Peter Bichsel wird 65
Der Schweizer Schriftsteller Peter Bichel wird am Freitag (24.03.) 65 Jahre alt. Seit Bichsel 1964 mit den legendären Milchmann-Geschichten debütiert hat, zählt er zu den wichtigsten Schweizer Autoren. Zwei neue Bücher erscheinen zu seinem Geburtstag.
Seit Peter Bichsel 1964 mit den legendären Milchmann-Geschichten debütiert hat, zählt er zu den wichtigsten Schweizer Autoren. Zwei Bücher von und über ihn erscheinen zu seinem 65. Geburtstag. Sie vermitteln ein Bild seines Lebens.
Der 1935 geborene Peter Bichsel ist ein Zuspätgeborener, er konnte die legendäre Aaregfrörni in Olten nicht mehr miterleben. Lange Zeit hätte er es sich gerne gewünscht. Dafür durfte der Peter- Knirps dem General Guisan die Hand drücken.
Und 1947 in jenem heissen Sommer, als der Zwölfjährige in Huttwil in den Ferien weilte, war er dabei, als «das Thermometer bei der Apotheke» platzte. Derweil gab sich die Schweiz alle Mühe, die Vergangenheit zu vergessen.
Buchstabensucht
Ein, zwei Jahre früher schon hatten sich die ersten Suchterscheinungen bemerkbar gemacht: Buchstabensucht «bis zur Vergiftung». Ein Heft mit der Aufschrift «Was ich alles weiss» war das erste Zeugnis einer versuchten Linderung. Doch noch mussten ein paar Jahre vergehen, bis diese Versuche ihre volle Wirkung entfalten sollten.
1949 trat der damals «glühende Patriot» und «überzeugte Abstinente» aus der Pfadi aus. Namen wie Koblet, Bartali oder Ballabio weckten dafür sein Interesse. Am 4. Juli 1954 war Bichsel vor dem Fernseher Zeuge, wie Deutschland im Berner Endspiel Ungarn mit 3:2 bodigte und erstmals Weltmeister wurde.
Sportgeschichten
Er «möchte ihn nicht mögen», den Sport, sagt er heute, doch der Sport weiss prima Geschichten zu erzählen und die wiederum mag Bichsel. Zumindest mag er sie solange, wie sie nicht bloss als Pausenfüller zwischen Werbeblöcken dienen.
1963 im November sodann sass Bichsel in einer Berliner Kneipe, als die Ermordung von John F. Kennedy gemeldet wurde: eine Erschütterung für ihn. Ein paar Monate zuvor hatte er sein erstes Manuskript an den Walter Verlag abgeschickt und so den Keim für seinen Erfolg als Schriftsteller gesetzt, wie unverfängliche Zeugen berichten.
Peter Bichsel indes erinnert sich lieber an jene Schulstunden, denen er Jahrzehnte später noch seine Alpträume schuldet. Immer wieder wacht er betäubt auf mit dem Gefühl, knapp einer Katastrophe entronnen zu sein, weil er vergessen habe, seinen Schülern das Rechnen beizubringen.
Zu Gast im Joggeli
Irgendwann entdeckte er dann auch Amerika. Später ging er ein zweites, drittes Mal hin, so dass die Amerikaner darüber nur mehr die Nase rümpften. Auch den geliebten «Wilhelm Meister»-Roman nahm er sich ein zweites, drittes Mal vor, um sich zu erinnern, mit welcher Erregung er ihn zum ersten Mal gelesen hatte.
Im Mai 1998 schliesslich gastierte Bichsel, während Grass an den Literaturtagen Gedichte vorlas, mit dem FC Solothurn im Basler Joggeli-Stadion. Den für seine Mannschaft siegbringenden Treffer vermochte er von der Tribüne aus leider nicht zu erzielen. Es wäre zu schön gewesen. So erzählt Peter Bichsel halt weiter Kolumnen, jeden Monat eine, das kann er. Der jüngste Band mit jenen aus den letzten fünf Jahren, dem dieser lückenhafte Lebenslauf geschuldet ist, würdigt seinen Geburtstag auf bescheidene wie eloquente Weise. Obendrein erweisen ihm die anekdotischen, gescheiten und zuweilen auch etwas trockenen Aufsätze im Band «In Olten umsteigen» die Ehre.
Peter Bichsel liebt die kleine Differenz. Einer seiner Lieblingssätze stammt von Jean Paul: «Es ist verdammt langweilig, zu sein». Würde das Komma vor die Langeweile gesetzt, entstünde gleich eine andere Geschichte. Dieses Zitat ist Programm. Vieles dreht sich bei Bichsel um die Langeweile, doch in seiner Gegenwart wird es nie langweilig. Es lebe der Erzähler!
Peter Bichsel wurde am 24. März 1935 in Luzern geboren. 1955 bis 1968 war er Primarschullehrer, 1974 bis 1981 persönlicher Berater von Bundesrat Willy Ritschard. Seit 1968 verfasst er Kolumnen (er nennt sie «Politschnulzen») für Zeitungen. Mehrere Aufenthalte an US-Universitäten, 1981/82 Stadtschreiber in Bergen-Enkheim. Bichsel lebt in Bellach bei Solothurn.
Die wichtigsten Werke
Erzählprosa: «Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen» (1964), «Die Jahreszeiten» (1967), «Kindergeschichten» (1969), «Der Busant» (1985), «Zur Stadt Paris» (1995), «Cherubin Hammer und Cherubin Hammer» (1999). Kolumnenbände u.a. «Irgendwo anderswo» (1986) und «Im Gegenteil» (1990). Hörspiel «Inhaltsangabe der Langeweile» (1971), Film «Unser Lehrer» (1971). Preis der Gruppe 47 (1965), Deutscher Jugendbuchpreis (1970), Preis der Schweizer Schillerstiftung (1987, 1999), Gottfried-Keller-Preis 1999 u.v.a.
Notiz: Peter Bichsel: «Alles von mir gelernt. Kolumnen 1995 – 1999.» Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000. «In Olten umsteigen». Über Peter Bichsel. Hg. von Herbert Hoven. Suhrkamp Taschenbuch 1302.
(Bild aus: «Portrait. Schweizer Autoren fotografiert von Felix von Muralt», Verlag Lars Müller, 1998)
swissinfo und Agenturen

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