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Bruno Kernen gewinnt am Lauberhorn

Bruno Kernen sorgte am Wengener Lauberhorn für eine Sensation. Keystone

Nach seinem 3. Platz tags zuvor setzte Bruno Kernen noch einen drauf: In der zweiten Weltcup-Abfahrt am Wengener Lauberhorn errang der Berner Oberländer seinen dritten Weltcupsieg.

Erstmals seit 1994 gewann wieder ein Schweizer das Lauberhorn-Rennen.

Nach seinem 3. Platz tags zuvor setzte Bruno Kernen noch einen drauf: In der zweiten Weltcup-Abfahrt am Wengener Lauberhorn liess der Berner Oberländer alle hinter sich und errang seinen dritten Weltcupsieg.

Kernen gewann vor den Österreichern Michael Walchhofer und Stephan Eberharter sowie Ambrosi Hoffmann, der als Vierter das Schweizer Topresultat komplettierte.

Fünfjährige Durststrecke überwunden

Seit seinem WM-Titel von 1997 in Sestriere hatte Bruno Kernen nie mehr ein Rennen gewonnen. Fast auf den Tag vor sieben Jahren war der 30-jährige Berner Oberländer letztmals auf Stufe Weltcup erfolgreich geblieben. Am 19. und am 20. Januar hatte er in Veysonnaz triumphiert, seither aber bis vor den Wengener Weltcuprennen nie mehr das Podest einer Abfahrt erreicht.

Der letzte Schweizer Abfahrtssieg war Didier Cuche 1998 gelungen.

Bruno Kernen fühlte sich nach seinem Sieg am Samstag überglücklich. “Ich fühle mich wie neu geboren”, sagte er. “Ich kann es fast nicht fassen.” Dieser Sieg bewege ihn fast noch mehr als jener an der Weltmeisterschaft, erklärte Kernen.

Lauberhorn wichtig für Region

Tausende Zuschauer reisen nach Wengen, um live dabei zu sein. Am Schweizer Fernsehen fiebern regelmässig über eine Million Menschen mit. Dies entspricht einem Marktanteil von 80% aller Fernsehzuschauer während der Zeit des Rennens.

Die Popularität des Wettlaufs mag damit zu tun haben, dass der Rennkurs die längste Weltcup-Piste der Welt ist. Über 4,2 Kilometer gehen die besten Abfahrer der Welt oft über ihre eigenen Grenzen hinaus.

Das Lauberhorn-Rennen gehört zu den Klassikern unter den Abfahrts-Läufen. Es bietet für Fahrer wie Zuschauer einmalige Schikanen. So etwa den Hundschopf, ein drei Meter schmales, fast senkrechtes Couloir zwischen zwei Felsen. Oder die Wasserstation, ein Tunnel unter den Gleisen der Wengernalpbahn.

Geschichtsträchtig

Doch für die meisten Fans liegt die Faszination des Rennens in seiner reichen und abwechslungsreichen Geschichte.

Viktor Gertsch, Präsident des Organisationskomitees, kennt diese Geschichte bestens. Sie wurde ihm quasi in die Wiege gelegt: Sein Vater, Ernst Gertsch, war ein Mitbegründer des Rennens.

“Wie alle guten Ideen, wurde die Idee des Lauberhorns vermutlich um zwei Uhr morgens in einer Bar geboren”, meint Gertsch grinsend. “Das eigentliche Ziel war, eine Alternative zu den Rennen im Ausland zu schaffen. Doch hauptsächlich ging es darum, den englischen Offizieren, die in Wengen Sport betrieben, zu beweisen, dass die Einheimischen genau so gute Sportler sind.”

Sie waren sogar ein gutes Stück besser. Die Skifahrer der Region gewannen 14 der ersten 15 Lauberhorn-Abfahrten.

Sicher hatte der zweite Weltkrieg den Eidgenossen unter die Arme gegriffen. Sie waren praktisch unter sich, denn das Rennen wurde zwischen 1939 und 1945 immer durchgeführt. In dieser Zeit gewann die Schweizer Legende Karl Molitor vier seiner sechs Lauberhorn-Titel.

Die lebende Legende

Heute ist Molitor 82. Er bleibt eine wichtige Informationsquelle für alle, die sich gerne in die “gute alte Zeit” des grössten Schweizer Rennens zurückversetzen lassen.

“Die damaligen Rennen lassen sich in keiner Weise mit der heutigen Form der Skirennen vergleichen”, betont Molitor. “Die heutigen Fahrer donnern mit unglaublichen Geschwindigkeiten zu Tal, und doch kommen alle fast in der gleichen Zeit ins Ziel.”

Früher hätte man wesentlich mehr Spielraum gehabt: “Ich erinnere mich an meinen ersten Sieg im Jahr 1939, als ich kurz vor der Ziellinie hingefallen bin. Doch ich stand wieder auf und war neun Sekunden schneller als der Zweitplatzierte. In dieser Zeit hatten wir immer Abstände von mehreren Sekunden.”

Auch das Material war damals noch rudimentär. “Der Unterschied zu heute ist viel grösser, als etwa im Tennis oder im Fussball. Ich würde gerne mal die heutigen Skifahrer in unserer Ausrüstung auf der Piste sehen. Doch das ist unmöglich, denn die heutigen Pisten wären schlicht zu hart.”

Keiner möchte tauschen

Keiner der heutigen Skiläufer würde sich dies zutrauen. “Ich bin glücklich, dass ich in der heutigen Zeit Rennen fahre”, gibt Didier Cuche am Mittwoch nach dem ersten Training gegenüber swissinfo zu. Cuche ist derzeit der schnellste im Schweizer Abfahrtsteam.

“Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie damals Ski gefahren sind. Ohne präparierte Pisten war viel Kraft und Konzentration nötig. Ich denke, es war damals genau so schwierig, ein Rennen zu gewinnen, auch wenn es durch die grossen Abstände anders ausgesehen hat.”

Auch wenn Molitor und Gertsch die hohen Geschwindigkeiten und die blitzschnelle Reaktion der Fahrer bewundern, betonen sie, dass das Leben zu ihrer Zeit mehr Spass machte, vor allem beim berühmten “Après-Ski.”

Ein vergessenes Ritual

“Die Abende waren immer unterhaltsam”, erinnert sich Molitor mit einem breiten Lächeln. “Doch das Beste war immer der Sonntag nach dem Rennen: Alle Rennfahrer bleiben in Wengen für die Siegerehrung und den Tanz danach – da waren immer viele Mädchen dabei. Heute hetzen die Athleten zum nächsten Rennen, fast bevor sie durchs Ziel sind.”

“Damals hatten wir immer eine sehr friedliche Zeit – auch wenn nicht so viel getrunken wurde, wie man sich das vorstellt. Ausser vielleicht an diesen Sonntagabenden.”

Gertsch erinnert sich gerne an die “familiäre Atmosphäre” der früheren Lauberhorn-Rennen. Doch es sei an diesen Sonntagabenden auch zu einigen weniger erfreulichen Zwischenfällen gekommen.

“Es war ein Wochenende im Jahr 1969, als die Österreicher den Slalom, die Kombination und die ersten drei Plätze im Lauberhorn-Rennen gewonnen hatten. Nach einer ausgiebigen Feier im Palace Hotel ging das Team in die Bowling-Halle und spielte mit den Pokalen”, erinnert sich Gertsch.

“Die Pokale wurden natürlich komplett zerstört, und wir waren überhaupt nicht glücklich über diese Aktion. Ich denke, sie bewiesen uns damit, dass sie uns auch im Bowling schlagen können!”

Lange Durststrecke

Heute dominieren die Österreicher den Skizirkus in ähnlicher Art, wie während der frühen 60er. Vier der fünf letzten Titel gingen an die härtesten Rivalen der Schweizer.

Nachdem die Schweizer das Rennen während der ersten 15 Jahre quasi beherrschten, schafften sie in den letzten neun Jahren keinen einzigen Sieg mehr.

swissinfo, Mark Ledsom, Wengen und Agenturen
(Übersetzung: Christian Raaflaub)

Streckenlänge: 4260 m
Höhendifferenz: 1028 m
Start: auf 2315 m
Ziel: auf 1290 m
Streckenrekord: Kristian Ghedina (ITA) mit 2:24.23 (1997)

Erstmals gibt es zwei offizielle Lauberhorn-Abfahrten: Freitag und Samstag jeweils um 12.30.

Das bereits statt gefundene Rennen vom Freitag gilt zudem für die Kombination.

Das Preisgeld ist für beide Abfahrten gleich hoch (33’000 Fr. für den Sieger).

Die FIS hat beide Abfahrten bewilligt. Grund ist der grosse Aufwand für die Präparierung der Piste.

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