«Grüsse aus dem Soldatenleben»

Friedensinsel Schweiz, Geistige Landesverteidigung, Röstigraben: Eine Postkartenausstellung im Alten Zeughaus in Solothurn vermittelt bunte und oft überraschende Ein- und Ansichten.
Dokumentiert wird die Schweiz in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts, das Zusammenwachsen zur Willensnation, aber auch das Entstehen der «humanitären Tradition».
«Ihr seid 100’000 Schweizer Schützen. Und wenn ich mit 200’000 Preussen komme?» soll der deutsche Kaiser Wilhelm II. einen Schweizer Soldaten am so genannten Kaisermanöver im Jahr 1912 gefragt haben. Die Antwort des Schweizer Wehrmanns ist legendär: «Dann schiessen wir eben zweimal, Eure Majestät.»
Tausendfach wurde diese Begegnung auf Postkarten gedruckt und verschickt als Zeichen der Unabhängigkeit und des Wehrwillens der Schweiz. «Ich kann mich gut an diesen Spruch erinnern, den kannte auch mein Grossvater», erklärt Ulrich Gribi gegenüber swissinfo. Aus Gribis Sammlung stammen die 600 ausgestellten Militärpostkarten.
«Alpen-Arier»
«Ich erinnere mich genau an die Postkarte, die mich für den Aufbau meiner Sammlung animiert hat: Ein Schweizer Senn steht vor einem Alpenpanorama. Mit der Hand drückt er sich die Schweizerfahne auf die Brust. Selbstverständlich ist er blond und blaue Augen hat er auch», sagt Gribi.
«Ich habe diese Karte ‹Alpenarier› genannt, da der arische Ausdruck mich sehr stark an die Kunst im Dritten Reich erinnerte.»
An der Landi, der Landesausstellung von 1939, die ganz im Zeichen der Geistigen Landesverteidigung stand, war eine Postkarte im Umlauf mit einem Wehrmann, der sich den Waffenrock anzieht. «Sein muskulöser Körper sollte die Wehrbereitschaft der Schweiz symbolisieren», erklärt Gribi. Tatsächlich: eine verblüffende Ähnlichkeit mit Statuen aus Nazi-Deutschland.
«Für mich war es sehr interessant aufzuzeigen, dass wir in dieser Zeit dieselben Ausdrucksformen brauchten wie in Deutschland oder in Mussolinis Italien oder Frankreich», erklärt Gribi.
Illustrierter Röstigraben
In vielen Postkarten aus dem Ersten Weltkrieg zeigt sich ganz deutlich der Röstigraben zwischen der deutschsprachigen und der französischsprachigen Schweiz. «Die Schweiz war damals mehr gespalten, als man heute glaubt», so Gribi.
Der eher deutschfreundliche General Wille hatte nach seiner Wahl 1907 in der Schweizer Armee preussische Sitten eingeführt: Drill, Exerzieren, preussische militärische Umgangsformen.
Das hat den Romands offensichtlich nicht gefallen. Dazu kamen noch Ereignisse während des 1. Weltkrieges. Gribi führt den so genannten Obristenhandel an, bei dem zwei Generalstabsoberste Informationen an die deutsch-österreichische Seite weitergeleitet hatten. Deren Kriegsgegner beschwerten sich über die Verletzung der schweizerischen Neutralität.
Zündstoff lieferte auch die Affäre Grimm/Hoffmann 1917, als der sozialdemokratische Nationalrat Grimm mit der Einwilligung des freisinnigen Bundesrates Hoffmann nach St. Petersburg reiste, um einen Separatfrieden zwischen Deutschland und Russland zu vermitteln. In den Entente-Mächten und in der Westschweiz brach darauf ein Entrüstungssturm los – Hoffmann trat zurück.
Aber auch der Einmarsch der deutschen Armee im neutralen Belgien löste in der Schweiz eine heftige Neutralitätsdebatte aus. In der französischsprachigen Schweiz war man frustriert, da die Deutschschweizer Presse die Verletzung der Neutralität weitgehend rechtfertigte, wie Postkarten, vor allem aus der Romandie, illustrieren.
Rotes Kreuz – Ostereier – Friedensinsel
Gerne wurde mit dem Rot-Kreuz-Emblem die Schweizer Neutralität illustriert. So zeigen Postkarten, wie Rotkreuzschwestern verwundete Soldaten beider Kriegsparteien pflegen.
Als nicht vom Krieg heimgesuchtes Land wurde die Schweiz auch oft als Friedensinsel dargestellt: Felsenfest und unbeschadet, umtost vom sturmgepeitschten Meer, steht das Bundeshaus als Symbol des Friedens.
Weihnachts- und Osterfeste fanden auch in Kriegszeiten statt. Soldaten, die während des 1. Weltkrieges über die Ostertage die Landesgrenzen bewachen mussten, schickten Karten nach Hause, auf denen sich die Kriegsparteien mit Ostereiern bombardieren oder wo ein Küken, das General Wille verblüffend ähnlich sieht, einem Ei entschlüpft.
Wichtiges Kommunikationsmittel
Postkarten hatten in der Zeit des Wechsels vom 19. zum 20. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine völlig andere Bedeutung. Sie waren ein wichtiges Kommunikationsmittel für die gesamte Bevölkerung.
Heute werden praktisch keine Postkarten mehr aus dem Militärdienst versandt. Wehrmänner schreiben eine SMS oder sprechen via Mobiltelefon mit ihren Lieben.
Und so meint Ulrich Gribi ein wenig wehmütig: «Die Zeitzeugen, die Postkarten, die in 50 Jahren zum Verständnis unserer Gegenwart wichtig wären, die werden dann fehlen.»
swissinfo, Etienne Strebel
Ausstellung «Grüsse aus dem Soldatenleben»
600 Militärpostkarten aus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts
Ausgestellt bis am 29. April im Museum Altes Zeughaus in Solothurn

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