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Sehnsucht nach freiem Schaffen

Edwin Hunziker: Frühlingslandschaft. Familie Casamento

Bei seiner Suche nach einer lebensbejahenden, offenen Welt verliess der Maler Edwin Hunziker in den 1920er-Jahren die Schweiz. Fündig wurde er schliesslich im fernen Sizilien, auf Lipari, einer der äolischen Inseln.

“Natürlich erinnere ich mich an Edwin Hunziker”, nickt Antonio, der ältere Matrose auf einem Ausflugsschiff, das Touristen von Lipari zu den anderen malerischen Inseln bringt. “1973 hat er mir 3000 Lire geschenkt, die haben mir Glück gebracht”, berichtet er strahlend von jenem Ereignis, das schon 37 Jahre zurück liegt.

Viele kennen ihn noch, auch 24 Jahre nach seinem Tod. Edwin Hunziker war in Lipari eine bekannte und geachtete Persönlichkeit. Ein Einheimischer wurde er nie, obwohl er fast sechs Jahrzehnte seines Lebens dort verbracht hatte.

Im Jahr 1922 wurde bei den beiden Malern Edwin Hunziker und Max Gubler die Sehnsucht nach “freiem Schaffen in einer ursprünglichen Landschaft, möglichst fern der heimatlichen Fesseln” übermächtig, wie Hunziker schreibt. Sie entschieden sich, nach Sizilien auszuwandern und landeten 1923 in Palermo.

Die Landschaft gefiel den beiden sehr, sie wurden jedoch bald “der mafiösen Bevölkerung” überdrüssig. Hunziker suchte weiter und fand schliesslich in Lipari, der Hauptinsel des zwischen Sizilien und Italien gelegenen äolischen Archipels, “das gelobte Land”.

Hier hätten nun Edwin Hunziker und sein Freund “jene lebensbejahende, offene Welt gefunden, die sie als Ausgleich zu ihrer sensiblen und schwermütigen Mentalität empfanden”, schreibt die Kunsthistorikerin Daisy Sigerist.

Inselparadies

“Lipari war damals ein verschlafenes, mittelalterlich anmutendes Städtchen, noch unberührt vom heutigen merkantilen Massentourismus”, heisst es in Hunzikers Autobiographie.

“Das tägliche kleine Postschiff legte draussen auf offenem Meer an. Man wurde ausgebootet, gelegentlich in Gesellschaft von Schlachtochsen, die ans Boot gebunden, schwimmend das Ufer erreichten.”

1925 lernt Hunziker Clelia Gemmola kennen und lieben. Die beiden gründen eine Familie. Hunziker malt seine Frau (siehe nebenstehende Galerie), vor allem die liparische Insellandschaft aber auch kräftige, vitale Stillleben. Ein weiteres beliebtes Motiv ist ihm der Ausblick auf seinen Hühnerhof.

Das Inselidyll hält an, bis 1926 der italienische Diktator Benito Mussolini Lipari in eine Strafkolonie für politische Gegner verwandelt. Alle Ausländer müssen die Insel verlassen. Hunziker darf bleiben, unter starken Einschränkungen seiner persönlichen Freiheit.

Krieg

Als Hunziker 1932 ein eidgenössisches Kunststipendium erhielt, verbringt er einige Monate in Paris und bleibt dann vier Jahre in der Schweiz, in seiner Heimat Affoltern am Albis.

Nach seiner Rückkehr nach Lipari kauft er ein Haus und muss die Insel 1940 erneut verlassen, als Italien in den Zweiten Weltkrieg eintritt.

Die Kriegsjahre verbringt die inzwischen vierköpfige Familie in der Schweiz. Hunziker wird bei den Luftschutztruppen eingeteilt. “Ich versah meinen Dienst mit Überzeugung nach den Erlebnissen mit der Herrschaft des südlichen Diktators”, schreibt Hunziker.

In dieser Zeit malt er relativ wenig. In seiner Freizeit hilft er bei Landarbeiten. “Heimweh nach der Insel, nach den Orangenbäumen, dem Meer hatte vor allem meine Frau”, erinnert er sich. Erst eineinhalb Jahre nach Kriegsende erhalten er und seine Familie die Erlaubnis, nach Lipari zurückzukehren.

Aufbau

Ihren Besitz finden die Eheleute in üblem Zustand vor. Das Haus hat durch Einquartierungen stark gelitten. Zusammen mit seinem Sohn Sandro macht er sich an den Aufbau.

Der vor dem Krieg erworbene Landsitz wird zur “Pensione Diana” ausgebaut. Auch sonst hat sich viel verändert. Die Strafkolonie ist aufgehoben, stattdessen hat das Rote Kreuz eine Kolonie von Kriegsflüchtlingen eingerichtet. Nach deren Auflösung sucht man nach neuer Belebung für die Wirtschaft der Insel.

Man entdeckt den Tourismus, der das Städtchen innert weniger Jahre stark verändert. So entstehen Hotels, Boutiquen, Restaurants und Souvenirläden. Trotzdem: Blickt man heute von Hunzikers Pension, die mittlerweile “Villa Diana” heisst, auf die Stadt, erhebt sich noch fast die gleiche Silhouette mit der erhöht liegenden so genannten Akropolis, wie auf Hunzikers frühen Bildern.

Alter

Während Sohn Sandro in den 50er-Jahren die Pension betreibt und einen Weinhandel mit der Schweiz aufzieht, kann sich Hunziker wieder vermehrt dem Malen widmen. Zwar ist es mit der Romantik des alten Lipari vorbei, aber der Künstler zieht mit Staffelei und Farben zu Fuss in “abgelegene Täler, die ihren Charakter in Jahrhunderten bewahrt haben. Dort gibt es noch stille Plätze unter unfrisierten Olivenbäumen, in felsigen Gegenden”, schreibt er 1978, drei Jahre nach einem Schlaganfall, der ihn für ein Jahr halbseitig lähmte und ihn zur Untätigkeit verdammte.

“Gubler und der junge Hunziker haben Lipari anders gesehen als der reife Künstler, der Lipari in seinen Lebensinhalt einbezogen hat. Die Schwerblütigkeit dieser Landschaft wird sichtbar, obwohl wir in Italien sind. Das ist ein Novum”, beschreibt Daisy Sigerist Hunzikers Alterswerk.

“Die impulsive Malerei von Edwin Hunziker (…) beruht hauptsächlich auf einer sinnlichen Farbigkeit mit expressiven Spannungsmomenten. Die künstlerischen Anregungen, die Hunziker aufnimmt, gehen entsprechend auf expressive Künstler, zum Beispiel van Gogh zurück.”

Dem Schweizer Künstler sind noch ein paar Jahre voller Schaffenskraft gegönnt. Er stirbt 1986 – auch weil er über den Tod seines Sohnes Sandro nicht hinwegkommt.

Seine Bilder aber konservieren das Licht der äolischen Inseln in einer besonderen, packenden Art. Wer die Farben als kitschig empfindet, muss mal hinfahren. Denn Hunzikers Licht verzaubert den äolischen Archipel auch heute noch.

Etienne Strebel, Lipari, swissinfo.ch

1901: Geboren in Affoltern am Albis, ZH

1920: Matur

1921/22: Erste Kunststudien in Rom, erste Versuche der Landschaftsmalerei

1922: Erste Kollektivausstellung im Kunsthaus Zürich

1922/23: Kunstakademie München und Florenz; Treffen mit Max Hunziker und Max Gubler

1923/24: Entdeckungsreise mit Max Gubler nach Sizilien, Palermo

1924: Lipari (Aeolische Inseln)

1925: Hunziker lernt Clelia Gemmola kennen und heiratet sie

1931: Ausstellung in Bern mit Cuno Amiet und Viktor Surbek

1932: Eidg. Kunststipendium, einige Monate in Paris

1932: Rückkehr in die Schweiz

1936: Rückkehr nach Lipari

1939: Kauf eines Hauses

1940: Reise mit Familie in die Schweiz

1947: Rückkehr nach Lipari

1950 bis 55: Ausbau des Hauses zum Hotel “Villa Diana”

1960 bis 1975: Viele Reisen Lipari – Schweiz, Ausstellungen

1975 : Schlaganfall

1978: Wiederaufnahme der Malertätigkeit

1985: Ausstellung in Zürich, Galerie Wolfsberg, gemeinsam mit Werken von Max Gubler und Skulpturen von Edward Spörri.

13. März 1986: Edwin Hunziker stirbt

18. Juni 1989: Tod seiner Frau Clelia

1989: Hunzikers Enkelin Clelia übernimmt die Leitung des Hotels bis zu ihrem Tod im Mai 2010. Das Haus wird nun von seinen Urenkeln weitergeführt.

7 vulkanische Inseln nördlich von Sizilien.

Lipari (grösste 37,6 km2)
Stromboli (aktiver Vulkan)
Vulcano (teilweise aktiv)
Salina
Filicudi
Alicudi
Panarea

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