Prozess zum Canyoning-Unfall

Unter grosser internationaler Beachtung hat am Montag in Interlaken der Prozess zum Canyoning-Unfall im Saxetbach begonnen. 21 junge Menschen hatten damals das Leben verloren.
Als erste sagte die Mutter eines australischen Opfers aus. Sie schilderte, wie die Tragödie ihr Leben verändert hat. Die australische Familie tritt stellvertretend für die Angehörigen aller Opfer als Privatklägerin auf.
Acht Angeklagte – drei damalige Verwaltungsräte und Guides der Firma Adventure World, welche die Canyoning-Tour organisiert hatte – stehen vor Gericht. Ihnen wird fahrlässige Tötung vorgeworfen. Die drei Ex-Chefs von Adventure World sind sich keines Fehlers bewusst.
Blick zurück: An jenem verhängnisvollen, heissen Sommertag am 27. Juli 1999 waren 45 Abenteuer-Lustige und 5 Guides unterwegs auf einer Canyoning-Tour im Saxetbach in der Region von Interlaken. Ein Gewitter liess den Bach innert Minuten anschwellen; 18 der Touristen und 3 der Guides hatten keine Chance, sie wurden von den Wassermassen erfasst.
Am Radiowecker vom Unglück erfahren
Zu Beginn des Prozesses erklärte die Mutter einer verunglückten 19-jährigen Australierin in einer bewegenden Aussage, sie habe am Morgen nach dem 27.Juli 1999 beim Erwachen am Radiowecker vom Unglück erfahren. Erst nach langwierigen Telefonrecherchen sei der Tod ihrer Tochter traurige Gewissheit geworden.
Die Organisatoren der verhängnisvollen Tour seien bis heute zu feige gewesen, um mit den Angehörigen Kontakt aufzunehmen. Für ihre Tochter sei es die erste Canyoning-Tour gewesen. Viele in ihrer Gruppe hätten offenbar geglaubt, dass man Kanufahren gehe.
Ex-Firmenchefs wehren sich
Die drei angeklagten Verwaltungsräte wehrten sich gegen die Vorwürfe. Den Angehörigen hätten sie eine Führung durch den Saxetbach angeboten, was einige Wenige angenommen hätten. Die australische Botschaft habe Adventure World auch wissen lassen, dass eine Kontaktaufnahme mit den Angehörigen nicht erwünscht sei.
Die Anklage wirft der Geschäftsleitung vor, dass sie kein Sicherheits-Dispositiv für Canyoning-Touren erarbeitet und ihre Untergebenen ungenügend überwacht habe. Dazu sagten alle drei Verwaltungsräte, sie seien sich keines Fehlers bewusst. Das Unglück sei nicht voraussehbar und nicht vermeidbar gewesen.
Mündliches Sicherheits-Dispositiv
Adventure World habe ein mündliches Sicherheits-Dispositiv gehabt. Bei den einzelnen Trips seien die Mitangeklagten General Managers und Guides für die Sicherheit und die Beurteilung des Wetters zuständig gewesen. Am Unglückstag selber seien sie mit anderen Aufgaben beschäftigt gewesen und hätten darauf vertraut, dass ihre Untergebenen die richtigen Entscheide fällen würden.
Der Vizepräsident des Verwaltungsrates sagte, er sei am Saxetbach aufgewachsen und habe gewusst, dass dieser Hochwasser führen könne. Aber eine Flutwelle wie jene vom 27. Juli 1999 habe er nicht für möglich gehalten.
Vor dem Unglück machte Adventure World laut Angaben des ehemaligen Verwaltungsrats-Präsidenten mit 60 Mitarbeitern etwa 2,5 Mio. Franken Umsatz jährlich, davon etwa ein Drittel mit Canyoning. Im Saxetbach wurden in der Regel drei Trips täglich durchgeführt.
Zeugenbefragungen am Freitag
In den ersten drei Prozesstagen werden die Beschuldigten befragt, am Donnerstag und Freitag die Zeugen. Die Plädoyers sind für Montag nächster Woche vorgesehen, die Urteilseröffnung für Dienstag. Die Angeklagten müssen mit Gefängnis-Strafen von bis zu einem Jahr rechnen. Dieses Strafmass kann Einzelrichter Thomas Zbinden maximal verhängen.
Die Zivilforderungen der Privatkläger werden erst nach dem Strafverfahren behandelt. Über die Firma Adventure World war nach einem weiteren Unfall mit tödlichem Ausgang (Bungee-Jumping) vom Mai 2000 der Konkurs verhängt.
Der Prozess findet aus Platzgründen im Ballsaal des Kursaal Casino Interlaken statt. Anwesend waren am Montag 14 Angehörige von Verunglückten, einige mit ihren Kindern. Die Verhandlung wird beobachtet von Dutzenden von Journalisten aus Australien, Neuseeland, England und der Schweiz.
swissinfo und Agenturen

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch