es handelte sich um einen Verkauf.
Boris Schlatter hat seine Forschungsergebnisse über die Zürcher Zeit von Black Sabbath in einem BlogExterner Link zusammengetragen. Der vorliegende Text wurde mit freundlicher Genehmigung von diesem Blog übernommen. Er sucht noch Zeitzeugen, die Black Sabbath in Zürich erlebt haben.

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