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Yoko Ono – Meisterin vieler Medien

View of the Yoko Ono exhibition at the Kunsthaus Zurich
Gegen den Krieg, für mehr Frieden: Yoko Ono ist mehr als bloss eine Aktivistin. Ihr umfangreiches künstlerisches Schaffen wird zurzeit im Kunsthaus Zürich gezeigt. Bild: Kunsthaus Zürich/Franca Candrian Kunsthaus Zürich, Franca Candrian

Beatles-Legende John Lennon verliebte sich in eine der einflussreichsten Avantgarde-Künstlerinnen ihrer Zeit: Yoko Ono. Eine Ausstellung im Zürcher Kunstmuseum gibt einen umfassenden Überblick über die Karriere Onos, die lange vor den Beatles begann und bis heute andauert.

Yoko Ono ist wohl eine der am meisten verleumdeten Figuren der Popkultur. Für viele ist sie eine “Hexe”, die John Lennon verzauberte und das Ende der Beatles einläutete.

Vor allem die englische Boulevardpresse zerstörte ihr öffentliches Bild und machte so ihr Kunstschaffen fast nichtig. Deshalb fanden Onos Werke ausserhalb der damaligen Avantgarde-, Konzept- und Pop-Art-Kreise kaum Erwähnung. 

Die Ausstellung “Yoko Ono. This Room Moves at the Same Speed as the Clouds” im Kunsthaus Zürich will das ändern. Sie steht im Zeichen einer “Rehabilitierung” von Onos öffentlicher Persona.

Yoko Ono
Yoko Ono posiert in ihrer Installation “Half-a-Room” (1967), die in der Ausstellung neu zusammengesetzt wurde.  Eduardo Simantob/swissinfo.ch

Die Frau im Hintergrund

Der Trend um die japanische Avantgardistin ist nicht zuletzt auf Peter Jacksons Dokumentarfilm über die Beatles zurückzuführen. “Get Back” ist ein achtstündiger Zusammenschnitt von Aufnahmen, die 1969 während der Proben für das legendäre Rooftop Concert in London entstanden sind – es sollte der letzte Auftritt der Fab Four werden.

Der Zuschauer sieht, wie Yoko Ono die Band begleitet, ruhig und geduldig, ohne sich dabei in den kreativen Prozess einzumischen. Sogar Paul McCartney, gewiss kein Fan von Ono, sagt im Film einmal scherzhaft: “In 50 Jahren wird das unglaublich witzig sein: Die Beatles lösten sich auf, weil sich Yoko auf einen Gitarrenverstärker gesetzt hat.”

Doch die Zeit mit Lennon und den Beatles ist nur ein kurzes Zwischenspiel in Onos langer Karriere, die sich über mehrere Kunstformen erstreckt hat: Die Frau war als Künstlerin, Dichterin, Performerin, Sängerin und politische Aktivistin tätig und prägte die so genannte Fluxus-Bewegung.

Mit dem Strom, gegen den Strom

“Yoko hatte nie wirklich Präferenzen”, sagt Jon Hendricks. “Sie nutzte immer das Medium, das ihr in diesem Moment am meisten nutzte”. Hendricks, ein langjähriger Freund Onos, hat in der Gilbert & Lila Silverman-Sammlung gearbeitet, einem grossen Archiv der Fluxus-Bewegung, das 2008 an das Museum of Modern Art in New York ging. Gemeinsam mit Kunsthaus-Kuratorin Mirjam Varadinis stellte er die Ausstellung in ZürichExterner Link auf die Beine. 

Um Onos Platz auf der unscharfen Landkarte der zeitgenössischen Kunst ab 1960 zu bestimmen, ist Fluxus ein erster Schritt. Fluxus formierte sich um den litauisch-amerikanischen Künstler George Maciunas und war mehr als eine Kunstbewegung: Es war eine internationale Gemeinschaft von Künstlern, Architektinnen, Komponisten, Designerinnen und anderen Kunstschaffenden.

Jon Hendricks
Jon Hendricks. Eduardo Simantob/swissinfo.ch

Lange vor dem Internet verband die Bewegung Künstler:innen aus Korea und Japan mit solchen in Deutschland, Grossbritannien, den USA, und über so genannte Mail Art auch mit “peripheren” Teilen des internationalen Kunstkreises, etwa in Südamerika. 

Als facettenreiche Bewegung ist es praktisch unmöglich, Fluxus in wenigen Worten zu beschreiben. Wikipedia bringt es folgendermassen auf den Punkt: “Fluxus war eine Kunstbewegung der 1960er- und 70er-Jahre, welche die kanonisierten Kunstsprachen ihrer Zeit abschaffen wollte.”

Als Pionier:innen der Konzeptkunst und des Minimalismus seien die Künstler:innen unter anderem für ihre Performance-Aktionen und ihre “serientauglichen” Objekte bekannt gewesen.

Bei Yoko Ono ging es darum, das Publikum nicht bloss zu “erreichen”, sondern es zu berühren und von ihm berührt zu werden.  Das erkennt man auch anhand der Titel ihrer Werke: “Touch Piece”, “Touch Poem” “Touch Me”. Der Refrain im Lied “Kiss Kiss Kiss” lautet “touch touch touch touch me love”.

Auch in der Ausstellung im Kunsthaus können Besucher:innen Ono berühren: In der Arbeit “Touch Me III” (2008) wurden Teile von Onos Körper – Mund, Brüste, Bauch, Gebärmutter, Waden und Füsse – in Marmor nachgebildet. Besucher:innen können ihre Hände in eine Schale mit Wasser tauchen und die Marmorgebilde anfassen. 

Radikale Aristokratin

Yoko Ono wurde im vergangenen Monat 89 Jahre alt. Sie wuchs in den 1930er- und 40er-Jahren in Japan in aristokratischen Verhältnissen auf, war aber in den Nachkriegsjahren mit Hunger und Elend konfrontiert. Anfang der 1950er-Jahre zog ihre Familie in die USA, wo Yoko ihre Kunstausbildung abschloss und ihre ersten Aktionen und Auftritte entwickelte. 

Fluxus poster
“Perpetual Fluxfest”, Plakat für eine Fluxus-Veranstaltung in der Cinematheque in New York, 1965. Eduardo Simantob/swissinfo.ch

Avantgarde-Komponisten wie John Cage waren frühe Einflüsse für die Fluxus-Künstler:innen, ebenso wie der Dadaismus, der 1916 in Zürich entstand und sich nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin, Paris und New York verbreitete.

Anfangs nannten sich die Fluxus-Künstler:innen “Neo-Dadaisten”, doch auf Anraten von Dada-Veteranen prägte Maciunas einen neuen Begriff, der die aktuelle Stimmung widerspiegeln und den Fallen einer bereits institutionalisierten Bewegung entgehen sollte. 

In der Zwischenzeit organisierte Ono gemeinsam mit dem Komponisten La Monte Young experimentelle Musikveranstaltungen in ihrer New Yorker Wohnung, und 1961 gab sie ihren ersten öffentlichen Auftritt in der Carnegie Recital Hall. Ab 1964 schlug ihre Arbeit über den kleinen Kreis der New Yorker Avantgardisten hinaus Wellen. 

Die konzeptuelle Performance “Cut Piece”, deren Video die Zuschauer:innen im Kunsthaus begrüsst, zeigt Ono mit einer Schere. Im Film fordert die Künstlerin das Publikum auf, Teile ihrer Kleidung abzuschneiden.

Die Show behandelt Fragen der Identität und des Geschlechts und wurde in anderen Zusammenhängen von Künstler:innen wiederholt, darunter Jon Hendricks und seine Guerrilla Art Action Group im Jahr 1969. 

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Im selben Jahr veröffentlichte Ono das konzeptionelle “Grapefruit Book”, eine Art Anleitung zur Kunst. Einstellungen und Haltungen waren in der Fluxus-Szene wichtiger als künstlerische Fähigkeiten. Dieser Geist prägte auch den Titel der wegweisenden Ausstellung “When Attitudes become Form”, die der legendäre Schweizer Kurator Harald Szeemann 1969 in der Kunsthalle Bern ausrichtete. 

Herausfordern und provozieren

Viele Experten sind sich einig, dass Onos Arbeit erst respektiert wurde, nachdem weisse männliche Künstler wie Lawrence Weiner und Sol LeWitt begonnen hatten, ihre Ideen nachzuahmen. In den späten 1960er-Jahren nahm Ono schliesslich eine Auszeit. 

Art work by Yoko Ono
“Portrait of John Lennon as a young cloud”, 1971/2020. Eduardo Simantob/swissinfo.ch

“Damals traf sie John Lennon. Doch es ist nicht so, dass sie aufhörte, Kunst zu machen”, sagt Jon Hendricks. “Sie fand einfach andere Mittel und Wege, um die herrschende Kultur herauszufordern.”

Durch ihre Beziehung mit Lennon, den sie 1967 in einer Londoner Galerie kennengelernt hatte, wurde aus ihrer Kunst ein Mix aus Musik und politischem Aktivismus. In den 1970er-Jahren leitete sie die Plastic Ono Band und nutzte die Popularität Lennons und die Maschinerie der Musikindustrie, um feministische und pazifistische Botschaften in den Mainstream zu bringen.

Bed-in for Peace
John und Yoko im Hilton Hotel in Amsterdam während ihres ersten Bed-In for Peace, 1969. Keystone

Zu diesem Zeitpunkt war Ono bereits zu einer Ikone (oder Anti-Ikone) der Popkultur geworden. Die Kombination von Lennons kreativem Geist und Yokos künstlerischem Radikalismus überschwemmte schliesslich den Mainstream.

Immer stand die Herausforderung, die Provokation im Fokus: Mal ging es um die Frauenrechte, mal um Kriege im Allgemeinen und den Vietnamkrieg im Besonderen. Ihr erstes medienwirksames künstlerisch-politisches Happening, das “Bed-in for Peace”, das in Hotels in Amsterdam und Montreal stattfand, gab den Ton für die späteren öffentlichen Auftritte des Paares an.

Aktiv bis ins hohe Alter

Nun steht allein Yoko Ono im Fokus, die sich nie vor Kontroversen scheute. Und ihre Karriere, die von einer Trotzhaltung gegenüber dem westlichen männlichen Blick geprägt war.

Bis vor Kurzem war Ono noch sehr aktiv: Sie bewahrte das Erbe Lennons, nahm neue Versionen ihrer alten Songs auf, beteiligte sich an Wohltätigkeits- und Hilfskampagnen und brachte sogar ein neues Kunstwerk an den Wänden einer U-Bahn-Station in New York an.

Ono s Toilette, 1971
“Toilette”, 1971. Das Werk stellt wohl den Akt des Denkens in Frage. Bild: Keystone/Walter Bieri © Keystone / Walter Bieri

Doch im November 2021 verkündete die Zeitschrift The New Yorker, dass Ono “aus dem öffentlichen Leben zurückgetreten” sei. Die Lennons werden nun von ihrem Sohn Sean im Beatles-Geschäft vertreten.

Ono hat einen prominenten Platz im Kanon der zeitgenössischen Kunst eingenommen, zusammen mit vielen anderen Frauen, die als moderne Meisterinnen endlich die längst fällige Anerkennung erhalten. 

Die Ausstellung “Yoko Ono. This Room Moves at the Same Speed as the Clouds” im Kunsthaus Zürich läuft bis zum 29. Mai 2022. Ein umfangreiches Performance-Programm, in der Schlüsselwerke von Yoko Ono neu inszeniert werden, begleitet die Ausstellung.

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